Zielte Israels Luftschlag doch gegen syrischen Atomreaktor?

Die New York Times will erfahren haben, dass nach Geheimdienstinformationen das Ziel des israelischen Angriffs ein im Bau befindlicher Reaktor in Syrien gewesen sei

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Großes Rätselraten herrscht seit dem Luftangriff israelischer Kampfflugzeuge am 6. September auf ein Ziel in Syrien (Rätselraten um israelischen Luftschlag in Syrien). Syrien beschwerte sich zwar und warnte Israel vor einer angemessenen Reaktion, setzt dann aber doch auf Beschwichtigung. Zuerst hieß es, die Bomben hätten nur ein Loch in die Wüste gemacht. Als dann Informationen aufkamen, dass die Israelis eine geheime Anlage mit Atomtechnik aus Nordkorea bombardiert hätten, behauptete der syrische Präsident, es habe sich um eine unbenutzte Militäranlage gehandelt. Schließlich wurden auch noch Führungen von Journalisten zu einer offenbar unbeschädigten Anlage veranstaltet, um zu demonstrieren, dass es sich dabei nur um ein Agrarforschungszentrum handelt. Israel hatte zwar schließlich eingeräumt, einen Luftschlag ausgeführt zu haben, aber nicht gesagt, welchen Zweck dieser hatte und so den Raum für Gerüchte offen gelassen.

Die New York Times legt nun im Vorfeld der für Ende November geplanten Nahost-Friedensverhandlungen in den USA nach und berichtet, dass nach Geheimdienstberichten, in die nicht näher genannte amerikanische und ausländische Regierungsmitarbeiter Einsicht gehabt hätten, die von Israel bombardierte Anlage vermutlich ein im Bau befindlicher Atomreaktor gewesen sei. Er sei nach dem Vorbild der nordkoreanischen Anlage zur Wiederaufbereitung konzipiert gewesen (Rätselraten um israelischen Luftschlag in Syrien).

Israel hatte bereits 1981 den Osirak-Atomreaktor im Irak durch einen Luftangriff zerstört. Offiziell hatte die damalige US-Regierung den Angriff verurteilt. Allerdings stand der irakische Atomreaktor kurz vor der Inbetriebnahme, während die syrische Anlage nach den von der New York Times erhaltenen Informationen noch Jahre davon entfernt gewesen sei, um atombombentaugliches Material herzustellen. Entdeckt worden sie die Baustelle auf Satellitenbildern.

Wenn die neuen Informationen überhaupt zutreffen sollten, bleibt angesichts der Geheimhaltung seitens der israelischen und US-Regierung, aber auch seitens Syrien unklar, ob es sich nicht auch um den Bau eines Atomkraftwerks zur Stromherstellung gehandelt haben könnte, inwiefern Nordkorea daran beteiligt ist (das Regime weist alles weit von sich) und wie fortgeschritten der Bau tatsächlich war oder, je nachdem, ob und in welchem Ausmaß er zerstört wurde.

Nach ebenso unbestätigten und anonymen Mitteilungen von US-amerikanischen Regerungsangehörigen gebe es derzeit im Weißen Haus eine Diskussion darüber, ob die von der israelischen Regierung allerdings geheim gehaltenen Informationen über eine mögliche Nuklearanlage, die den Luftangriff rechtfertigen sollen, dazu verwendet werden dürften, um den Druck auf Syrien und Nordkorea zu erhöhen. Die Meinungsunterschiede vor allem zwischen dem Außenministerium und dem Lager der Falken um Vizepräsident Cheney, die an die Situation vor dem Irak-Krieg erinnern, sollen im Sommer mit der Frage begonnen haben, ob ein Luftangriff auf eine Baustelle notwendig sei.

Das Außenministerium unter Rice und Verteidigungsminister Gates hätten besonders daran gezweifelt, ob ein Präventivschlag gegen eine noch nicht vorhandene Gefahr politisch klug sei. Man habe kaum über die Beweislage diskutiert, so ein Informant über die Gespräche zwischen USA und Israel, sondern vor allem, wie man auf den vermuteten Bau ener Atomanlage reagieren sollte. Selbst wenn Syrien dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten wäre, müsste es den Bau eines Atomreaktors nicht gleich melden, zudem hätte das Land – ebenso wie Iran – auch das Recht, Atomkraftwerke zur friedlichen Nutzung zu bauen. Viele Länder beabsichtigen, auch im Nahen Osten, Atomkraftwerke zur Stromerzeugung zu bauen. Verwunderlich wäre es daher nicht, wenn auch Syrien damit liebäugelt. Bislang gibt es hier nur einen kleinen Forschungsreaktor.

Israel wollte, wie ein hoher Regierungsmitarbeiter gesagt haben soll, mit dem Luftschlag die Glaubwürdigkeit demonstrieren, dass man auch bereits gegen die Möglichkeit eines Atomwaffenprogramms im Nachbarland entschieden vorgehen wird. Vielleicht sollte der Luftangriff auch als Warnung an den Iran verstanden werden. Seltsam erscheint, dass nicht einmal Iran, geschweige denn andere arabische Länder, gegen den israelischen Luftangriff protestiert haben.