Zeitenwende: Die Grüne Energiekrise
Seite 2: Grünen-Wähler für "normativ ausgerichtete Außenpolitik"
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Das Referat Analyse und Planung in der Friedrich-Ebert-Stiftung hat festgestellt, dass die Grünen-Wählerschaft im Kern (84 Prozent) eine stark normativ ausgerichtete Außenpolitik befürwortet, die so genannte Werte trotz möglicher negativer Folgen über Interessen stellt.
Demnach befürworten mehr als die Hälfte der befragten Grünen-Wählerinnen und -Wähler auch militärische Eingriffe Deutschlands in Konflikte. Damit sind die Grünen-Anhängerinnen und -Anhänger weit eingriffsfreudiger als die restliche Wählerschaft.
Laut Catrina Schläger, der Leiterin des Referats, geht mit dieser Haltung eine Art Kultivierung und grundsätzliche Akzeptanz militärischer Gewalt einher, die für Deutschland "zumindest ungewöhnlich" ist, wie sie schreibt.
Nach dieser Logik nehmen Grünen-Anhänger die Klimakatastrophe gerne hin, solange sie Russland mehr schadet als uns selber, um eine strategische Vorgabe zu paraphrasieren, die Bundeskanzler Scholz ausgegeben hat. Diese Haltung wird bei unserem wichtigsten Partner natürlich wohlwollend zur Kenntnis genommen.
Die Bereitschaft der Europäer, schmerzhafte Schritte zu unternehmen, insbesondere wenn es darum geht, Europa von russischer Energie abzukapseln, sei ein gutes und positives Zeichen, lobt etwa Professor Charles Kupchan, unter Barack Obama Direktor für europäische Angelegenheiten im Nationalen Sicherheitsrat, die Zeitenwende der Bundesregierung.
Auf irgendeine Weise scheint diese Zeitenwende also Werthaltungen mit Energieinteressen zu verknüpfen. Dabei lassen sich ein moralischer und einer strategischer Zugang unterscheiden. Ersterer geht davon aus, dass wir grundsätzlich keine Geschäfte mit Unternehmen aus Staaten machen sollten, die andere Länder mit Krieg überziehen und ihre Oppositionellen schlecht behandeln.
Das ist sicher die unter Grünen-Wählern am stärksten verbreitete Haltung, die auch unzählige Journalisten täglich herausstellen. Allerdings kollidiert sie offensichtlich mit der komplexen wirtschaftlichen und politischen Realität.
Natürlich wollen weder Robert Habeck noch Annalena Baerbock die Beziehungen zu Saudi-Arabien, der Türkei oder Ägypten abbrechen, um nur die wirklich übelsten Regime aus der Gruppe unserer allerengsten Verbündeten zu erwähnen.
Dieser taktische Umgang mit den so genannten Werten ist dem grünen Spitzenpersonal natürlich bewusst. Als die Außenministerin vor dem Sommer in den Ausschuss für Menschenrechte des Bundestages eingeladen war, eröffnete sie ihren Beitrag mit einem kleinen Scherz: Ihr würden ja gelegentlich doppelte Standards in Menschenrechtsfragen vorgeworfen, so die Außenministerin, deshalb beginne sie heute mal nicht mit dem Thema Russland, sondern mit China.
Dem folgten die üblichen Lamenti, welch schlimme Zustände bei Washingtons aktuellen Lieblingsgegnern herrschen. Als Abgeordnete aus SPD und Linksfraktion nach Vorfällen in Bahrein und der Türkei fragten, reagierte Baerbock plötzlich ganz realistisch: In der Außenpolitik gebe es regelmäßig Situationen, in denen man trotz Kritik zusammenarbeiten müsse, bestimmte Staaten "brauchen wir eben".
Das Paradoxe an dieser Argumentation ist offensichtlich: Wir brauchen die wirtschaftlichen Beziehungen zur Russischen Föderation oder der Volksrepublik China sehr viel mehr, wie ein schneller Blick auf die Außenhandelsstatistik verrät.
Die strategische Argumentation
An dieser Stelle kommt der zweite Zugang ins Spiel, die strategische Argumentation. Demnach sind intensive Beziehungen zu Staaten, die aus irgendwelchen Gründen gerade nicht opportun erscheinen, nämlich Abhängigkeit, und das ist, wie alle wissen, die mit Christiane F. erzogen wurden, ein wirklich schlimmer und gefährlicher Zustand.
Wenn Annalena Baerbock allerdings ausreichend Zeit mit dem Fachbereich Internationale Beziehungen verbracht hätte, wüsste sie natürlich, dass schon einer der Großmeister des Fachbereiches, Kenneth Waltz, sorgfältig zwischen Abhängigkeit und Verletzbarkeit unterschied.
Natürlich hat eine stärkere wirtschaftliche Vernetzung ein höheres Maß an Abhängigkeiten erzeugt, allerdings sind diese in der Regel gegenseitig (Interdependenz). Das Maß an Verletzbarkeit (Vulnerability) hängt dabei stark von der Größe und inneren Diversifizierung der beteiligten Volkswirtschaften ab, da sie Möglichkeiten bieten, mögliche Ausfälle zu ersetzen.
Vor diesem Hintergrund sollte man davon ausgehen, dass die Verletzbarkeit der russischen Volkswirtschaft mit ihrer hochgradigen Fokussierung auf fossile Energieförderung erheblich höher ist. Auch das ist natürlich ein Grund dafür, dass keine russische Regierung in den vergangenen Jahren 50 Jahren versucht hat, die Energiewaffe gegen Deutschland oder andere EU-Staaten einzusetzen.
Die SPD
Dies interessante Frage ist natürlich, wie lange Olaf Scholz und die SPD diese Linie noch durchhalten. Im Unterschied zur Kernwählerschaft der Grünen können SPD-Anhänger sehr wohl zwischen Werten und Interessen unterscheiden. Das eine pflegt man zu Hause, das andere vertritt man auf der Straße. Und natürlich bekommen die Leute mit, wenn sie unter Kriegsgeschrei von hinten durch die Kalte Küche enteignet werden.
Die Umfragewerte für die SPD fallen zügig und ein gewisser Friedrich Merz steht bereits ungeduldig in Warteposition. Natürlich könnte sich der amtierende Oppositionsführer gut vorstellen, mit Robert Habeck und Annalena Baerbock eine neue Regierung zu bilden, zumal die aktuelle die unpopulärsten Maßnahmen bereits durchgezogen hat.
Alle, die das als keine wünschenswerte Perspektive empfinden, sollten bei einer Abwägung zwischen Werten und Interessen genau überlegen, ob sie weiter mit zugegebenermaßen kritisierenswerten Cum-Ex-Vorfällen am Stuhl von Olaf Scholz sägen.
Die SPD-Linke drängt jedenfalls langsam aber deutlicher auf einen Politikwechsel, wie ein Nachrichtenmagazin berichtet.
Eine Gruppe von SPD-Mitgliedern fordert mit einem Appell eine diplomatische Offensive. "Wir brauchen einen schnellstmöglichen Waffenstillstand als Ausgangspunkt für umfassende Friedensverhandlungen", heißt es da.
Sie fordern die Bundesregierung auf, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und mit der russischen Regierung einen Modus Vivendi zu finden. Man brauche einen neuen Anlauf für globale Entspannungspolitik, Frieden und Sicherheit könnten nicht gegenseitig "errüstet" werden.