Zukunftsvertrag mit Ausstiegsklausel

Bund und Länder haben sich endlich auf den Hochschulpakt 2020 geeinigt. Doch die Vereinbarung gilt vorerst nur bis 2010 und lässt weiterhin viele Fragen offen

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Auch wenn die Außenpolitik ihr viele schöne Bilder, effektvolle Auftritte und mitunter sogar nachweisbare Erfolge beschert, hat die Bundesregierung ein veritables Imageproblem. Denn was sich auf der internationalen Bühne nach präziser Vorarbeit im Interesse aller Beteiligten inszenieren lässt, findet im eigenen Land kaum eine Entsprechung. Der spürbare wirtschaftliche Aufwärtstrend und der erfreuliche Rückgang der Arbeitslosigkeit dürften mit der nächsten konjunkturellen Talfahrt wieder verschwunden sein, weil sie nur bedingt hausgemacht und keineswegs das Ergebnis einer substanziell durchdachten, vorausschauend konzipierten und auf langfristige Ergebnissicherung angelegten Strukturreform sind.

Auf den anderen Politikfeldern sieht es ähnlich aus: Stückwerk bei der Gesundheitsreform, Löcher in der Pflegekasse, ungesicherte Baustellen in der Rentenversicherung und kosmetische Korrekturen am maroden Bildungssystem, das auf eine grundlegend neue Basis gestellt werden muss, um mittelfristig tatsächlich zum Motor einer positiven und nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung werden zu können.

Die Große Koalition bringt durch ihre komfortablen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat gute Voraussetzungen mit, um entscheidende Weichenstellungen vorzunehmen, Reformvorhaben zu initiieren und soweit voranzutreiben, dass sie auf absehbare Zeit unumkehrbar werden. Doch die Realität sieht anders aus. Gerade in der Bildungspolitik, die als zentrale gesellschaftliche Aufgabe jenseits aller Parteiinteressen verhandelt werden müsste, zeigt sich die Unfähigkeit, aus der weitgehend konsensfähigen Fehleranalyse gemeinsame Lösungsansätze und Handlungskonzepte abzuleiten, die weit über die nächsten Wahltermine hinausreichen würden.

Etikettenschwindel

Der „Hochschulpakt 2020“, der Ende vergangener Woche von Bund und Ländern beschlossen und von Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) auch gleich als „zukunftsweisende Initiative“ angepriesen wurde, „um Deutschland in Wissenschaft und Forschung einen Platz in der Weltspitze zu sichern“, darf insofern als beispielhaftes Versagen betrachtet werden.

Denn die Vereinbarungen, die im Dezember 2006 ausgehandelt wurden und nun zum Wintersemester 2007/2008 in Kraft treten sollen, verdienen das Prädikat „zukunftsweisend“ schon aus dem Grunde nicht, weil sie ihr vollmundiges Etikett ad absurdum führen, vorerst lediglich bis 2010 gelten und so nur ein knappes Jahr über den Tellerrand der nächsten Bundestagswahl hinausreichen.

Doch immerhin: es wird wieder investiert in Bildung und Forschung. Bis 2010 stellt der Bund etwa 565 Millionen Euro zur Verfügung, damit die deutschen Hochschulen auf den für die kommenden Jahre prognostizierten akademischen Zuwachs besser vorbereitet sind. Um 91.370 zusätzliche Studienplätze zu finanzieren, müssen die Länder nun den gleichen Anteil beisteuern und untereinander einen Ausgleich herstellen, der die unterschiedliche Attraktivität der Studienplätze berücksichtigt.

Schließlich werden in manchen westdeutschen Bundesländern in Kürze mehrere zehntausend Plätze fehlen, während selbst an vergleichsweise beliebten Hochschulstandorten im Osten Deutschlands – wie beispielsweise in Sachsen – ab 2011 über 7.000 Studienplätze möglicherweise nicht genutzt werden (PDF-Datei). Wie Investitionen und Ausgleichszahlungen genau zu verteilen sind, soll ab 2011 auf der Basis der dann tatsächlich gezählten zusätzlichen Studienanfänger errechnet werden.

Während Qualitätsvorstöße im Bereich der Lehre weiter auf sich warten lassen, kann sich die vermeintliche Spitzenforschung in Deutschland nach dem warmen Geldregen aus Exzellenz-Initiative, Hightech-Strategie und Sechs-Milliarden-Euro-Programm über weitere Zuwendungen freuen.

Im Rahmen des Hochschulpaktes soll die Vollkostenfinanzierung von „sichtbaren“ Forschungsprojekten weiter vorangetrieben werden. Wer im Wettbewerb um die Fördermittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Nase vorn hat, bekommt nun darüber hinaus sogenannte Programmpauschalen (Overhead) in Höhe von 20 Prozent der schon erhaltenen Fördersumme.

Diese Regelung gilt seit dem 1. Januar 2007 bereits für Sonderforschungsbereiche, Graduiertenkollegs und Forschungszentren, ab dem 1. Januar 2008 aber auch für andere neu bewilligte Forschungsprojekte. Die Kosten von gut 700 Millionen Euro bis zum Jahr 2010 trägt der Bund zunächst alleine.

Keine Planungssicherheit

Die Fragen, die der Hochschulpakt offen lässt, werden sich allerdings nicht von selber klären. Unklar bleibt weiterhin, wie die offenkundigen und gravierenden Mängel im Bereich der Lehre behoben werden sollen. Nach neuesten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Juniorprofessuren zwischen 2002 und 2005 zwar von 102 auf 617 angehoben worden, die Gesamtzahl der Professorinnen und Professoren aber annähernd konstant geblieben. (Wenn man einmal davon absieht, dass im langfristigen Vergleich zum Jahr 1995 rund 1.500 Stellen nicht wieder besetzt wurden.)

Die Hochschulrektorenkonferenz beziffert die Betreuungsrelation von Professoren und Studierenden derzeit auf 1:60, und die Zusatzeinnahmen, die sieben Bundesländer durch die Einführung von Studiengebühren erzielen, führen vielerorts bestenfalls zur Vergabe von zeitlich befristeten und finanziell limitierten Lehraufträgen und nicht zu einer langfristigen Personalplanung.

Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, und der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, erklärten vor kurzem folgerichtig die mangelnde Planungssicherheit im Hinblick auf die Neueinstellung von Dozenten, wissenschaftlichen Mitarbeitern und Professoren zu einem der wesentlichen Defizite des deutschen Bildungssystems.

Eine weitere Erhöhung des Lehrdeputats können wir nicht akzeptieren. Die Forschungszeit wird immer weniger. Studierende haben aber einen Anspruch auf eine fundierte akademische Lehre, die sich ständig aus Forschung erneuert. Ohne zusätzliches Personal können die Hochschulen das nicht leisten.

Margret Wintermantel und Bernhard Kempen

Hochschulrektorenkonferenz und Hochschulverband drohten prophylaktisch mit flächendeckenden Zulassungsbeschränkungen als „Notwehrmaßnahme“, doch die ungünstige Betreuungssituation erweist sich bei näherem Hinsehen nur als Teilproblem.

Mit dem Geld aus dem Hochschulpakt sollen gut 90.000 neue Studienplätze finanziert werden. De facto rechnet selbst die Kultusministerkonferenz mit einem Anstieg von derzeit rund zwei Millionen Studierenden auf 2,5 bis 2,7 Millionen in den Jahren 2012 bis 2014. Nach diesem Scheitelpunkt werden die Zahlen sich voraussichtlich wieder abflachen, aber wohl durchgängig bei 2,3 bis 2,5 Millionen bleiben, d.h.: deutlich über den aktuellen Werten liegen, die schon jetzt kaum zu bewältigen sind.

Wenn dauerhaft 40 Prozent eines Alterjahrgangs in Deutschland eine Hochschulausbildung anstreben, wäre das ein wichtiger Schritt, um international wieder Anschluss zu gewinnen. Allerdings gilt diese Feststellung nur für den Fall, dass die Akademiker der Zukunft möglichst optimale, qualitativ hochwertige Voraussetzungen in Forschung und Lehre vorfinden.

Mehr Studienplätze – weniger Qualität?

Dieser Aufgabe stellt sich der Hochschulpakt nur ansatzweise. Hochschulrektorenkonferenz und Hochschulverband haben darauf hingewiesen, dass die tatsächlichen Kosten für einen Studienplatz derzeit bei 7.300 Euro pro Jahr liegen. Als der Hochschulpakt ausgehandelt wurde, ging man vorsichtshalber nur von 5.500 Euro aus, die auf 4.260 Euro zusammenschmelzen, wenn 127 Millionen Euro des aktuellen Gesamtvolumens in die neuen Bundesländer und in die Stadtstaaten fließen, damit dort das Studienplatzangebot in der gewünschten Form aufrechterhalten werden kann.

Damit ist klar, dass ein Ausbau des Studienangebots zu Lasten der Qualität bewusst in Kauf genommen wird.

Margret Wintermantel und Bernhard Kempen

Rolf Dobischat, Präsident des Deutschen Studentenwerks kritisiert darüber hinaus, dass die Vereinbarung keine Mittel für die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur eines Hochschulstudiums vorsieht. Dobischat rechnet in den nächsten Jahren mit deutlich höheren Anforderungen an die Service- und Beratungsangebote der Studentenwerke. Für die neuen Studienplätze müssten bundesweit rund 20.000 zusätzliche Wohnheimplätze geschaffen werden. Die Kosten, die von den Ländern übernommen werden sollten, belaufen sich nach vorläufigen Schätzungen des Deutschen Studentenwerks auf rund 400 Millionen Euro.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft erwartet deshalb, dass Bund und Länder direkt mit den Verhandlungen für einen “Hochschulpakt II“ beginnen. In der jetzigen Form ist die Übereinkunft „sträflich unterfinanziert und mit Risiken behaftet“, meint Andreas Keller vom GEW-Vorstand.

Vor 20 Jahren haben wir schon einmal schlechte Erfahrungen mit dem Versuch gemacht, den Studierendenberg zu untertunneln. Wir brauchen mehr und gut qualifizierte Akademiker, um international nicht den Anschluss zu verlieren. Hochschulabsolventen auf Leichtmatrosen-Niveau helfen nicht weiter.

Andreas Keller

Keller beziffert den Investitionsbedarf im Hochschulbereich bis 2020 auf etwa 2,3 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist in etwa doppelt so viel wie der Hochschulpakt jetzt von 2007 bis 2010 vorsieht. Noch entscheidender als die Summe, die schließlich in Bildung, Lehre und Forschung investiert wird, scheint freilich die Frage zu sein, ob mit dem Geld nachvollziehbare und effiziente Strukturverbesserungen durchgeführt werden, die dafür sorgen, dass Chancengerechtigkeit und Spitzenleistungen nebeneinander existieren und sich gegenseitig verstärken können.

Von klaren Zielvorstellungen, Qualitätsstandards in Forschung und Lehre und einer Entkopplung von sozialer Herkunft und Ausbildungsmöglichkeiten ist das deutsche Bildungssystem momentan allerdings noch viel weiter entfernt als von der nächsten Milliarde.