Zensur in Iran

Seite 3: Wie läuft die Zensur ab?

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Wie aber funktioniert der Zensurprozess, was darf geschrieben werden, was nicht? Am Beispiel eines Romans lässt sich das erläutern: Ein fertig geschriebenes Buch muss, sobald es für die Veröffentlichung vorgesehen ist, in Form der Druckfahnen beim Ershad eingereicht werden. Viele Schriftsteller arbeiten, wie bereits erwähnt, mit der Schere im Kopf. Sie kennen die Zensurkriterien und umgehen daher kritische Themen oder formulieren derart verklausuliert, dass keine eindeutige Zensurrelevanz mehr gegeben ist. Das ist einer der Gründe dafür, dass die iranische Literatur im Westen oft als "blumig" und schwierig empfunden wird. Wenn es dennoch etwas zu beanstanden gibt, wird der Autor und/oder der Verleger nicht selten ins Ministerium zitiert. Es gibt diese Variante, in der man vom Autor erwartet, dass er sich entweder plausibel verteidigt oder kopfnickend seinen Fehler eingesteht und die betreffende Passage streicht. Es kommt auch oft vor, dass einfach mitgeteilt wird, was entfernt werden muss, ohne Wenn und Aber und ohne Begründung.

Nach der Freigabe kann das Werk gedruckt werden, aber bevor es verkauft werden darf, muss es erneut zur Prüfung, damit sichergestellt wird, dass den Anweisungen Folge geleistet wurde und nicht nachträglich noch Änderungen eingebaut wurden (eine Taktik, mit der Autoren in der DDR oft um die Zensur herumgekommen sind). Selbst wenn alles stimmt kann es passieren, dass es dennoch neue Beanstandungen gibt. Hin und wieder wird so verfahren, wenn das Ministerium unliebsame Publizisten aus dem Verkehr ziehen will. Dadurch, dass sie auf den Druckkosten sitzen bleiben, werden sie ins wirtschaftliche Aus getrieben.

Zensurrelevant sind zahlreiche Themen. Dazu gehört jegliche Form der Kritik an der Regierung, auch in verschleierter oder symbolischer Form. Wenn ein Prüfer etwas als Regierungskritik interpretiert, auch wenn der Autor es gar nicht so gemeint hat, kommt die Schere zum Einsatz. Das hat eine lange Tradition, die bis zum Schah-Regime zurückreicht. Samad Behrangi (1939-1968) formte seine politische Kritik in Tierfabeln (sein berühmtestes Werk "Der kleine schwarze Fisch" wird bis heute illegal vertrieben). Er soll bei einem Badeunfall gestorben sein, inoffiziell wird aber davon ausgegangen, dass er aufgrund seiner Arbeit ermordet wurde.

Ebenfalls zensiert wird jegliche Kritik am Islam, seinen Symbolen, Regeln und Vertretern, sowie alles, was im Auge des Regimes als "unislamisch" gilt. Diese Regeln sind sehr weitreichend, daher zur Veranschaulichung nur zwei Beispiele: Da Alkohol in Iran verboten ist, gilt dasselbe für seine Erwähnung. Wer Bier erwähnt, muss betonen, dass er von alkoholfreiem Bier spricht (das bekommt man auch in Iran überall). Tanzen gilt als etwas Erotisches, der Begriff "Tanz" ist daher grenzwertig und kann zensiert werden.

Überhaupt ist das weite Feld der Erotik ein Tabu. Sex darf grundsätzlich keine Erwähnung finden, erst recht nicht in anregender Weise. Die Behandlung dieses Themenkomplexes erreicht bisweilen Züge, über die man lachen könnte, wäre die Situation nicht so tragisch. So ist die Erwähnung von Geschlechtsorganen oder entblößten Körperteilen (außer unter strengen Bedingungen im medizinischen Bereich) ein Tabu. Berührungen zwischen Mann und Frau werden allerhöchstens dann gestattet, wenn die betreffenden Charaktere verheiratet oder verwandt sind. Obwohl die Liebe seit jeher ein zentrales Thema in der iranischen Literatur ist, kann ein simpler Kuss die Gemüter der Zensoren erregen. Ebenso eine Frau mit wehendem Haar. Diese Haltung spiegelt übrigens durchaus die Lebensrealität in Iran wider. Frauen müssen den Hijab tragen, und ein junges Paar, das sich küsst, riskiert Gefängnis, wenn es von den Sittenwächtern ertappt wird. In vielen öffentlichen Bereichen herrscht Geschlechtertrennung. Man darf bei aller Empörung aber nicht vergessen, dass es noch gar nicht wirklich lange her ist, dass in Deutschland der Kuppelparagraph abgeschafft wurde.

Film und Presse

Im Filmbereich läuft es ähnlich. Drehbücher und Drehpläne müssen eingereicht werden. Ohne Freigabe gibt es keine Drehgenehmigung, und fertige Filme müssen erneut durch die Prüfung, bevor sie gezeigt werden dürfen. Sowohl bei Büchern als auch bei Filmen ist die Dauer der Prüfung willkürlich und reicht von wenigen Tagen bis zu mehreren Jahren (in seltenen Fällen gar Jahrzehnten). Bei der Tagespresse funktioniert das freilich nicht. Die Redaktionen sind angehalten, sich den Regeln zu beugen. Tun sie es nicht, werden die Publikationen verboten und die Redaktionen geschlossen. Mutige Redakteure machen kurz darauf unter neuem Namen weiter, nur um sich erneut ein Verbot einzufangen.

Zensierte Medien finden daher mehr und mehr im Internet Verbreitung. Zwar versucht das Regime auch dort die Schere anzusetzen, bisher aber mit mäßigem Erfolg. Websites, die gesperrt werden, wandern auf ausländische Server. Bei Demonstrationen vernetzen sich die Teilnehmer per Handy und über Social Networks. Das Arbeitsverbot für ausländische Journalisten während der letzten Proteste war nahezu wirkungslos, da die Demonstranten selbst via Youtube, Facebook und Twitter live ihre Bilder um die Welt sendeten.

In Kürze steht der Jahrestag der Wahlen an. Bereits jetzt formiert sich die Opposition online, plant Demos und Veranstaltungen. Es wird sich zeigen, wie lange das Regime in Teheran noch gegen die überwiegende Mehrheit der eigenen Bevölkerung agieren kann.

Wer mehr über die Details der Zensurpraxis in Iran und die Methoden der Ershad erfahren möchte, dem sei der Roman "Eine iranische Liebesgeschichte zensieren" von Shahriar Mandanipur empfohlen. Das Buch zeigt anhand einer zensierten Beispielgeschichte, kommentiert vom Autor, wie das Ministerium vorgeht, und behandelt auch weitere Zensurbereiche. Freilich konnte es in Iran nicht erscheinen. Mandanipur lebt und arbeitet in den USA: