Wollte Erdogan kritische Medien mit Druck auf die Justiz zum Schweigen bringen?

Ein neues YouTube-Video bringt den türkischen Ministerpräsidenten weiter in Bedrängnis

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Letzte Woche machten zwei YouTube-Videos aus der Türkei weltweit Schlagzeilen. In einem davon scheint der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan seinem Sohn zu befehlen, alles Geld im Haus in Sicherheit zu bringen, und ihn zu warnen, dass er abgehört wird. Im anderen rät er ihm, eine Zahlung des Öl-Tycoons Sitki Ayan in Höhe von 10 Millionen US-Dollar nicht anzunehmen, weil sie zu niedrig sei. Nun erregt ein weiterer Clip Aufmerksamkeit, der den Eindruck erweckt, dass Erdoğan Druck auf die Justiz ausübte, um kritische Medien zum Schweigen zu bringen.

Konkret fragt Erdoğan darin seinen Justizminister Sadullah Ergin recht ungehalten nach einem Steuerverfahren gegen den Medienunternehmer Aydın Doğan, dessen Doğan Yayın Holding unter anderem die regierungskritische Zeitung Hürriyet veröffentlicht. Danach weist er ihn an, sich persönlich um die Angelegenheit zu kümmern, weil sie wichtig sei. Von Ergin bekommt er zu hören, dass ein Richter kein Sunnit, sondern Alevit sei. In höheren Instanz würden die Richtern jedoch besser auf ihn hören.

Tatsächliche Telefonate?

Hintergrund des Verfahrens ist ein umstrittenes Bußgeld in Höhe von etwa 400 Millionen Euro, das Doğan zahlen soll, weil er den Verkauf von Anteilen an den deutschen Axel Springer-Verlag im Januar 2007 und nicht im Dezember 2006 verbuchte. Dieses Bußgeld ist so ungewöhnlich hoch, dass es Analysten zufolge dazu führen könnte, dass die Mediengruppe auseinanderbricht.

Erdoğan könnte ein Interesse an solch einem Auseinanderbrechen haben, weil die Doğan-Blätter in ihrer Berichterstattung über die Korruptionsaffäre in Erdoğans Adalet-ve Kalkınma-Partei (AKP) und zahlreiche weitere Skandale weniger zurückhaltend waren als andere türkische Medien. "In den Organen des Unternehmens schreiben Journalisten, was sie sich woanders nicht mehr trauen" schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung 2009. Das führte unter anderem dazu, dass Erdoğan öffentlich dazu aufrief, diese Medien zu boykottieren.

Allerdings ist immer noch offen, ob die Clips echte Telefongespräche wiedergeben. Erdoğan selbst bestreitet das und spricht von "Montagen", die er der Gülen-Sekte zuschreibt, mit der er sich im letzten Jahr zerstritt. Ein Gutachten des amerikanischen Computerforensikers Joshua Marpet kommt dagegen zum Ergebnis, dass die einzelnen Telefongespräche, aus denen einer der Clips besteht, auch in der näheren computergestützten Analyse keine Merkmale aufweisen, die auf Schnitte, Einfügungen oder andere Manipulationen hinweisen. Um verlässlichere Aussagen treffen zu können, wäre Marpet zufolge die Originalaufnahme notwendig.

Wie sich die Clips auf die türkischen Kommunalwahlen am 30. März auswirken werden, ist noch nicht klar. Die Videos finden bislang vor allem in technisch gut ausgestatteten Bevölkerungsschichten Verbreitung, in denen Erdoğan schon vorher nicht sehr beliebt war. Er hat seine Anhänger vor allem unter Religiösen und Bildungsfernen, die sich eher über das Fernsehen als durch das Internet informieren. Dort jedoch hat man die angeblichen oder tatsächlichen Telefonate bislang noch nicht ausgestrahlt. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass die die zweitgrößte Mediengruppe Turkuvaz seit einer von zwei staatlichen Banken und dem Emir von Katar finanzierten Übernahme der Çalık Holding gehört, deren CEO Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak ist.

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