Zur Wiederkehr der nationalistischen Ideologie

Seite 2: Krisennationalismus und Barbarisierung

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Da der systemische Krisenprozess als solcher nicht wahrgenommen wird, scheint etwa der Wählerschaft Trumps die Krise der USA durch die bloßen Handelsüberschüsse Chinas oder der BRD ausgelöst worden zu sein.

Mit einer Zuspitzung der Krisendynamik geht somit eine Intensivierung des Konkurrenzkampfes zwischen den Wirtschaftsräumen einher, der in offene Handelskriege und Protektionismus zu münden droht. Der neoliberale Globalismus droht nun in einem abermaligen Krisenschub von einem Krisennationalismus abgelöst zu werden, wie ihn am bisher lautesten Donald Trump propagiert.

Der Aufkommende Neonationalismus ist somit irrationaler Ausdruck der sich global krisenbedingt zuspitzenden Widersprüche, an denen die Globalisierung zu zerbrechen droht. Tatsächlich scheint der Manövrierraum der neoliberalen Krisenpolitik immer enger zu werden, wie ein kurzer Blick die entsprechenden Prozesse in ihrem historischen Kontext offenlegt.

Geldpolitik im Dauer-Ausnahmezustand

Zum einen verfügt die neoliberale Geldpolitik kaum noch über Hebel, mit denen neuen Krisenschüben effektiv zu begegnen wäre. Ein Blick auf die historische Entwicklung der US-Leitzinsen ist ernüchternd:

Grafik 6: Leitzinsen der US-Notenbank Fed im historischen Vergleich. Quelle: Trading Economics: United States Interest Rate. Grafik: TP

Erkennbar ist die historische Tendenz, seit den 1980ern durch zunehmend lockere Geldpolitik das Weltfinanzsystem mit ausreichender "Liquidität" zu versorgen. Nach dem Finanzkrach von 2008 ist die Geldpolitik nicht mehr zum "Normalzustand" zurückgekehrt, sie verblieb in einem Stadium extremer Nullzinspolitik.

Die Geldpolitik müsste eigentlich die Leitzinsen massiv anheben - allein schon, um geldpolitischen Manövrierraum beim nächsten Krisenschub zu gewinnen. Zugleich müssten eigentlich noch die Berge an Finanzmarktschrott abgebaut werden, die auf den Bilanzen der Notenbanken lasten. Auch hier zeigt sich das Ausmaß der Krise aus der langfristigen Perspektive:

Grafik 7: Bilanz der Fed. Quelle: Trading Economics: Fed Balance Sheet. Grafik: TP

Mit dem massiven Aufkauf von "Wertpapieren" durch die Notenbanken ab 2008 konnte tatsächlich eine nach der Pleite von Lehman Brothers drohende Kernschmelze des Weltfinanzsystems verhindert werden. Die zusätzliche "Liquidität", die durch diese expansive Geldpolitik in die Finanzmärkte gepumpt wurde, ließ aber auch eine neue spekulative Blasenbildung auf den Finanzmärkten entstehen.

Grafik 8: Dow Jones, historischer Chart. Quelle: Trading Economics. Grafik: TP

Diese Liquiditätsblase, wie sie etwa am historischen Verlauf des Dow Jones ersichtlich wird, ist bislang nicht geplatzt. Durch diese gigantische Gelddruckaktion wurde somit letztendlich nur der manifeste Krisendurchbruch, der 2008 drohte, um knapp zehn Jahre verzögert. Mensch könnte dies als eine "erfolgreiche" Verzögerungstaktik bezeichnen.

Und letztendlich ist dies der Kern bisheriger kapitalistischer Krisenpolitik: Die neoliberalen Funktionseliten bemühen sich, den manifesten Krisenausbruch durch immer neue Spekulationsblasen zu verzögern, doch kann dieser globalisierte, neoliberale Schuldenturmbau kaum noch aufrechterhalten werden.

Fazit: Nach gut zwei Dekaden scheint diese globale, neoliberale "Flucht nach vorn" des Kapitals vor seinen eigenen Widersprüchen weitgehend erschöpft. Die Manövrierräume neoliberaler Politik werden immer enger, während die krisenbedingten sozioökonomischen Verwerfungen die nationale Konkurrenz auf den globalisierten Märkten immer weiter anheizen.

Der Nationalismus ist somit eine irrationale systemimmanente Reaktion auf diese Sackgasse, in der sich der Prozess der "Globalisierung der Schulden" befindet. Der Neonationalismus bildet somit objektiv eine neue Etappe des Prozesses der krisenbedingten Barbarisierung des Spätkapitalismus.

Irgendetwas stimmt nicht!

Diese neu-alte Ideologie nimmt dabei Momente der Wirklichkeit verzerrt in sich auf. Konstituierend für den Neonationalismus ist das dumpfe Gefühl, dass "irgendetwas nicht stimmt", dass die neoliberlae Politik mit ihrem Latein am Ende sei. Diese dumpf erahnte Krisenwahrnehmung lässt Angst aufkommen. Hieraus resultiert dann das infantile Bedürfnis, die Krise "auszuschließen", die dann in der rechten Parole "Grenzen dicht!" mündet.

Der Neonationalismus glaubt die Krise deswegen "ausschließen" zu können, weil sie personifiziert wird. Sündenböcke hätten die Krise verbrochen: Die Bandbreite der entsprechenden Weltbösewichte reicht vom moslemischen Flüchtling bis zum jüdischen Milliardär. Da die Krise das soziale Gefüge in Auflösung überführt, das Chaos zunimmt, setzt eine verstärkte reaktionäre Identitätsproduktion ein.

Die Identität gilt als ein Anker, an dem sich der Nationalist in einer aus den Fugen geratenen Welt festhalten will. Der Deutsche, der Schweizer, der Pole, der Franzose - sie fühlen sich immer deutscher, schweizerischer, polnischer, französischer. Dies schafft oberflächlich Linderung in einer in Auflösung übergehenden Welt.

Der ideologische Kerngehalt des Neonationalismus aller politischen Schattierungen kreist somit um die Wahnidee, dass die Globalisierung die Ursache der gegenwärtigen Krise sei. Die äußere Verlaufsform der Krise wird mit deren inneren Ursachen verwechselt.

Es ist ein paranoides Oberflächendenken, dass die Erscheinungen mit dem Wesen der gesellschaftlichen Prozesse und Widersprüche verwechselt - und folglich immer wieder in Verschwörungstheorien mündet, mit denen die unverstandenen Widersprüche rationalisiert werden.