Würmer, Grillen, Heuschrecken – bald auch bei uns auf dem Tisch?

Seite 2: Gehören Insekten bald zu unserem Speiseplan?

Historisch gesehen waren Insekten schon immer Bestandteil menschlicher Nahrung. So aßen die alten Griechen und Römer regelmäßig fette Larven, selbst Aristoteles wusste, wie man Zikaden zubereitet. In Deutschland, Luxemburg und Frankreich verspeiste man bis ins 20. Jahrhundert hinein Maikäfer. Das heutige Insektennahrungstabu in Mitteleuropa ist eher die Ausnahme.

Mittlerweile steigt die Akzeptanz für Insekten-Essen, vor allem bei der jungen Generation. Wüsste man nicht, dass Insekten in dem Essen verarbeitet sind, würde man sie nicht erkennen, glaubt Restaurantkritikerin Tina Hüttl.

Bei frittierten Heuschrecken allerdings sehe man jedes Bein, jedes Greifwerkzeug. Das schluckt man nicht so ohne Weiteres herunter, räumt sie ein. Dieser Ekel vor Insekten auf dem Teller ist uns vermutlich kulturell anerzogen. Bekämen Kinder von klein auf Insekten zu essen, fänden sie das wohl normal.

Inzwischen gibt es Insektenfarmen sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden und in Spanien. Ein finnischer Hersteller produziert Brot mit Grillenmehl. Der Großteil der Hersteller aus Europa importiert allerdings aus Regionen wie Südostasien oder Kanada. Noch sind die Produktionsmengen in Europa überschaubar.

Doch sobald große Hersteller ihre Produktion hochfahren, werde auch der Preis fallen, hoffen Branchenkenner wie Folke Dammann. Ginge es nach ihm, sollte Fleisch sehr viel teurer werden, die Insekten ein wenig preiswerter.

Marktforschungsinstitute schätzen den Umsatz des Sektors für 2023 auf mehr als eine Milliarde US-Dollar, für 2030 sogar auf acht Milliarden. Konzerne wie Nestlé, Cargill und PepsiCo zeigen Interesse. Auch die Bill-and-Melinda-Gates-Stiftung finanziert bereits erste Unternehmen.

Thailand: Geschäft mit Insekten geht auf Kosten von Mensch und Natur

Wie die Forscherin Julieta Ramos-Elorduy ermittelte, essen Menschen von mehr als 3.000 Ethnien in 130 zumeist tropischen Ländern Insekten. So isst man in Mexiko Heuschrecken, in Botswana Mopane-Raupen und Wasserkäfer in China. In Südostasien wird besonders gerne die Riesenwasserwanze verzehrt, die sich selbst wiederum von Wasserinsekten, Kaulquappen, Fröschen, Schnecken, Salamandern, Fischbrut und kleinen Fischen ernährt.

Alleine in Thailand entstanden während der letzten zwanzig Jahre schätzungsweise 20.000 Grillenfarmen. Industriell produzierte Tiere sind deutlich günstiger als wild gesammelte Insekten, doch immer noch teurer als Fleisch. Höchster Kostenfaktor ist das Futter – bestehend aus importiertem Soja sowie Fischmehl – beides ist ökologisch problematisch.

Eine Studie von 2015 analysierte die Grillenzucht im Vergleich zu Hühnerfarmen auf ihre Nachhaltigkeit. Im Ergebnis waren die Grillenfarmen keineswegs nachhaltiger. Hinzu kommt, dass die industriell gezüchteten Grillen energieaufwendig zu Mehl verarbeitet und anschließend durch die halbe Welt transportiert werden. Wegen der niedrigeren Lohnkosten ist Grillenmehl aus Thailand dreimal günstiger als das aus Kanada. Im Westen wird das Mehl zu Energieriegeln u. ä. verarbeitet. Ein anderer Kritikpunkt ist die Kinderarbeit, die im Geschäft mit den Insekten weit verbreitet ist.

Insekten werden aus ärmeren Nachbarländern wie Laos und Kambodscha in die urbanen Zentren Thailands exportiert. Zwar bietet der lukrative Insektenmarkt auch ärmeren Menschen neue Einnahmequellen. Doch langfristig profitieren nur wenige Unternehmen. Online vertriebene Insektenprodukte kosten zudem durchschnittlich 25 US-Dollar pro 30-Gramm-Portion und sind somit für einen Großteil der Weltbevölkerung unerschwinglich.

Ein weiteres Problem bei der Wildsammlung ist, dass in landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen bestimmte Arten immer seltener werden. Dies führt mit gleichzeitig steigenden Nachfrage zu immer höheren Preisen, die arme Menschen in der Region nicht zahlen können.

Das führt dazu, dass natürliche Ressourcen immer knapper werden. "Wenn Unternehmen massenweise Insekten von uns aufkaufen, hat die nächste Generation hier nicht mehr genug zu essen", bringt eine thailändische Insektensammlerin das Problem auf den Punkt.

Insekten werden strukturell bedingte Hungerprobleme nicht lösen

Noch weiß niemand, wie sich der Sektor entwickelt und ob er ähnliche Probleme mit sich bringt wie die konventionelle Viehzucht: Krankheiten, Antibiotika, Tierquälerei. Immerhin setzen Produzenten in Europa meist auf lokale, nachhaltige Produktion. Was die Bekämpfung des Welthungers angeht, so wird gerne unterschlagen, dass im Prinzip bereits heute genug Nahrung für alle Menschen da ist – rein theoretisch.

Doch mehr als 90 Prozent aller Hungernden sind schlicht zu arm, um genug Nahrung zu kaufen, weiß Eric Holt Giménez, Agrarökonom und Geschäftsführer der NGO Food First. Nahrungsmittel sind ungleich verteilt oder gelangen infolge unterbrochener Lieferketten nicht in die Länder, in denen sie dringend gebraucht werden. An strukturellen Ungleichheiten dieser Art wird wohl auch Insekten-Food nichts ändern.

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