Wut auf Computer

Eine britische Studie konstatiert wachsende Frustration und ein ernsthaftes Problem

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Mit einem neuen Namen hat man in den Sozialwissenschaften oft auch schon ein neues Phänomen gefunden, das man dann ausschlachten kann. Computer breiten sich in der Arbeitswelt unabwendbar aus und werden zum Alltagsgerät, das trotz des mittlerweile "betagten" Alters noch immer dank der schlampig programmierten Software und Inkompatibilitäten bekanntlich seine Mucken hat - und die nicht zu wenig. Das stille Leiden der Benutzer, zumal wenn sie keine Experten und Bastler sind und erwarten, daß das Arbeitsgerät einfach funktioniert, schlägt gelegentlich und wahrscheinlich gar nicht so selten in Wut oder Frustration um. Mit einem Namen belegt, der natürlich am besten auf Englisch klingt, ist das "Computer Rage" oder "IT Stress".

Im Auftrag von Compaq hat die britische Markt & Opinion Research International (MORI) 1250 Angestellte in Großbritannnien befragt, ob die Informationstechnologie ein Fluch oder ein Segen für sie sei. 80 Prozent der Befragten haben Kollegen beobachtet, die ihre Frustration verbal oder mit Faustschlägen an ihren Computern abreagieren, und die Hälfte gab an, sie seien manchmal so gestresst von der Technik, daß sie am liebsten zurückschlagen würden. Und wenn der Computer einmal abgestürzt ist, was das tägliche Schicksal vieler ist, würde auch das propagierte Affective Computing wohl nichts mehr nutzen, bei dem man den Ärger abfangen will, indem man die aufwallende Stimmung der Benutzer mißt.

Compaq nimmt sich dieses Themas natürlich an, um zu zeigen, wie gut die Firma dies lösen kann, aber erst einmal muß ein Problembewußtsein und ein Phänomen geschaffen sein, um dann eine Lösung anbieten zu können, durch die man sich Wettbewerbsvorteile verspricht. Angeblich erfolgen die Hälfte aller Anrufe bei der Hotline der Firma aus dem Grund, weil die Benutzer ihr Kennwort vergessen haben und so vom Zugang zu ihrem Computer ausgeschlossen sind (siehe auch die Glosse: Alphanumerisches Chaos). Da könnte natürlich eine andere Technik, die das menschliche Gedächtnis umgeht, beispielsweise ein Scanner zur Identifizierung von Fingerabdrücken Abhilfe schaffen, wenn das Netzwerk nicht zusammengebrochen ist und nicht dadurch neue Probleme entstehen.

Aber auch die Psychologen haben jetzt ein neues Arbeitsfeld, um Therapien für den geplagten Herrn oder Bediener des angeblich klugen und zeitsparenden Helferleins zu finden, dem die Experten die Mucken anscheinend nur schwer technisch austreiben können. Zumindest bietet Professor Robert Edelmann, zuständig für Arbeitskonflikte und Kommentator der Studie, jedem seine Hilfe über einen kostenpflichtigen Telefonanruf an. Um dem ganzen mehr Gewicht zu verleihen, hat der Professor eine neue Diagnose geprägt: technikbedingte Angst oder, damit es wissenschaftlicher klingt. die Abkürzung TRA (technology-related anxiety). Dieses Nebenprodukt unserer "Obsession mit der Technik" sei eine ernstzunehmende - und daher wohl einen Experten der biologischen Software verlangende - "moderne Erkrankung". Schließlich entsteht "computer rage" nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch in der Freizeit. Auf jeden Fall sieht man einmal wieder, daß Technik, die Arbeit ersetzen soll, neue Arbeit auch in Form von Dienstleistung schafft - und sei es nur, um das Selbstwertgefühl wiederherzustellen, denn viele bezichtigen sich wegen der PCs der Dummheit und der Unwissenheit.

Gute Ratschläge für die Frustrierten hat der Psychologe auch. Man soll beispielsweise dem Computer Zeit lassen, mit dem Problem selbst fertig zu werden, bevor man in Aktion tritt. Oder man soll sich Zeit zum Nachdenken lassen und dann erst einmal selbst das Problem durchgehen, bevor man die Experten holt, denen gegenüber man freundlich sein soll. Warten kann man produktiv nutzen, indem man sonstige Arbeit erledigt. Schließlich ist man dann nicht durch Emails, Chats oder andere Vergnügungen von der Arbeit abgelenkt. Wenn man zornig wird, lieber eine kleine Pause machen, aber nicht laut herumschimpfen, weil das für die Kollegen unangenehm sein könnte. Und ansonsten soll man den Computer lieber nicht körperlich attackieren, weil das doch nur alles schlimmer mache. Soweit also der Psychologe.

Die Hälfte der Befragten fühlt sich frustriert, weil es so lange dauert, bis die Schwierigkeiten mit dem Computer wieder behoben sind. Ein Drittel derjenigen, die täglich Computerabstürze erleben, sagt, daß es mindestens eine Stunde benötige, um die Maschine wieder in Gang zu bringen. 40 Prozent geben auch dem Computerjargon die Schuld an den Problemen. 22 Prozent beklagten sich über die Experten aus der Computerabteilung, die zwar die Symptome abstellen, aber nicht die dahinterliegende Fehlerquelle beheben würden. Wer älter als 55 Jahre ist und daher nicht schon mit Computern aufgewachsen ist, macht eher sich selbst für auftretende Probleme verantwortlich, während durchschnittlich 20 Prozent der Firma die Schuld zuschieben, weil sie nicht genügend in die Computerausrüstung investiert habe. Ein Viertel ist der Überzeugung, daß die Schwierigkeiten aus inkompatibler Soft- und Hardware stammen.

Leiter der Computerabteilung zu sein, scheint ein wenig geliebter Job zu sein. Neun von zehn Befragten würden diese Arbeit nicht machen wollen. Aber sie nehmen die Armen auch in Schutz, wenn 75 Prozent sagen, daß diese nicht mehr Probleme wirklich beheben können. Die IT-Firmen und die Arbeitgeber sollten also mehr darauf achten, ein funktionierendes Computersystem bereit zu stellen, so daß die Arbeit stressfreier wird.

Selbstverständlich ist "computer rage" neben der psychischen Belastung der Angestellten auch ein Kostenfaktor. Fast ein Viertel der Befragten gab an, daß ihre Arbeit täglich wegen eines Computerabsturzes oder anderer Probleme mit der Technik unterbrochen werde. Dadurch können Termine nicht eingehalten werden oder werden Geschäftsbeziehungen ernsthaft beeinträchtigt. Die Angestellten im öffentlichen Dienst neigen angeblich dazu, sich nicht um die auftretenden technischen Probleme zu kümmern und einfach wegzugehen, wenn sie nicht mehr arbeiten können. Ein Drittel derjenigen, die täglich Probleme erleben, sagt, daß er deswegen länger arbeiten oder Arbeit mit nach Hause nehmen müsse. So verbessern also Computer die Arbeitsproduktivität.