Zunächst unbemerkt: Bundestag stellt Leugnung von Völkermord unter Strafe

Bundestag. Bild: Berlinschneid, CC BY-SA 4.0

Abstimmung am vergangenen Donnerstag wurde erst Tage später breiter bekannt. Kritik von Opposition, aber auch von einem ARD-Journalisten und einem Ex-Abgeordneten. Problem wegen Formulierung und Auslegung.

Mit 514 Stimmen der Regierungsfraktionen und der Union hat der Bundestag in einem kaum diskutierten Verfahren die Leugnung und "grobe Verharmlosung" von Kriegsverbrechen unter Strafe gestellt.

In einer namentlichen Abstimmung am späten Abend des vergangenen Donnerstags votierten die Koalitionsfraktionen sowie die CDU/CSU dafür; 92 Abgeordnete von AfD und Linke stimmten gegen die Gesetzesänderung, zwei Parlamentarier enthielten sich, 128 Mitglieder des Bundestags nahmen an der Abstimmung nicht teil.

Die Erweiterung von Paragraf 130 des Strafgesetzbuches (StGB) wurde dabei kurzfristig an die Änderung eines anderen Gesetzes angehängt. Die überregionale Presse hatte davon kaum etwas mitbekommen. Die Nachrichtenagentur dpa gab am Donnerstag um 22:49 Uhr lediglich das Ergebnis bekannt.

Erst ein Beitrag der Tageszeitung taz machte das Thema am Montag dieser Woche einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Der Grund für die mangelnde Aufmerksamkeit: Erst einen Tag vor der Abstimmung im Bundestag hatte dessen Rechtsausschuss beschlossen, die Änderung des Bundeszentralregistergesetzes um die Erweiterung des Paragrafen 130 StGB zu ergänzen.

Die Regierung reagiert damit nach eigenen Angaben auf eine Vorgabe der EU, die im Dezember 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren angestrengt hatte, da Deutschland einen Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2008 zum Thema nur unzureichend umgesetzt habe.

In der Beschlussempfehlung der Regierungsfraktionen heißt es:

Der Änderungsantrag der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP steht vor dem Hintergrund eines Anfang Dezember 2021 durch die Europäische Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland. Die Kommission wirft Deutschland eine unzureichende Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vor.

Mit der Einfügung eines neuen Straftatbestandes in § 130 Abs. 5 Strafgesetzbuch (StGB) soll nunmehr klargestellt werden, dass das öffentliche Billigen, Leugnen und, wie es heißt, "gröbliche" Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen nach deutschem Recht strafbar ist, wenn die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören.

Bedenken wegen Umsetzung der neuen Regelung

Die Linken-Abgeordnete Sahra Wagenknecht kritisierte auf Twitter das Vorgehen der Regierung und fragte, ob die Ampel die "Meinungsfreiheit durch politische Strafverfolgung einschränken" wolle.

Auch der Redaktionsleiter der ARD-Sendung Monitor, Georg Restle, bezeichnete die Gesetzesverschärfung als Eingriff in die Meinungsfreiheit. Diese müsse schmerzen dürfen, "sonst existiert sie nicht". Nicht alles, was man schlecht finde, müsse man gleich bestrafen, schrieb er auf Twitter.

Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz kritisierte vor allem das Verfahren, eine öffentliche Diskussion mit Strafrechtswissenschaftlern habe nicht stattgefunden.

Das Fachportal Legal Tribune Online (LTO) hatte am vergangenen Freitag als erstes Medium ausführlich über die Neuregelung berichtet und erläutert, dass der neue Absatz 5 in Paragraf 130 StGB künftig das öffentliche Billigen, Leugnen und "gröbliche Verharmlosen" von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter Strafe stelle.

"Nach Einschätzung von Rechtspolitkern ist es damit nicht ausgeschlossen, dass zum Beispiel auf Pro-Putin-Versammlungen, wenn gegen Menschen aus der Ukraine gehetzt wird, Straftaten auf Grundlage der neuen Vorschrift begangen werden", so die Einschätzung der LTO-Experten.

Laut LTO kritisierte die Rechtspolitikerin der Linken im Bundestag, Clara Bünger, die Gesetzesverschärfung, weil sie die Gefahr berge, die Meinungsfreiheit zu beschränken bzw. willkürlich angewendet werden kann. Nach dem aktuellen Wortlaut der Regelungen könnte schon bei einer Billigung des "Angriffs Russlands auf die Ukraine" – je nach genauen Tatumständen – eine Strafbarkeit nach der neuen Vorschrift gegeben sein.

Der Rechtspolitiker der AfD, Stephan Brandner, wies auf die Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe wie "gröblich verharmlost" im gesamten Paragrafen 130 StGB hin. Dieser enthält bisher vor allem die Strafandrohung für die Leugnung des Holocausts.

Während bei der Holocaustleugnung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren droht, ist bei der neu eingeführten Leugnung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen das Höchstmaß auf drei Jahre festgelegt worden. "Wegen der Einzigartigkeit des Holocausts müssen für dessen Billigung, Leugnung und Verharmlosung im Einzelfall höhere Strafen möglich sein als für vergleichbare Äußerungen betreffend andere Völkerrechtsverbrechen", heißt es dazu in der Begründung der Gesetzesänderung.

Mit der Gesetzesverschärfung geht Deutschland über die Mindestanforderungen des EU-Rahmenbeschlusses hinaus, unter anderem wurde die Strafbarkeit der Leugnung und der "gröblichen" Verharmlosung nicht auf solche Völkerstraftaten beschränkt, die von einem nationalen oder internationalen Gericht endgültig festgestellt wurden.

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