Worum geht es in der Wissenschaft?

Seite 3: Glück und Moden in der Wissenschaft

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Ich schreibe dies auch als jemand, der in solchen Wettbewerben meistens erfolgreich war, jedenfalls bisher; aber ich wage zu behaupten, dass ich über genügend Selbstreflexion verfüge, um zumindest einige dieser Erfolge auf Glück zurückzuführen, oder dass ich schlicht zur rechten Zeit mit der rechten Idee am rechten Ort war. Ich profitierte zweifellos auch vom "Neurohype" seit der "Dekade des Gehirns", also den 1990ern, den ich heute vor allem kritisiere.

Kollegen und ich äußerten manchmal die Vermutung, dass schlicht die Aussage, man würde ein Experiment im Hirnscanner ausführen - früher machte ich selbst fMRT-Forschung -, die Erfolgsaussichten stark vergrößerte; unabhängig davon, ob diese Methode überhaupt für die Beantwortung der Forschungsfrage wichtig war.

Ich bin heute davon überzeugt, dass man viel übers menschliche Verhalten lernen kann, indem man schlicht dies erforscht: Verhalten! Und dass Gehirne zu komplex und unsere Modelle ihrer Funktionsweise zu simpel sind, um durch die Interpretation von Gehirnscans viel über den Menschen zu lernen (Gehirnscanner oder Verhalten?).

Streit mit der Bürokratie

Am meisten beunruhigen mich aber meine Erfahrungen mit der Niederländischen Forschungsorganisation NWO. Hier handelt die Regierung, die uns stets weismachen will, dass durch Wettbewerb alles besser wird. Meine eigene Forschung hat ergeben, dass diese Regierung im Einzelfall keinen fairen Wettbewerb garantieren kann und das allem Anschein nach auch gar nicht will.

Stattdessen denken sich Beamte, bis hin zu den höchsten Beamten, löchrige "cover stories" aus, um die eigenen Fehler unter den Teppich zu kehren. Das schließt nicht nur zahlreiche Rechtsbrüche, Missbrauch von Verfahrensregeln - also grundlegenden Menschenrechten - und strategisch verwendete Unwahrheiten ein, sondern meiner Analyse zufolge sogar ein paar dreiste Lügen.

Vor Gericht

Als mir das zu bunt wurde, beschritt ich den offiziellen Weg, habe inzwischen viermal (von vier Fällen) vor Gericht Recht bekommen, bis hin zum höchsten Verwaltungsgericht, und in der Hauptsache EUR 250.000 zuzüglich Prozesskosten und Zwangsgeld; eine Schadensersatzklage läuft, eine zweite kommt noch dazu. Das Forschungsprojekt, um das es ursprünglich ging, ist durch die ohnehin schon lange, von der Gegenpartei noch vielfach hinausgezögerte Verfahrensdauer inzwischen aber so überholt, dass es sich nicht mehr sinnvoll durchführen lässt.

Ob das alles der Mühe wert war - man stelle sich die ca. 2000 Seiten der Prozessakte vor und die ganzen Sitzungen und vernichteten Arbeitsstunden auf allen Seiten -, ist eine andere Frage. Vor allem die Dreistigkeit, mit der die Behörde ihren Standpunkt durchsetzen wollte und immer noch will, meiner Meinung nach weit außerhalb des Rahmens des Rechtsstaats, hat mich auch persönlich getroffen.

Warum müssen wir so miteinander umgehen? Allen Regeln und vermeintlichen Sachzwängen zum Trotz geht es hier immer um Menschen, die mit anderen Menschen auf die eine oder andere Weise umgehen.

Der Rechtsstaat ist kein Papiertieger

Ich schreibe das hier, um anderen vor Augen zu führen, dass man sich nicht alles bieten lassen muss: nicht vom Arbeitgeber und auch nicht von der Regierung. Wenn man diese Privilegien eines demokratischen Rechtsstaats hat, anders als vielleicht in China, Russland oder der Türkei, dann sollte man sie im Einzelfall auch nutzen. Sie stehen nicht nur auf dem Papier, um von uns im Stillen bewundert zu werden; sie wurden von unseren Vorfahren hart erkämpft.

Mir liegen Dokumente vor, die zeigen, dass auch andere Forscherinnen und Forscher so abgefertigt wurden - da sie aber keine Beschwerde einlegten, wurden die gegen sie genommenen illegalen Entscheidungen rechtskräftig und unanfechtbar. Die Behörde weiß, dass nur eine Minderheit den Rechtsweg bestreitet, und spekuliert vielleicht genau darauf. Erfolg heißt für sie nicht, dass alles mit rechten Dingen zugeht, sondern dass Entscheidungen rechtskräftig werden. In einer neueren Sache, die zurzeit läuft, folgt eine Wissenschaftlerin meinem Beispiel.

Mehr akademische Gemeinschaft

Zum Schluss möchte ich auf eine Rede der noch amtierenden Wissenschaftsministerin der Niederlande aufmerksam machen, mit der kürzlich an der Universität Nimwegen das akademische Jahr eröffnet wurde. Frau Bussemaker hat jetzt nichts mehr zu verlieren, ihre Tage als Ministerin sind gezählt und ihre Partei, die PvdA (die niederländische SPD), wurde bei den letzten Wahlen durch die Wählerinnen und Wähler beinahe vollständig vernichtet (sie hat 29 von 38 Sitzen verloren und jetzt nur noch 9).

Vielleicht spricht die Politikerin jetzt offener - fairerweise muss man aber auch sagen, dass sie in ihrer Amtszeit mehrmals Akzente setzte, die der Industrialisierung und Vermarktung der Wissenschaft entgegenstanden. Jedenfalls betonte sie in ihrer Rede das Wohlergehen und Glück der Menschen, auch der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst, und die Bedeutung der akademischen Gemeinschaft für Forschung und Lehre. Diese seien wichtiger als messbarer Output und die heute verbreiteten Ranglisten.

Erkenntnis, Solidarität und Autonomie

Ich wünsche mir, dass wir uns darauf besinnen, worum es in der Wissenschaft geht, warum wir tun, was wir tun, nämlich die Suche nach Erkenntnissen vom Menschen, der Gesellschaft und der Welt. Ich wünsche mir, dass wir uns mehr darauf konzentrieren, was wir gemeinsam haben, als auf das, was uns unterscheidet - einschließlich der Forschungsgelder und Preise, die wir erhalten haben.

Und ich wünsche mir, dass wir nicht vergessen, dass die Universität laut der Magna Charta der Universitäten, der echten Bologna-Erklärung, die durch über 800 Universitäten in 85 Ländern gezeichnet wurde, von politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Mächten unabhängig sein muss. Was denken Sie, wie viele Hochschulen heute noch diesem Maßstab gerecht werden?

Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors. Bei den Zwischentönen im Deutschlandfunk sprach der Autor kürzlich über die Freiheit der Wissenschaft.