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Wohin treibt der Ölpreis?

Fracking-Anlage. Bild: Rhod08/GFDL

Immer mehr Länder bekommen fallende Rohstoffpreise und die China-Konjunkturschwäche deutlich zu spüren

Die seit Monaten abstürzenden Ölpreise haben sich in den letzten Tagen wie die Börsen wieder etwas erholt. Die Ölpreise waren mit den Börsen am "Schwarzen Montag" [1] auf den tiefsten Stand seit mehr als sechseinhalb Jahren gefallen. Und erstmals ging der Preis für die US-Referenzsorte West Texas Intermediate (WTI) wieder unter der Marke von 40 US-Dollar aus dem Handel. Das Fass der Nordseemarke Brent kostete keine 43 Dollar mehr.

In einem Jahr sind die Preise um etwa 60% gefallen. Allgemein wird ein weiterer Preissturz um etwa 10 Dollar erwartet. Dabei wird längst Fracking-Öl nicht mehr kostendeckend produziert, weshalb die Kreditblase platzen wird.

Auch wenn die Ölpreise zuletzt am Donnerstag und Freitag erneut deutlich zulegten, ändert das nichts an der Tatsache, dass die Preise weiter sehr niedrig sind. Die Nachrichtenagentur Bloomberg hatte schon zuvor berechnet, dass der Absturz der Ölpreise in diesem Sommer sogar noch stärker ausgefallen sei als in der Hochzeit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und 2009. Trotz der Erholung, die vor allem mit Hoffnungen auf Wachstum in den USA begründet wird, kostet das Barrel WTI-Öl keine 45 Dollar und das Fass Brent keine 50 Dollar.

Die Preise liegen damit weiter deutlich unter der Marke, unter der Fracking-Öl nicht mehr kostendeckend aus dem Boden gepresst werden kann, auch wenn die Methoden verbessert wurden und in einigen Fällen effizienter gefördert wird. Seit vergangenem November befinden sich die Ölpreise nun schon unter einem Niveau, ab dem ein profitables Fracking meist nicht mehr möglich ist. Schon im vergangenen Winter wurde deshalb darüber debattiert, wann die Fracking-Blase platzt [2]. Zwar hatte sich seither der Preis zeitweise wieder etwas erholt, aber der WTI kletterte nur noch selten über die Marke von 60 Dollar und dann auch nur knapp.

Die Lage für viele Firmen ist inzwischen mehr als bedrohlich. Deshalb spricht Chris Helman längst von "Zombies". Der Öl-Experte des amerikanischen Wirtschaftsmagazins Forbes rechnet [3] damit, dass der Branche in den USA harte Zeiten bevorstehen.

Was ich mit Zombie-Ölfirmen meine, sind die Unternehmen, die über ihre Verhältnisse leben. Viele von ihnen haben Ölfelder im Schiefergestein, bei denen es mehr als 75 oder sogar 80 Dollar kostet, ein Barrel zu fördern. Die haben zurzeit überhaupt keine Chance, Geld zu verdienen. Sie verbrennen ihr Geld!

Diese Einschätzung ist nicht ganz richtig, denn sie verbrennen vor allem das Geld ihrer Kreditgeber. Denn die gesamte Fracking-Blase wurde über Kredite aufgeblasen, mit denen der Öl-Boom finanziert wurde. Als der Ölpreis bei 100 US-Dollar lag, war das ein gutes Geschäft, obwohl es auf Pump finanziert wurde. Die Anlagen wurden oft über Hochzinsanleihen ("High Yield"-Anleihen) finanziert. Die boten stets eine relativ hohe Rendite in einer Phase, in der die Leitzinsen praktisch seit Beginn der Finanzkrise bei Null liegen (Geldpolitik an der "zero bound" [4]).

USA: Zahl der Bohrtürme mehr als halbiert

Weil das Risiko dieser Anleihen hoch ist, die wegen der schlechten Bonität der Emittenten und ihrer Ausfallgefährdung auch als Junk-Bonds, Ramsch-Anleihen oder Schrottanleihen bezeichnet werden, sind die Risikoaufschläge (Spread) zuletzt explodiert. Der Spread in Bezug auf US-Staatsanleihen hat sich in den letzten 14 Monaten auf mehr als 900 Basispunkte verdreifacht.

Mit einem Aufschlag von gut 9 Prozentpunkten zahlen viele Fracker ruinöse Zinsen in Höhe von mehr als 10%. Die Ausfallquote habe sich nach Angaben der Ratingagentur Standard & Poors inzwischen schon verdoppelt. Bei den derzeitigen Ölpreisen wird sie weiter steigen und den Junkbond-Markt in eine bedrohliche Situation bringen. Dabei geht es um viel Geld. Geschätzt wird ein Umfang von insgesamt 1,7 Billionen Dollar, von denen ein guter Anteil im Energiesektor steckt.

Schon seit Monaten ist zu beobachten, dass die Zahl der Bohrtürme immer weiter abnimmt. Wurde im Winter alarmiert gemeldet, dass die Zahl der aktiven Öl-Bohrlöcher in den USA auf nur noch gut 1.200 zurückgegangen ist - dem niedrigsten Stand seit 2012 - so zählt der Bohrausrüsters Baker Hughes nun gerade noch 885 in den USA. Das sind so wenige wie seit fünf Jahren nicht mehr. Ein Jahr zuvor waren es noch fast 2000 aktive Bohrlöcher.

Ihre Zahl hat sich also mehr als halbiert [5]. Viele Firmen treten auf die Bremse, wenn sie es können, und haben auch neue Erkundungen gestoppt, weil sich die Erschließung nicht mehr lohnt. Andere produzieren weiter mit Verlust in der Hoffnung auf einen steigenden Ölpreis. Die Lage ist beim kanadischen Nachbarn ähnlich. Dort werden nur noch 208 Türme gezählt, 197 weniger als vor einem Jahr.

So ist die Produktion in den USA bisher nicht signifikant gefallen. Sie liegt sogar derzeit noch höher als vor einem Jahr und sie ist bis Juni sogar auf den bisherigen Rekordwert gestiegen. Hatten Experten schon im Frühjahr davon gesprochen, dass es auf dem Weltmarkt eine Überproduktion von etwa eineinhalb Millionen Barrel täglich gäbe, so ist die Überproduktion bis im Juni sogar mindestens auf zwei Millionen gestiegen. Nun ist die Fracking-Produktion zwar leicht gesunken [6], sie liegt aber mit 9,4 Millionen Barrel nur knapp unter dem bisherigen Rekord im Juni.

Überproduktion an Fracking-Öl trifft auf Wirtschaftsflaute

Muss man sich angesichts dieser Mengen eigentlich noch wundern, dass der Ölpreis in die Knie geht? Mit der Überproduktion haben sich die Fracker selbst ins Knie geschossen, deren Verluste durch die gestiegenen Zinsen immer weiter sinken. Sie sind für die eigenen Pleiten verantwortlich. Natürlich macht man in den USA lieber andere für den Preisverfall verantwortlich.

So wurde im Frühjahr an der Legende gestrickt, Saudi-Arabien habe in einem "globalen Ölkrieg" den Ölpreisverfall bewusst herbeigeführt habe, um das Fracking zu verlangsamen oder ganz unrentabel zu machen. Erklärt wurde, die Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) heize den Ölpreisverfall gezielt an, um Konkurrenz aus den USA und Kanada zu verdrängen, die auf teurere Techniken wie Fracking und die Öl-Gewinnung aus Teersanden setzen.

Doch die aufgezeigten Daten machen deutlich, dass genau andersherum ein Schuh daraus wird. Die Saudis und die Opec sind einfach den Forderungen aus den USA nach Drosselung ihrer Produktion zur Stabilisierung der Ölpreise nicht gefolgt. Denn das hätte nur dafür gesorgt, dass umweltschädliche Fracking weiter rentabel geblieben wäre. Die Fracker aus Nordamerika wären noch massiver in den Markt eingebrochen.

Warum sollte die Opec die Förderung des billig zu fördernden Wüstenöls stoppen, wenn in Nordamerika gleichzeitig die Fördermenge massiv ausgeweitet wird? Warum sollten die Opec-Staaten zusehen, wie ihnen Marktanteile über höchst fragwürdige Techniken geraubt werden? Deshalb hielten sie die Produktion stabil, womit die Überproduktion stieg.

Wirtschaftseinbruch in China

Doch inzwischen kommt ein anderer Faktor hinzu, der das Problem Überproduktion vermutlich weiter vergrößert, auch wenn die Fördermengen nun in den USA bald sinken werden, weil die Fördermengen beim Fracking schnell sinken: Es gibt eine Konjunkturflaute in China [7]. Die inzwischen größte Volkswirtschaft der Welt hatte lange die Produktion von Rohstoffen praktisch aufgesaugt. Schon mit dem massiven Fall der Rohstoffpreise deutete sich an - man kann schon von einem Ausverkauf [8] sprechen -, dass dies zunächst vorbei ist.

Daher bekommt die Fracking-Industrie die neue Lage in China genauso zu spüren, wie der Eisenerz- und Kohleproduzent Australien [9]. Lange hatte der rote Kontinent vom Boom in China profitiert, doch nach Ansicht von Experten ist die Wirtschaft gerade auf dem Weg in die Rezession [10]. Weil auch Japan die wegbrechenden Exporte nach China deutlich spürt, dessen Wirtschaft ebenfalls schrumpft, ist schon deutlich, dass die Nachfrage nach Öl und anderen Rohstoffen alsbald wohl kaum zunehmen wird.

Da die Austeritätsprogramme in Europa andauern, sind von hier kaum Impulse zu erwarten und zudem entwickeln sich neben China auch andere Schwellenländer schwach. Brasilien schmiert in die Rezession ab, in der Russland schon steckt. In den Kreis reiht sich nun auch Kanada ein. Fünf Monate in Folge ist die kanadische Wirtschaft bis Mai geschrumpft. Es ist anzunehmen, dass sich damit eine weitere größere Volkswirtschaft längst real in der Rezession befindet. Darauf wies auch hin, dass die Industrieproduktion seit mehr als einem halben Jahr zurückgeht - genauso wie die Förderung von Öl und Gas und das Geschäft mit Minen und Steinbrüchen.

Ölpreisschock durch die Rückkehr Irans auf den Ölmarkt?

Das alles sind keine Vorzeichen, die darauf schließen ließen, dass die Nachfrage nach Öl oder anderen Rohstoffen demnächst steigen wird. Ein entscheidender Faktor dafür, dass ein weiter fallender Ölpreis zu erwarten ist, wurde bisher noch gar nicht genannt: Mit dem Atomabkommen [11] drängt der Großproduzent Iran zurück auf den Markt. Es wird erwartet, dass die Sanktionen Ende des Jahres fallen. Der darbende Staat steht längst in den Startlöchern, um wieder viel Öl zu verkaufen.

Dem Land ist es dabei egal, wie niedrig der Preis gerade ist. Das machte der iranische Ölminister Bijan Namdar Zanganeh kürzlich deutlich. Er spricht [12] von einem Marktanteil von einer Million Barrel täglich, die der Iran verloren habe.

In einer Woche könne das Land die Produktion um eine halbe Million Barrel steigern und in spätestens einen Monat könnten es eine Million mehr sein, meinte er. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IAE) fördert der Iran derzeit knapp 3 Millionen Barrel pro Tag. Die IAE ist vorsichtiger als der iranische Ölminister, geht aber ebenfalls davon aus, dass innerhalb einiger Monate die Produktion ohne Probleme auf bis zu 3,6 Millionen Barrel steigen könne.

Hier liegt die Begründung, warum die Weltbank erst kürzlich davor gewarnt [13] hat, dass der Ölpreis noch einmal um 14% oder etwa 10 Dollar absacken wird, wenn die Iran-Sanktionen fallen. Durch eine "vollständige Rückkehr des Iran auf den Weltmarkt" kämen nach Ansicht der Weltbank täglich eine Million Barrel Öl zusätzlich auf den Markt.

Einige Experten schließen auch einen neuen Ölpreisschock nicht aus. Sie glauben, dass das Land mit einem Schlag 20 bis 30 Millionen Barrel Rohöl auf den Markt spülen könnte, um an Geld zu kommen. Das Problem ist, dass dies durch verstärkte Lagerhaltung kaum aufgefangen werden kann, da die Lager schon bis zum Bersten gefüllt sind. Damit hat man auch eine Begründung, warum sich in den USA die Konservativen gegen das Abkommen und ein Ende der Sanktionen stemmen. Kommt Iran zurück auf den Ölmarkt, rückt das Ende des Frackings auf die Tagesordnung und spätestens dann platzt die Blase.

Einige Ölproduzenten stellen sich aber längst auf deutlich niedrigere Preise ein. Kasachstan geht von einem Preis für Erdöl aus, der in Zukunft auch bei 30 Dollar liegen könne. Präsident Nursultan Nasarbajew meinte kürzlich, man müsse sich auf eine "neue wirtschaftliche Realität" einstellen. Der zweitgrößte Erdölproduzent im ehemals sowjetischen Raum hat auch gerade die bisherige Bindung an den Dollar aufgeben.

Die Frage ist, ob sich das Land die teure Unterstützung der Währung nicht mehr leisten konnte oder die mehrfache Abwertung des Renminbi [14] den Ausschlag gegeben hat, mit dem auch China in den Währungskrieg eingestiegen ist, um billiger exportieren zu können.

Jedenfalls hat der Tenge auf einen Schlag 28% gegenüber dem Dollar an Wert verloren und damit hat das Land deutlich an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Der Präsident hatte die Wechselkursfreigabe auch mit Forderungen von Exporteuren begründet und von einem "notwendigen Wechsel" gesprochen. Damit ist ein weiteres Land in den Abwertungswettlauf eingestiegen. Es ist zu erwarten, dass weitere folgen.


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https://www.heise.de/-3375142

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/China-Absturz-drueckt-Dax-unter-10-000-Punkt-Marke-3375042.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Platzt-angesichts-des-Oelpreissturzes-nun-die-Fracking-Blase-in-den-USA-3370006.html
[3] http://www.deutschlandfunk.de/frackingindenusaistderboomeingewinn.724.de.html?dram:article_id=327865
[4] https://www.heise.de/tp/features/Geldpolitik-an-der-zero-bound-3421228.html
[5] http://phx.corporate-ir.net/phoenix.zhtml?c=79687&p=irol-rigcountsoverview
[6] http://www.eia.gov/dnav/pet/hist/LeafHandler.ashx?n=PET&s=WCRFPUS2&f=W
[7] https://www.heise.de/tp/features/China-steigt-wegen-Konjunkturflaute-in-Waehrungskrieg-ein-3374810.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Rohstoffe-im-Sommerschlussverkauf-3375014.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/Australien-auf-dem-griechischen-Weg-3374485.html
[10] http://www.businessinsider.com.au/ubs-australia-could-already-be-in-recession-2015-8
[11] https://www.heise.de/tp/features/Ein-mit-Oel-geschmiertes-Atomabkommen-3374407.html
[12] http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-08-02/iran-s-oil-minister-says-output-to-rise-one-week-after-sanctions
[13] http://www.worldbank.org/en/news/feature/2015/08/10/qa-on-the-key-economic-impacts-of-iran-deal
[14] https://www.heise.de/news/Altmaier-praesentiert-Plaene-fuer-europaeisches-Cloud-Netzwerk-Gaia-X-4569820.html