Wovon Arbeiterkinder wirklich profitieren würden

Seite 3: Ein paar Ratschläge

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Ob Kinder von Nicht-Akademikerfamilien studieren oder nicht, hat viel mehr mit der Schule als mit der Universität zu tun. Man muss also zunächst einmal Chancengleichheit an der Schule schaffen. Dazu erscheinen zwei Maßnahmen wichtig:

  1. Ein weiterführender Schulbesuch darf auf gar keinen Fall mehr Geld als der einer anderen Schule kosten - oder, besser formuliert: Er darf gar kein Geld kosten. Die echten Probleme von Arbeiterkindern bestehen nicht darin, Fremdwörter zu verstehen oder zu schüchtern zu sein, um mit Professoren zu reden. Sie bestehen zum Beispiel daran, dass immer mehr Bundesländer skandalöserweise an der Lernmittelfreiheit kratzen (Übersicht). So hätte Annette Schavan 2004, damals noch Kultusministerin von Baden-Württemberg, gern die Lernmittelfreiheit abgeschafft, die dort aber zum Glück von der Verfassung geschützt ist (siehe den Übersichtslink von eben). Vier Jahre später wurde sie bekanntlich Honorarprofessorin an der FU Berlin, und zwar für ihre Verdienste um Wissenschaft [sic] und Gesellschaft [sic]. Wie viel Schulbücher man wohl für 150.000 EUR bekommt?
  2. Man kann zum mehrgliedrigen Schulsystem Deutschlands stehen, wie man will. Jedoch: Wenn man es befürwortet, darf man auf gar keinen Fall Eltern die Möglichkeit geben, ihr Kind nichts ins Gymnasium zu schicken, wenn es dafür die Eignung besitzt. "Ich hätte gern Abitur gemacht und dann Jura oder Medizin studiert. Aber das wollten meine Eltern nicht," hat Sibel Kekilli in mehreren Interviews betont, und dies, obwohl sie mit am besten in ihrer Schulklasse war. Ich könnte zahlreiche Beispiele aus meinem persönlichen Umfeld ergänzen, in denen Eltern ihre Kindern vom Gymnasialbesuch abhielten, und wie soll sich bitte ein 10-jähriger Junge (oder ein 15-jähriges Mädchen) dagegen wehren? Hier müsste es einen ganz klaren Automatismus geben, der den Elternwillen nicht einmal abfragt. Oder, anders formuliert: Die Fürsorge, die der Staat hier den Kindern schuldet, sollte über der Entscheidungsfreiheit der Eltern stehen (ist ja bei der Schulpflicht zum Glück auch nicht anders). Man kann es auch noch anders formulieren: Wahrhaft blutet das Gemeininteresse, wenn solch besonders begabte junge Menschen nie die Chance zum Studium erhalten.

Und an der Universität - mittlerweile haben wir es ja mit Erwachsenen zu tun - geht es schließlich nur noch um Geld. Hier ist seit meinen eigenen Studienzeiten vieles schlechter und nichts besser geworden. Beispiele?

  • Trotz klammer Finanzen und unterfinanzierter Universitäten nehmen die Länder regelmäßig viel Geld in die Hand, um "Privatuniversitäten", die nun wirklich für die allermeisten Arbeiter- und Akademikerkinder unerschwinglich bleiben, zu finanzieren. Beispiel gefällig? Die Kaffeeröster-Uni zu Bremen, wo die Studiengebühren schlappe 20.000 EUR pro Jahr betragen, hat vom notorisch ärmlichen Land Bremen nicht weniger als 109 Millionen EUR erhalten. Schon klar, dass dieses Geld anderswo fehlt.
  • In der guten alten Zeit gab es großzügige Erlasse der Bafög-Schuld für die besten 30% eines Jahrgangs. Das wurde anscheinend ohne größere Proteste zum Ende vergangenen Jahres abgeschafft.
  • Das "Deutschlandstipendium" ist mit seinen 300 EUR ein nice-to-have, aber nichts, was einen irgendwie finanzieren würde. Dass die Hälfte des Finanzbedarfs von den Universitäten bei Sponsoren eingeworben werden muss, dürfte bedeuten, dass es in München oder Stuttgart sehr viel mehr "Deutschlandstipendien" gibt als in Frankfurt (Oder) oder Zwickau - genaue Zahlen habe ich nicht.

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