Wright City

Frank Lloyd Wrights städtebauliche Visionen im Vitra Design Museum Berlin

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In seinem berühmtesten Museum muss man die Bilder schief aufhängen1: Frank Lloyd Wrights prägnante Architektur kombiniert fast immer Utopie und Nutzwert, mit bisweilen schrägem Ergebniss. Dem wohl berühmtesten Architekten der Vereinigten Staaten von Amerika widmet das Vitra Design Museum in Berlin eine Ausstellung, in der, neben einer Dokumentation seiner Bauten und unrealisierten Projekte, besonders auf seine stadtplanerischen Entwürfe eingegangen wird.

Und so geht die Stadt dorthin, wohin und wann immer er [der Einzelne] geht, und zwar dorthin, wo er all das genießen kann, was ihm die zentralisierte Stadt je wirklich geboten hat, und dazu noch die Sicherheit, Freiheit und Schönheit seines eigenen Grund und Bodens.

Frank Lloyd Wright

In diesem Moment ist der Nordmerikaner angekommen in der Stadt seiner Zukunft, im Entwurf eines seiner berühmtesten Landsmänner. Doch 1932, als der Architekt Frank Lloyd Wright in seinem Buch "The Disappearing City" diese Utopie beschreibt, steht der Urban Sprawl der heutigen US-Metropolen, wie Los Angeles, erst am Anfang seiner beispiellosen Durchsetzung, und von dezentralisierter Arbeit ist noch keine Rede. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches ist Frank Lloyd Wright bereits 65 Jahre alt, hat ein (für den Westen) komplett neues Architekturprinzip eines ineinander verflochtenen Raumkontinuums entwickelt, damit vor allem Privathäuser, aber auch Fabrikzentralen und Kirchen gebaut, die Moderne eingeleitet, seine Nachfolger der ersten und zweiten Generation beeinflusst; und sollte danach noch weitere 27 Jahre leben und arbeiten.

Broadacre City nennt er diese Stadterfindung, weil ihr Konzept auf dem Prinzip "ein Acre (4047 qm2) Land pro Familie" beruht. Der Entwurf ist gekennzeichnet von einer Entwicklung, an deren Anfang die Gesellschaft Wrights in den Dreißigern stand: Wright beobachtete, dass Straßenbau und elektronische Kommunikation die weitere Entwicklung der Architektur und des Städtebaus beeinflussen würden, und begann für eine mobile, individualisierte Gesellschaft zu planen. Ein post-industrieller Entwurf, der sich von der Stadt des Manchester-Kapitalismus verabschiedet und darin einen Schritt weiter geht als Ebenezer Howards Garden City: Die räumliche Anbindung an die Produktionsstätte wird durch das Auto in eine andere Dimension verschoben - für Wright sind 150 Meilen ein positiver Richtwert, "bequem und schnell zu erreichen mit dem eigenen Auto oder Flugzeug"2. Die Menschen werden die Städte verlassen wollen. Beeinflusst vom Überangebot an freiem Raum in Zentral- und West-USA spielt die Effizienz in der Flächenplanung keine Rolle mehr.

Wrights Begeisterung für den automobilen Individualismus äußert sich in fast naiven Landschaftsbeschreibungen: "Stellen wir uns weiträumig in die Landschaft integrierte [sic!] Autobahnen vor... Gewaltige Straßen, schon für sich genommen großartige Architektur, führen an Raststätten vorüber...." 3. Wright konstruiert gewagte Autobahnkreuzungen, mit denen der reibungslose Verkehr gewährleistet werden soll. Der Bahn gibt er kaum noch Chancen: Längst zeichnet sich das Flugzeug als Fernverkehrsmittel ab, und im städtischen Bereich sollen "Aerotoren", Individualhubschrauber, die Fortbewegung ermöglichen.

In "The Disappearing City" verzichtet Wright zunächst auf eine Visualisierung dieser Ideen, doch drei Jahre später wird im Rockefeller Center ein Modell ausgestellt. Mit den Entwürfe und Zeichnungen wird ein weiteres Buch erstellt, das unter dem Titel "When Democracy Builds" 1945 erscheint. Im Nachwort zu diesem Buch beschreibt er seine Ideen fast drohend als "allgemeine Hinweise zu einer durchaus praktikablen Idee, deren Verwirklichung schon im Gange ist". Tatsächlich sieht Wright einige der Gebäude, die er bereits realisiert hat, vor allem aber seine Projekt gebliebenen Entwürfe als Teil seines Stadtbildes an. Folgerichtig erscheinen diese dann in der 1958 entstandenen, letzten Fassung seiner utopischen Stadt. "The Living City" kann wie ein Vermächtnis des ein Jahr später gestorbenen Frank Lloyd Wright verstanden werden, der seine über ganz USA verstreuten Bauten zusammen mit seinen Entwürfen zu einer Idealstadt vereint: Eine Wright City ist diese Stadt - natürlich auch geprägt von der Eitelkeit des Architekten.

Das Vitra Design Museum stellt innerhalb seiner Retrospektive ein Modell dieser "Living City" aus, das zusammen mit dem Direktor des Frank-Lloyd-Wright-Archivs vor vier Jahren gebaut wurde. Mit den Zeichnungen von Wrights imaginärer Stadt, die er von seinen Schülern erstellen ließ, ergibt sich ein umfassender Überblick. Man schwebt quasi wie in einem der abgebildeten Aerotoren über Utopia ein und grüßt in Gedanken links H.G. Wells und rechts Aldous Huxley, dessen späte libertäre Phantasien Wright allerdings unberücksichtigt gelassen haben dürfte, trotz seines eigenen zweideutigen Rufes in Beziehungsdingen.

Unberücksichtigt gelassen werden außerdem auch sämtliche anderen sozialen Realitäten; angefangen mit der Tatsache, dass auch Wright realistischerweise nicht mit einem Auto für alle, und folglich mit einer eher dienstleistenden, wenn nicht gar gezwungenermaßen arbeitslosen Unterklasse zu rechnen hatte. Wie in allen gleich gearteten Entwürfen schleicht sich über die Sauberkeit und den barocken Pathos automatisch ein totalitärer Anspruch in die Utopie. Ob sich deswegen Meyer Shapiro zu der Aussage, der Entwurf sei "typischer Ausdruck eines physischen und geistigen Verfalls" hinreissen ließ?4 Bemängelt wird von Wrights Zeitgenossen allemal, dass sich in dieser Vorwegnahme der Technoburbs die Orte fürs Gemeinschaftliche nicht mehr ausmachen lassen.

Die Ausstellung und der umfangreiche Katalog antworten an Stelle Wrights mit einer Auflistung seiner "Bauten für die Gemeinschaft" - einer der neun Sektionen der retrospektiven Konzeption, die sämtlich unter "Entwürfe für eine lebendige Stadt" geführt werden. Vor allem nach 1938 entstehen Pläne für Bürgerzentren in Madison und in Pittsburgh, ein "Kapitol" des Staates Arizona in Phoenix und ein Verwaltungszentrum in San Rafael. Letzteres stellt einen allerdings von expressionistischer Formgebung beeinflussten Zweckbau dar, der in den Jahren 1956-62 realisiert wurde. Ganz anders die vorherigen Beispiele: Die Entwürfe zu diesen Zentren lassen an gigantische, hell erleuchtete Tempelansammlungen in einem zentral organisierten, fast barocken Gesamtensemble denken. Der Einfluss Wrights auf die nordamerikanische Architektur hat sich in dieser Form, so scheint es, bislang nur in Las Vegas manifestiert.

Die gleichzeitig entstehenden Siedlungsentwürfe, die zum Teil auch realisiert wurden, kommen in ihrer Nüchternheit dem früheren Wright und seinen klaren, offenen Hausstrukturen wieder näher. Hier zeigt sich doch ein Gartenstädtler US-amerikanischer Prägung - und damit, wie der Urbanistikforscher Jon Lang hervorgehoben hat, der empiristische Visionär; im Gegensatz zu den Rationalisten, als welchen schon Wright beispielsweise Le Corbusier erkannt hatte. Frank Lloyd Wrights Utopien vom Leben einer freien Gesellschaft sind im amerikanischsten Sinne religiös: The Land of the Free, das bezog sich schon immer auf die Freiheit einer Ausübung von Religionen, die in Europa verboten waren; und Wrights Herkunft aus einer liberalen Unitarierfamilie hat ihn stark beeinflusst. Vor dem Hintergrund einer Moderne, die Geschichte geworden ist, muten seine Konzepte bisweilen fast scheinheilig an: Innerhalb der spektakelorientierten Ökonomie, die US-Amerika erfunden hat, kann er ausgehend von einer "Welt der spirituellen Einheit"5 problemlos von kosmischer Einheit sprechen und das Auto meinen; oder an die ideale Gemeinschaft denken und ein Casino bauen.

Katalog hrsg. von David G. De Long, 330 S., ill. DM 68.- Ausstellung Bis 14. Oktober, Di-Do 11-20Uhr, Fr/Sa 11-22Uhr. Vitra Design Museum Berlin Kopenhagener Strasse 58, 10437 Berlin