Zeitenwende: Die Grüne Energiekrise
- Zeitenwende: Die Grüne Energiekrise
- Grünen-Wähler für "normativ ausgerichtete Außenpolitik"
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Warum der Krieg in der Ukraine nicht die Ursache für steigende Energiepreise sein kann, die Regierung sich aber freut, wenn alle das glauben. Hintergrund und Kommentar.
Die Sommerferien gehen ihrem Ende entgegen, die Bürgerinnen und Bürger stehen vor der massivsten Teuerungswelle in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Krieg in der Ukraine pendelt sich, wie befürchtet, auf hohem Niveau ein.
Deutschlands oberste Diplomatin unterstrich dieser Tage nochmal, dass sie Diplomatie für "sinnlos" halte. Stattdessen kündigte sie weitere Waffenlieferungen an. Die eigentlich zuständige Verteidigungsministerin äußerte sich zu dem Thema bisher nicht. Krieg, steigende Energiepreise und Inflation? Gibt es da eigentlich einen Zusammenhang?
Die Gaspreise für die privaten Haushalte hatten sich bereits vor dem Sommer verdreifacht, die Regierung verhängt nun zusätzlich eine Zwangsabgabe, um Energiekonzerne mit noch mehr Geld bewerfen zu können. Alle anderen Kosten ziehen nach, zuerst natürlich die Strompreise. Unterdessen benutzen Scholz, Baerbock und Lindner öffentlich möglichst häufig das Wort "Entlastung".
Natürlich ist der Zusammenhang von Krieg und Energie ein ernstes Thema, aber wenn man sich das Agieren dieser Regierung anschaut, fällt es schwer, sachlich zu bleiben. Gerade beschloss das Kabinett ein bahnbrechende energiepolitische Initiative: Es soll wieder mehr Öl und Kohle in Bahnwaggons transportiert werden, und zwar mit Vorrang vor dem Personenverkehr.
Nach der Pofalla-Wende kommt nun der Wissing-Stau. Aber immerhin fiel dem Minister auf, dass komplexe Infrastrukturmaßnahmen etwas Planungsvorlauf brauchen: "Kapazitätsengpässe beim Wagenmaterial" würden es erforderlich machen, auch Güterwagen einzusetzen, die "nicht mehr den geltenden Lärmschutzstandards entsprechen". Wahrscheinlich will Herr Wissing das Erdöl in ausgemusterten ICE-Waggons spazierenfahren.
Der Horizont und eine magische Argumentation
Die hektische Energiediplomatie von Kanzler und Wirtschaftsminister weist darauf hin, dass ihnen dieser Sachverhalt bisher auch nicht wirklich klar war. Egal, ob Robert Habeck wertebasierte Bücklinge in Katar macht oder das halbe Kabinett nach Kanada reist: Kurzfristig, also in den nächsten Jahren, sind nirgendwo auf der Welt freie Ressourcen in den Mengen verfügbar, die die aktuelle Regierung nicht mehr von russischen Unternehmen beziehen möchte. Entsprechende Infrastrukturen aufzubauen, dauert Jahre.
Zu den wirtschaftlichen Auswirkung der planlosen Energiepolitik dieser Regierung gehören auch enorm steigende Kosten für deutsche und europäische Unternehmen. Alle Wirtschaftsinstitute gehen von einem Einbruch der Wirtschaft aus, die Frage ist nur, wie stark dieser ausfällt.
In einer aktuellen Simulation berücksichtigt das IW Köln den Zusammenhang von steigenden Gaspreisen und Inflation. Dabei sind Produktionsausfälle noch gar nicht eingepreist, aber wenn sich die aktuelle Entwicklung fortsetzt, sei mit einer zweistelligen Inflation und einer weiteren Verdopplung der Energiepreise zu rechnen.
In diesem Fall rutsche Deutschland in die Rezession ab, 300.000 Menschen könnten im kommenden Jahr ihren Job verlieren. Die Autoren verweisen auf andere Untersuchungen, mit denen man darin übereinstimme, dass bei einem Stopp russischer Gaslieferungen "keine kleineren Korrekturen oder Schrumpfungen drohen, sondern gravierende wirtschaftliche Einbußen mit hoher Arbeitslosigkeit und Dominoeffekten in den Lieferketten".
Interessant ist, dass die Autoren diese Entwicklung als Auswirkung einer "Ukraine-Krise" beschreiben. Diese magische Argumentation verfolgte dieser Tage auch DIW-Präsident Marcel Fratzscher, der sich damit zitieren ließ, der "russische Krieg gegen die Ukraine" werde die Wirtschaft hierzulande noch über Jahre belasten.
Allerdings erklären die Wirtschaftswissenschaftler nicht, inwiefern die physischen Kampfhandlungen in der Ukraine sich negativ auf die Wirtschaft eines EU-Staates auswirken. Selbst die russischen Pipelines durch die Ukraine, Bratstvo und Sojus, sind weiter in Betrieb, das ukrainische Staatsunternehmen Naftogas nimmt natürlich weiter Durchleitungsgebühren von Gazprom entgegen.
Ansonsten tendierte der wirtschaftliche Austausch mit der Ukraine gegen Null. Die energiepolitischen Entscheidungen, die zur aktuellen Krise führten, wurden teilweise lange vor diesem Krieg von Politikern in Berlin und Brüssel gefällt.
Falsche Reaktion auf den Krieg
Die wahnwitzigen energiepolitischen Manöver dieser Bundesregierung sind, wenn überhaupt, eine katastrophal falsche Reaktion auf diesen Krieg, welche die vorherigen Tendenzen noch verschärft. Die Verantwortung bleibt bei den hiesigen Politikern, auch wenn es ihnen hilfreich erscheinen mag, jetzt auf einen gewissen Herrn im Kreml zu zeigen.
Gazprom reduziert die Liefermenge durch Nord Stream nennenswert erst seit dem 13. Juni. Bis dahin hatte die Bundesregierung bereits Nord Stream 2 suspendiert, Gazprom-Eigentum in Deutschland beschlagnahmt, auf EU-Ebene ein Sanktionspaket nach dem anderen auf den Weg gebracht und sich gleichzeitig drei Monate lang lauthals über einen angeblichen Wirtschaftskrieg Russlands geklagt, der für den Anstieg der Gaspreise verantwortlich sei.
Da sieht es natürlich sehr schlecht aus, dass die Gaspreise in Europa bereits seit Januar 2021 steigen, die Bundesregierung treibt sie mit ihrer Politik, insbesondere mit der aggressiven Einkaufspolitik der schon vor dem Krieg gegründeten Trading Hub Europe (THE) nur weiter steil in die Höhe.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Erdgasimport nach Deutschland fast verdoppelt, während der Verbrauch einigermaßen stabil geblieben ist. Die großen Importeure haben die zusätzlichen Mengen an günstigem russischen Gas in den europäischen Gasmarkt exportiert und damit Milliarden an Euro verdient.
Im Dezember 2021 erreichten die Gasexporte aus Deutschland mit 62 Millionen Kubikmetern im Monat einen Spitzenwert. Weil den Gasunternehmen an den neu geschaffenen Gasbörsen nun ihr Geschäftsmodell wegzubrechen droht, erheben Scholz, Habeck und Lindner von den Privatkunden eine Zwangsabgabe für darbende Gaskonzerne.
Was da auf dem kurzen Dienstweg verhandelt wurde, etwa die plötzliche staatliche Übernahme von Uniper, gehört eigentlich vor einen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Dort ließe sich beispielsweise nachfragen, ob irgendeine Vorgängerregierung so unvorsichtig war, Garantien für Gewinne aus Zwischengeschäfte mit russischem Gas zu geben.
Bislang ist noch nicht ausgemacht, wem die wahnwitzige Energiepolitik dieser Regierung mehr schadet, der russischen oder der deutschen Volkswirtschaft. In den Vereinigten Staaten sorgt die außenpolitische Strategie von Olaf Scholz, einfach jedes Problem mit Milliardensummen zu bewerfen, schon für gehässige Kommentare.
Die USA und die EU
Dort gibt es die europäischen Probleme in dieser Form nicht, der Henry-Hub-Preis für Erdgas in Nordamerika pendelt stabil zwischen 2 und 5 Dollar für eine Million BTU (British Thermal Unit). Der europäische TTF-Preis liegt umgerechnet inzwischen bei mehr als 70 Euro für eine Million BTU.
Die einzige Sorge der in den USA aktiven Unternehmen ist, dass die EU sich auf einen Gaspreisdeckel einigen könnte. Damit hätte Brüssel ein Instrument in der Hand, die teuersten Anbieter vom Markt zu drängen, und das sind die in Übersee aktiven Öl- und Gasmultis.
Das Decoupling von Russland und die Preisexplosion sind die zwei entscheidende Voraussetzungen dafür, die Exporte von Fracking-Gas aus Australien, den USA und Kanada nach Europa zu steigern.
Mitte Juli meldete die amerikanische Energiebehörde, dass die Vereinigten Staaten im ersten Halbjahr 2022 zum weltweit größten Exporteur von Flüssiggas (LNG) aufgestiegen sind.
Erhöhte Exportkapazitäten, gestiegene Preise und eine erhöhte globale Nachfrage, insbesondere in Europa, hätten dafür gesorgt, dass die LNG-Importe in die EU in der ersten Hälfte des Jahres 2022 um 63 Prozent auf durchschnittlich 14,8 Milliarden Kubikfuß pro Tag (ca. 420 Millionen Kubikmeter) stiegen.
Auch bei Erdöl aus der Fracking-Förderung gibt es Erfolgsmeldungen: Ende Juli erreichte die Verschiffung von Rohöl aus den USA ein Allzeithoch von 4,55 Millionen Barrel pro Tag. Anfang August lieferte die britische Shell erstmals Rohöl aus der amerikanischen Förderung im Rostocker Hafen an.
Von dort wird es per Pipeline zum PCK Schwedt gepumpt und soll dort das russische Öl aus der Druschba-Pipeline ersetzen. Technisch ist das ein ziemlich gewagtes Experiment, das sich die Task-Force von Robert Habeck ausgedacht hat, denn weder Pipeline noch Raffinerie sind für die Ölsorten aus den USA ausgelegt.
Allein die Wählerinnen und Wähler der Grünen scheint es überhaupt nicht zu stören, dass Energiewende neuerdings bedeutet, dreckigere und teurere fossile Energieträger über möglichst weite Strecken heranzuschaffen.
Atomkraftwerke erleben in Deutschland und europaweit eine unvorhersehbare Renaissance, selbst Fracking steht in Deutschland wieder auf der Tagesordnung, aber die Zustimmungswerte der grünen Minister erklimmen wöchentlich neue Rekorde.