Zur Wiederkehr der nationalistischen Ideologie

Seite 5: Abschließender Exkurs: die große "Schuldfrage"

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Diese wutgetränkte Paranoia mitsamt der an Hexenverfolgungen erinnernden, tendenziell antisemitischen Sündenbocksuche darf aber nicht dazu verführen, die Frage der persönlichen Verantwortung, der "Schuld" gänzlich auszublenden.

Es gilt zuerst klar festzuhalten, dass absolut niemand die Schuld am Krisenausbruch trägt, da die Crisis von dem - im ersten Teil der Textserie dargelegten - inneren Widerspruch des Kapitals befeuert wird. Die Krise brach gerade deswegen aus, weil die Marktsubjekte genau das immer effizienter tun, was das System von ihnen verlangt: Lohnarbeit verwerten zwecks uferloser Kapitalakkumulation.

Je effektiver Lohnarbeit verwertet wird, desto größer der marktvermittelte Druck, desto stärker zieht sich die Schlinge um den Hals aller Marktsubjekte zu. Alle tun, was "das System" von ihnen verlangt, doch aufgrund der inneren Widersprüchlichkeit des Kapitalverhältnisses führt gerade dies in die Krise.

Diese Krisenrealität wird aber von der herrschenden Ideologie auf den Kopf gestellt: In den Massenmedien wird die Krise immer als Folge des systemwidrigen Fehlverhaltens irgendwelcher Sündenböcke dargestellt (Dies gilt ja auch für den grassierenden Rechtspopulismus wie Rechtsextremismus, die ja in ihrer Eigenschaft als ein Extremismus der Mitte nur die herrschende Ideologie ins Extrem treiben).

Wenn schon mit Kategorien der persönlichen Schuld operiert wird, dann muss sie gerade im "Normalvollzug" des Systems verortet werden. Während also niemand "Schuld" trägt an dem Ausbruch der Systemkrise, deren Dynamik sich quasi "hinter dem Rücken der Produzenten" (Marx) entfaltet, heißt das noch lange nicht, dass im Kapitalismus niemand schuldig würde.

Es ist aber gerade das alltägliche Funktionieren des Systems - die marktvermittelte Unterdrückung, Ausbeutung und Ideologieproduktion - in dessen Verlauf all die hierfür verantwortlichen Individuen Schuld auf sich laden, die als "Charaktermasken" (Marx) ihrer kapitalistischen Funktionen diese Systemzwänge exekutieren.

Mehr noch: in Wechselwirkung mit der Krisendynamik wird gerade die Ausbeutung, die Unterdrückung, die Lügenproduktion des Systems ins Extrem gesteigert. Der populistische Krisendiskurs stellt hier wiederum Ursache und Wirkung auf den Kopf: die vielen, zunehmenden "Schweinereien" wie extreme Ausbeutung, absurde Propagandakampagnen oder die mörderischen neoimperialistischen "Interventionen" sind nicht Ursache der Krise, sondern deren Folge.

Dies gilt auch für die viel kritisierte Stellung des Exportweltmeisters Deutschland als dem großen scheinbaren "Krisengewinner", der seinen Aufschwung den ins Ausland exportierten Schuldenbergen verdankt. In den späten 1990ern, vor der Euroeinführung samt Agenda 2010, galt Deutschland als der "kranke Mann Europas", da auch hierzulande die Krisentendenzen, die nun buchstäblich exportiert werden, sich in Form wachsender Arbeitslosigkeit und konjunktureller Stagnation manifestierten.

Die Exportausrichtung der Bundesreplik kann somit ebenfalls als eine reaktionäre "Flucht nach vorn" vor eben diesen als "Sachzwänge" sich manifestierenden Krisentendenzen beschrieben werden - in die heute gegebene extreme Exportausrichtung.

Das "entschuldigt" selbstverständlich nicht die Exzesse der Berliner Machtpolitik etwa in Südeuropa, das von einem Sparsadisten wie Wolfgang Schäuble in einen pauperisierten preußischen Kasernenhof verwandelt wurde.