Zehn Jahre Fukushima: Was schief gehen kann, geht schief

AKW Fukushima nach Erdbeben und Tsunami 2011. Zu sehen sind die vier Reaktoren. Bild: Digital Globe, CC BY-SA 3.0

Der Betrieb von Atomkraftwerken ist hochriskant. Aber zum Glück gibt es in Europa kaum Nachfolger für die Methusalem-Reaktoren. Ein Kommentar

Es war eines der schwersten je registrierten Erdbeben, das am frühen Nachmittag des 11. März 2011 den Meeresboden vor der Küste Japans erschütterte und eine extrem zerstörerische Flutwelle auslöste. Aber es kam nicht ganz unerwartet.

Japan ist ein sogenannter Inselbogen. Seine großen und kleinen Inseln sind Ergebnis eines intensiven Vulkanismus. Erdbeben, auch besonders starke Erdbeben, sind keine Seltenheit und jederzeit zu erwarten.

Ebenso die Flutwellen, die Tsunamis. Das alle Welt diesen japanischen Begriff benutzt, zeigt bereits, dass es ein in Nippon besonders häufig auftretendes Phänomen ist.

Dennoch wurde das Gelände an der Küste, auf dem das Atomkraftwerk (AKW) Fukushima Daiichi Ende der 1960er Jahre errichtet wurde, eigens abgetragen. Man wollte Energie sparen, denn das Kraftwerk wurde mit Meerwasser gekühlt und das hätte andernfalls höher hinauf gepumpt werden müssen. Der energetische wie monetäre Ertrag der Anlagen wäre geschmälert worden.

Daher konnte der Tsunami mit voller Wucht die Reaktorgebäude treffen und schließlich die Notkühlung außer Gefecht setzen. Das Ergebnis ist bekannt. Nach und nach kam es in den drei zum Zeitpunkt des Bebens im Betrieb befindlichen Reaktorblöcken zur Kernschmelze und große Mengen Radioaktivität wurden freigesetzt.

Die rund um das AKW durch den Tsunami verheerte Region ist seitdem unbewohnt, auch wenn die konservativen Regierungen versuchen, die Menschen zur Rückkehr zu bewegen. Tausende haben ihre Häuser, ihre gewohnte Umgebung, die Grundlagen ihrer beruflichen Existenz, die Sicherheit für den Lebensabend verloren. Das menschliche Leid ist groß und der wirtschaftliche Schaden gewaltig.

Der Mensch ist fehlbar

Der Fall ist symptomatisch für den Umgang mit der Atomenergie in aller Welt und die systematische Unterschätzung der Risiken. Atomkraftwerke sind eine Technologie, bei der wegen der großen Gefahren nichts schief gehen darf. Doch alle menschliche Erfahrung zeigt, dass das unrealistisch ist.

Das liegt unter anderem daran, dass der Mensch fehlbar ist. Er kann unaufmerksam und nachlässig sein, er überschätzt sich gerne, und sofern seine Unternehmen gewinnorientiert arbeiten, unterbleiben schon mal notwendige Investitionen, die die Sicherheit erhöhen würden. Wie zum Beispiel eine Tsunami-Schutzmauer vor dem AKW Fukushima Daiichi.

Wenn, um ein anderes Beispiel zu nennen, die in Deutschland existierende Vorschrift, die Anlagen jeweils auf dem neuesten Stand der Technik zu halten, ernst genommen würde, hätten die hiesigen AKW schon vor vielen Jahren abgeschaltet werden müssen, weil sich die Nachrüstung nicht gelohnt hätte.

Statt dessen schenkt die Bundesregierung den Betreibern noch 2,4 Milliarden Euro für die Stilllegung ihrer längst abgeschriebenen Anlagen. Einige von ihnen hatten, wie etwa Vattenfalls Pannenreaktor Krümmel, bei ihrem offiziellen Ende 2011 bereits seit Jahren keinen Strom mehr geliefert.

Wenn das belgische AKW Tihange hochginge

Unfälle von den Ausmaßen wie Fukushima oder Tschernobyl kommen alle paar Jahrzehnte vor. Das ist verglichen mit anderen Industrieunfällen selten, dennoch ist das Risiko groß. Risiko ist nämlich nicht nur eine Funktion der Häufigkeit, das heißt, der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch des zu erwartenden Schadens.

Ein Beispiel kann das veranschaulichen: Gäbe es eine Wahrscheinlichkeit von 0,1 Prozent, dass ein Kind auf der Straße überfahren werden könnte, wenn man es unbeaufsichtigt vor die Tür ließe, dann würden die allermeisten Eltern das völlig zurecht als ein unvertretbar hohes Risiko empfinden und ihr Kind nur noch in Begleitung nach draußen lassen.

So ähnlich verhält es sich mit der Atomenergie. Die schweren Unfälle mögen selten sein, aber sie sind – wie Fukushima und Tschernobyl zeigen – nicht ausgeschlossen. Noch Jahrzehnte nach den Unfällen leiden und sterben Menschen an den Folgen und ganze Regionen werden für Generationen unbewohnbar.

Man stelle sich nur einmal vor, ein vergleichbarer Vorfall würde sich in Belgiens altersschwachen und rissigen AKW Tihange ereignen, das unweit der Grenze westlich von Aachen steht und dessen ältester Block bereits seit 46 Jahren läuft.

Mehrere Millionen Menschen müssten, vorausgesetzt es herrscht zum Zeitpunkt der Explosion des Reaktordruckbehälters der in unseren Breiten häufige Westwind, aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz und dem südlichen Nordrhein-Westfalen umgesiedelt werden. Infrastruktur im Wert Dutzender Milliarden Euro würde wertlos.

Keine Renaissance der Atomkraft in Sicht

Dennoch fantasieren Lobbygruppen und einige Journalisten alle paar Jahre eine Renaissance der Atomkraft herbei. Die Stromversorgung funktioniere nicht ohne Atomkraft, Atomstrom sei billig und er schütze das Klima lauten für gewöhnlich die Argumente.

Momentan wird besonders gern der Klimaschutz vorgeschoben, doch allein schon die langen Bauzeiten und die hohen Kosten zeigen, dass Atomkraft in Europa keinen wesentlichen Teil zur Stromversorgung mehr beitragen und somit kaum die Kohlekraftwerke ersetzen kann.

Tatsächlich werden außerhalb Chinas, Russlands und Indiens kaum AKW gebaut, wobei in Indien die Vorhaben meist auf massiven Protest der örtlichen Bevölkerung stoßen und sich auch in China unter der Oberfläche Unmut rührt.

In der EU gibt es in Frankreich und Finnland zwei Baustellen, auf denen die Kosten explodieren und sich die Fertigstellung seit vielen Jahren verzögert. In Finnland heißt es derzeit, dass im Februar 2022 mit dem Beginn des kommerziellen Betriebs gerechnet werden kann. Das wäre rund zehn Jahre nach dem ursprünglich versprochenen Termin.

Die Kredite kommen übrigens von einem Bankenkonsortium, dass die BayernLB managt. Eines der vielen Beispiele dafür, dass der 2011 erneuerte deutsche Atomausstieg nur sehr unvollkommen ist. Über Brennelementherstellung, Urananreicherung und eben Bankkredite bleibt man weiter in dem gefährlichen Geschäft.

Niemand will mehr ein AKW in Großbritannien bauen

Doch ausnahmsweise kann man in diesem Fall auch ein wenig auf den Markt hoffen. In den meisten Ländern ist die AKW-Flotte hoffnungslos überaltert und wird in den nächsten 20 Jahren unweigerlich stillgelegt werden müssen. Neubauten sind aber, von den genannten Ausnahmen abgesehen, kaum in Sicht.

Großbritannien versucht schon seit Jahren händeringend Unternehmen zu finden, die ihm neue AKW bauen. Doch außer einigen chinesischen Firmen und der französischen EDF zeigt niemand nachhaltiges Interesse. In Frankreich ist zudem das Auslandsengagement des dortigen Strommonopolisten höchst umstritten.

Immerhin wird seit 2016 im Südwesten Englands an zwei Reaktoren gebaut. Die geschätzten Baukosten liegen laut Frankfurter Rundschau inzwischen bei 27 statt 21,5 Milliarden Euro, die Fertigstellung werde nach aktuellem Stand 2026 statt 2025 erfolgen.

Nur für Wind- oder Solarenergie traumhaft erscheinende Bedingungen konnten die Bauherren schließlich locken: Für 35 Jahre wird ein Fixpreis von rund zwölf Euro-Cent pro Kilowattstunde garantiert, der sogar noch an die Inflation angepasst werden soll.

Mit einer neuen Solaranlage würde man sich bei solchen Konditionen eine goldene Nase verdienen, doch der AKW-Bau bleibt offenbar angesichts des stets unterschätzten Kapitalbedarfs und nicht bedachter technischer Probleme auch bei Vorzugsbehandlung riskant.

Bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass die europäischen Regierungen nicht Murphys Gesetz ("Was schief gehen kann, geht schief") über das Schicksal der inzwischen oft schon über 40 Jahre laufenden Reaktoren entscheiden lassen.

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