Zieht euch warm an, es wird grausam

Sarkastisch: "Die Geschwister Savage"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es passt alles zu gut: Bücher über das Altern sind Bestseller. Die ARD macht gerade ihre Themenwoche mit dem hübsch antiapokalyptischen Titel "Mehr Zeit zu leben - Chancen einer alternden Gesellschaft", in der fast 2.000 Beiträge in Fernsehen, Radio und Internet das Thema Alter aus allen möglichen Blickwinkeln beleuchten. In den Feuilletons und Politikteilen der Printmedien wird mit stupender Regelmäßigkeit und zunehmender Schlagzahl über Alten-Themen berichtet. Alzheimer hat Krebs und AIDS die Lieblingskrankheit der Talkrunden schon lange abgelöst, und jetzt entdeckt auch das Kino Siechtum, Verfall und Sterben. Neuestes Beispiel: Tamara Jenkins' "Die Geschwister Savage" - zugleich eine positive Ausnahme im Vergleich zu anderen Produkten. Der Film verzichtet auf Weinerlichkeit, bleibt elegant in der Schwebe und blendet die Welt jenseits des privaten Bereichs nicht aus. Wenn schon Verfall, dann bitte klug und lustig.

Alle Fotos: Twentieh Century Fox Germany

Nichts mache schneller alt, als der stete Gedanke, dass man älter wird, schrieb noch Georg Christoph Lichtenberg. Solchen Einsichten zum Trotz boomt gegenwärtig die Reflexion des Alters in den Diskursen von Politik und Künsten und ergo auch in den Medien. Silvia Bovenschens vielschichtiger Essay "Älter werden" wurde zum Bestseller wie zuvor Frank Schirrmachers "Methusalem-Komplott". "Grau ist bunt", verkündet Henning Scherf mit sozialdemokratischem Optimismus, Hellmuth Karasek schwärmt von "Süßer Vogel Jugend", und in der Bugwelle solcher bekannten Namen feiern diverse Bücher "Runzel-Ich" und "Runzel-Sex", "best ager" und "55 plus". Der Blick aufs Alter ist dabei meist freundlich, mitunter verklärend, spürbar geprägt von Sprache und Denken der Werbung.

Vorbei die nüchternen Zeiten, als Jean Améry in seinem 1968 erschienenen Klassiker "Über das Altern" noch schrieb, Altern sei "eine unheilbare Krankheit", eine "Vernichtung". So darf man heute nicht mehr reden, derartige Grobheiten sind mega-out, allem angeblichen Jugendwahn und auch dem "Methusalem Komplott" zum Trotz. Im Prinzip ist, das beweist auch der Film, von dem hier gleich die Rede ist, im Umgang mit den Alten Milde und Schonung angesagt.

Gesundheit ist die neue Religion

Zugleich wird Altern vom Schicksal zu einem Projekt. Also all den neoliberalen Effizienzbestrebungen unterworfen, wie der Rest des Lebens: "Erfolgreich altern" fordern Forscher, der Verlust von Gesundheit und Spannkraft der Jugend umdefiniert in "Die Kunst zu altern". Längst sind auch die Alten zum Objekt der Vermarktung geworden, längst hat die Werbung auch die Alten als "Golden Consumer" entdeckt, soll der Konsum bis zum letzten Atemzug garantiert werden. Alte joggen und fahren Motorrad, verstopfen als Seniorenstudenten an der Uni die Seminare, kaufen Seniorentickets für alles, Kuckident für die neuen Zähne und Elektroaufzüge für die Treppe im Einfamilienhaus. Den Winter verbringen sie in Teneriffa. Wo soll das alles noch hinführen?

Dahinter steckt zum einen das allgemeine Wohlfühl- und Optimismus-Diktat westlicher Gesellschaften. Gesundheit ist die neue Religion, und deswegen haben gefälligst auch die Alten gesund und voller Spannkraft zu sein, und sollten sie es wieder Erwarten nicht, dann sollten sie bitteschön, zumindest so tun.

Nervensägen und Lebenskünstler

Das öffentliche Altersbild ist trotzdem überaus ambivalent. Einerseits erlebt man die Alten als herrische Nervtöter, andererseits als mit den Enkeln gegen die mittlere Generation verbündet und/oder neugierig vor dem Computer. Im politischen Feld treten Alte wahlweise als Schmarotzer und Aktivisten im "Aufstand der Alten" und "Krieg der Generationen" auf oder als großzügige Lebenskünstler und "Silver Ager", die das Dasein der Jüngeren "bereichern" können. Beiden Bildern gemeinsam ist: Die Alten gehen nicht am Stock, sie scheinen aktiv und jung und einigermaßen gesund. Alzheimer, Parkinson, Demenz, Krebs, Osteoporose werden eher stillschweigend hingenommen, rücken aber nicht ins Zentrum.

Eine Ausnahme ist Annette Pehnts Altersheimroman "Haus der Schildkröten", der schonungslos vom Gedächtnis- und Lebensschwund im Greisenalltag berichtet und auch die Perspektive der Jüngeren, der Kindergeneration miteinbezieht. Oder die ebenso schonungslose wie kluge Fallstudie "Wohin mit Vater?"

"Sie sprachen nicht miteinander, aber sie begannen nun, jeder für sich, rasende Gedanken zu denken, ungeordnete, unkontrollierbare, sich überstürzende. Und die Gedanken waren, wie sie später entdeckten, in diesem Moment fast identisch. Ich muss ihn zu mir nehmen, dachte die Tochter, ich muss ihn zu mir nehmen, dachte der Sohn. Ich muss das tun, jedes Kind muss das tun, es ist das Mindeste, was man seinen Eltern schuldig ist. Es ist ein Gesetz, ein ehernes Gesetz. Sie haben mich versorgt, als ich hilflos war, als ich klein war. Jetzt ist der Vater hilflos. Also muss ich jetzt die Fürsorge zurückgeben. Generationenvertrag nennt man das, Generationengerechtigkeit.

Es bleibt mir nichts anderes übrig. Der braucht mich jetzt, der Vater, er hat ja niemanden. Aber das geht doch nicht. Ich kann doch nicht, ich habe einen Beruf. Wie soll ich das schaffen? Alles verändern, alles, alles? Es ist doch auch mein Leben. Ich habe mir dieses Leben nicht aufgebaut, um nun alles hinzuwerfen. Wie soll ich leben und wovon? Ich kann das nicht, nein, und das ist keine Ausrede, ich kann nicht, es muss doch einen anderen Weg geben, warum, verflucht, habe ich mir bloß früher keine Gedanken gemacht? Wie habe ich das so radikal verdrängen können? Und jetzt? Jetzt sitze ich da, was mache ich bloß?"

Das schreibt jener anonyme Autor, der in "Wohin mit Vater?" von seinem "Tag X" erzählt, als er und seine Schwester die Pflege des Vaters übernehmen mussten. Es liest sich, auch in seinem trotzigen Ernst, wie ein Entwurf zu "Die Geschwister Savage". Nur, dass dieser Film sich noch einen gewissen, ebenfalls trotzigen Humor bewahrt hat.

"Wir sind hier nicht in einem Stück von Sam Shepard!"

Das ist einer der lustigsten Sätze in diesem Film, jedenfalls wenn man weiß, worum es in dieser Geschichte geht. Nein, "Die Geschwister Savage" ist ganz und gar nicht das das Rührstück und Melodram, das man erwartet, wenn man nur hört, dass es hier um zwei Geschwister geht, deren alter Vater an Demenz im fortgeschrittenen Stadium erkrankt ist und auf die Hilfe seiner erwachsenen Kinder angewiesen. "Die Geschwister Savage" ist vielmehr eine sarkastische Komödie im besten Sinn, schnell, treffend, vergnüglich - eben überaus unterhaltsam, und dabei immer erwachsen genug, ihren Gegenstand nicht für billige Gags zu opfern. Lachen am Abgrund.

Es beginnt in "Sun City", Arizona. Der Ort ist so künstlich, wie er heißt, der strahlende Himmel so elektro-blau wie die knappen Cheerleader-Kostüme, in denen hier eine handvoll 80-plus-Barbies ein absurd-neckisches Zeitlupen-Tänzchen aufführt - Horrorkabinett des Alterns. Und der Horror der Verwahranstalten, in denen Alte heute untergebracht werden. Diese Eröffnungssequenz, in der uns die Kamera den Alltag in dem luxuriösen, sogenannten "Rentnerparadies", mit seinen auf Maß gestutzten Hecken, den blitzblank gefegten Straßen und den perfekten gemähten Golfrasen zeigt, ist großartig in ihrer kontrollierten Ironie und Neugier, ihrem Sinn für das richtige Maß an Spott und Absurditätssinn, der sich mit grundsätzlicher Humanität die Waage hält.

Die Kinder sind beide über 40, unverheiratet und normal depressiv

Regisseurin Tamara Jenkins - die 1999 mit der wunderbaren Indie-Komödie "The Slums of Beverly Hills" debütiert hatte und seitdem, viel zu lang, auf ihren zweiten Film warten ließ - signalisiert dem Zuschauer, dass er ihr vertrauen darf, dass man sich darauf verlassen kann, dass sie den richtigen Ton findet und die widerstreitenden Emotionen und Tonlagen ihres Films angemessen ausbalanciert.

Denn das Thema Krankheit, Sterben und eine dysfunktionale Familie, die schon lange aneinander vorbeilebt, die gegenseitig zugefügten Wunden verdrängt hat, erfordert solchen Takt. Da ist auf der einen Seite der alte Vater. Er lebt im exklusiven Rentnerdorf Sun City, doch als die Lebensgefährtin stirbt, kommt raus, dass er versäumte, sein Bleiberecht zu regeln, und er wird abgeschoben. Eine Geschichte aus der Mittelklasse, zwischen Sicherheit und Absturzangst. Intensiv gespielt von Philip Bosco scheint der alte Savage manchmal nur noch dahinzudämmern, hat aber immer wieder lichte Momente, in denen er sich seiner Situation und seines Verfalls völlig bewusst wird. Die ihm längst entfremdeten Kinder sind beide über 40, unverheiratet und normal depressiv. Gespielt mit gewohnter Brillanz und viel Chemie von Philip Seymour Hoffman und Laura Linney, wirken sie wie große Kinder.

Die Leistung von Jenkins' wunderbarem Film ist, dass sie ihre Figuren, vor allem die Jüngeren nicht denunziert, dass sie zeigt, dass Neurosen und Schwächen zum Leben dazugehören. Die Kinder kümmern sich um ihren Vater, aber dessen Schwächen, Fehler und Versäumnisse sind damit keineswegs verziehen. Eine tränenreiche Versöhnung, überhaupt aufdringliche behauptete Gefühle und Sentimentalitätskitsch erspart uns die Regisseurin weise. Sie hat es nicht nötig, ihrem Publikum Gefühle vorzuschreiben.

Sie hat den Mut zu zeigen, dass auch unschöne Situationen ihre komischen Seiten haben. Und dass es manchmal auch in Familienbeziehungen nicht um Versöhnen und Verzeihen geht, sondern einfach um Loyalität und humanen Anstand. Nicht um Sam Shepard, sondern um Kant. Und um Simone de Beauvoir. Kühl und klar fächert sie in ihrem Buch "Das Alter" auf, was unsere Gesellschaft mit den Alten tut, nennt "Armut, Einsamkeit, Krankheit, Verzweiflung" beim Namen, ebenso wie Neurosen, Verfolgungswahn, Selbstmorde. Wer in "Die Geschwister Savage" genau hinguckt, versteht die Botschaft auch hier. Zieht euch warm an, lautet sie, es wird grausam.

Dass wir solche Probleme überhaupt haben, ist allerdings auch nur ein glücklicher Umstand. Im Barock, so Simone de Beauvoir, betrug die durchschnittliche Lebenserwartung 25 Jahre.

Jean Améry: "Über das Altern"; 1968
Anonymus: "Wohin mit Vater? Ein Sohn verzweifelt am Pflegesystem"; 2007
Simone de Beauvoir: "Das Alter"; 1970
Norberto Bobbio: "Vom Alter"; 1997
Silvia Bovenschen: "Älter werden. Notizen"; 2006
Sherwin B. Nuland: "Die Kunst zu altern"; 2007