Wo jeder steht ...

Kampf dem Antiamerikanismus

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Bevor die Raketen und Kampfjets in Stellung gebracht sind, beginnt in Deutschland der Krieg in den Köpfen. Die Gesinnungsfrage ist gestellt. Die CDU hat im Bundestag zum Thema Militäreinsatz eine namentliche Abstimmung durchgesetzt, damit man sehen könne, "wo jeder steht". Da die Anschläge gegen die gesamte Menschheit zielten, können ja nur Unmenschen gegen sofortige und entschlossene, auf alle Fälle blutige Gegenschläge sein.

"Wir sind jetzt alle Amerikaner" schallt es aus allen Rohren - quasi eine Dankesgabe für Kennedys "Ich bin ein Berliner" 1963. Kritische Nachfragen sind zur Zeit eher unerwünscht. So geriet selbst der sonst so harmoniesüchtige Alfred Biolek in Rage, als der Vorzeige-Intellektuelle Roger Willemsen in Boulevard Bio die Frage nach den Gründen der Attacke aufwarf.

Amerikaner dürfen gehauen werden

Henryk M. Broder, seines Zeichens Reporter beim Spiegel, erklärt uns Warum wir die Amerikaner hassen. So lautet seine provokative Überschrift. Und er fährt auch provokativ fort: "So besonnen in Sachen Terrorismus-Bekämpfung hatte man noch nie so viele Deutsche erlebt. Sie alle eint die Überzeugung, dass Hass ein schlechter Ratgeber ist. Es sei denn, das Objekt des gemeinen Gefühls sind die Amerikaner selbst. Amerikaner dürfen gehauen werden."

So sind Broder die Aussagen von Bundespräsident Johannes Rau viel zu zaghaft. Der Vorschlag, die Ursachen des Terrorismus mit Hilfe von Entwicklungshilfe zu bekämpfen kommt für ihn einer Einladung Bin Ladens zu einem Therapiegespräch in Berlin gleich. Nein, das Böse ist identifiziert und muss entschlossen bekämpft werden. Wie genau, weiß auch der Reporter nicht. Immerhin hat er schon den Feind im eigenen Lager erkannt.

Er fand ihn in Nacht-Talkshows des Deutschen Fernsehens. So habe die Sängerin Lisa Fitz sich tatsächlich beschwert, dass ihr Sohn in New York schlecht behandelt worden sei. Zweifellos eine Rechtfertigung der Anschläge von letzter Woche. So hat es Broder jedenfalls verstanden. Er diagnostiziert einen deutschen Hass auf die Amerikaner - jedenfalls von Seiten der Intellektuellen. "Der Antiamerikanismus hat den Antikommunismus und den Antisemitismus als kollektives Ressentiment ersetzt." Der Grund? Die Deutschen könnten die Demütigung nicht verwinden, die ihnen durch die Befreiung des Nationalsozialismus und Care-Pakete zugefügt worden wäre.

Und er beschwört auch ein Szenario hoch, das die Deutschen wieder einen, gleichsam auf den rechten Weg bringen würde: ein Flugzeug, dass auf den Potsdamer Platz fällt, zwei Hochhäuser zerstört und Hunderte Menschenleben fordert. "Und dann stellen wir uns vor, wie lange es dauern würde, bis die ersten Stellungnahmen vorliegen, in denen gefordert wird, gegen die Urheber des Terrors mit aller Härte vorzugehen. Wie die Bundesrepublik reagieren würde, wenn ihr ausländische Politiker und Kommentatoren raten würden, auf Rache und Vergeltung zu verzichten und stattdessen nach einer politischen Lösung zu suchen, Verhandlungen inklusive."

Eine Polemik, die üblichen Leserbriefschreiber auf den Plan ruft, sondern auch Spiegel-Kollegen Matthias Matussek. Der meldet sich mit einem Text aus Rio de Janeiro und wendet sich gegen Broder: "Dein Kommentar gestern auf SPIEGEL ONLINE war Bullshit".

Er plädiert für ein bedachtes Vorgehen, führt das Beispiel Israel an. Das harte Vorgehen der israelischen Armee konnte den Terror auch nach Jahrzehnten nicht beenden. Für Matussek lautet die Botschaft der Anschläge "Amerika ist verwundbar". Er sagt das nicht mit Schadenfreude - Matussek selbst hat lange genug in New York gelebt, um nicht als penetranter Amerika-Hasser zu gelten. Aber er spricht das Sündenregister der USA an, wie die Stützung von Terrorregimen, die Hunderttausende von Menschen brutal ermordet haben. Oder Ossama Bin Laden, der selber ein amerikanisches Produkt sei. Die USA hatten ihn unterstützt und aufgebaut, als es noch in ihren Interessen lag.

Am Donnerstagabend waren die beide Artikel plötzlich verschwunden. "Ein technisches Problem" hieß es auf Nachfrage bei der Redaktion. Später tauchten sie dann wieder, wenn auch nicht mehr auf der Hauptseite verlinkt. Braucht man eine Verschwörungstheorie, um zu vermuten, dass die Spiegel-Redaktion die Texte lieber stillschweigend verschwinden lassen wollte?

Nachfragen gleich Komplizenschaft

Argumente, Hintergründe und Hypothesen hat Mathias Bröckers zusammengetragen. Seine "Verschwörungstheoretischen Anmerkungen" zu den Attentaten hat er in den letzten Tagen bei Telepolis und bei der taz veröffentlicht. So zum Beispiel die Connections Bin Ladens zum US-Geheimdienst. Spiegel-Mann Broder blieb das nicht verborgen. Flugs erhob er auf seiner Webseite Bröckers zum "Mega-Schmock der Woche". Nach Broders Meinung würde auch Bröckers "sich gerne als Kamikaze-Kämpfer in ein Hochhaus stürzen, wenn er nicht so schreckliche Flugangst hätte". Er sei ein kranker Kopf, dem nicht zu helfen sei. Das Benennen von Zusammenhängen macht schon zum Komplizen der Attentäter. Es kann nur eine Version der Vorgänge geben - und die stammt aus dem Weißen Haus.

Bröckers wehrt sich in einem Interview mit dem KriT-Journal gegen Denkverbote. Der Spiegel-Reporter sei "ein klassicher intellektueller Stahlhelmträger, der eher in der Tradition ein Goebbels steht, als in der eines kritischen, aufgeklärten Kosmopolitismus".

Inzwischen kramt der Spiegel weniger ketzerische Verbindungen der Familie bin Laden hervor. Unter der Überschrift "Bin Laden und die Formel 1", wie Mohammed Bin Laden den Rennstall Williams rettete. "Auf die spätere Karriere des Sohnes als "Top-Terrorist" gab es damals noch keine Hinweise." Querdenken light.