Zur Wiederkehr der nationalistischen Ideologie

Politische Ökonomie des Krisennationalismus - Teil 2

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Im ersten Teil der Textserie wurden die zunehmenden handelspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Wirtschaftsräumen auf den sich "hinter dem Rücken" dieser Subjekte entfaltenden Prozess kapitalistischer Widerspruchsentfaltung zurückgeführt. Der tritt den Subjekten in Form marktvermittelter, naturwüchsig erscheinender "Sachzwänge" gegenüber, die die Krisenkonkurrenz auf allen Ebenen anheizen.

Die Analogie des globalisierten Spätkapitalismus als der sinkenden Titanic, deren nationale Passagiere untereinander einen Verdrängungswettbewerb darum führen, wer als letzter ins Wasser fällt, könnte zur Illustrierung dieser Wechselwirkung von Krisis und Nationalismus herangezogen werden.

Das hochgradig "globalisierte" spätkapitalistische Weltsystem ist somit durch gegenläufige Tendenzen verstärkter nationaler Konkurrenz gekennzeichnet, die eben die Globalisierung selber bedrohen.

Schuldenturmbau: Globalisierung als "Flucht nach vorn"

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen lohnt ein kurzer Blick auf den historischen Prozess der neoliberalen Globalisierung, der zumeist einseitig als eine Globalisierung der Warenströme und Produktionsketten wahrgenommen wird. Dieser erscheint nun in einem anderen Licht: als eine Form der "Flucht nach vorn" des Kapitals vor seinen eigenen Widersprüchen.

Es handelt somit auch um eine Flucht in einen globalisierten Schuldenturmbau. Entscheidend sind die im vorherigen Text dargelegten, globalen "Ungleichgewichte" in den Leistungs- und Handelsbilanzen, die nur Ausdruck der globalen Defizitkreisläufe sind, die erst die Globalisierung des Warenhandels ermöglichten.

Bei einem Defizitkreislauf, der vor allem zwischen den USA und China - und mittlerweile stark abgeschwächt zwischen der BRD und der südlichen Eurozone - besteht, wird der Warenfluss im Rahmen der Exportüberschüsse von einem Strom von Schuldtiteln in die entgegengesetzte Richtung begleitet. Die exportorientierten Länder wie China, Japan oder Deutschland liefern beispielsweise ihre Waren in die USA und investieren das Geld dort sogleich wieder - vornehmlich in deren Finanzsektor.

Somit fließen etwa in dem größten pazifischen Defizitkreislauf die chinesischen Waren in Richtung USA - und auf dem Rückweg strömt ein geisterhafter Fluss von amerikanischen "Wertpapieren" in Richtung China zurück. Was China ja eine Zeit lang zum größten Auslandsschuldner der USA machte.

Das neoliberale Zeitalter mitsamt der Globalisierung des Warenaustausches und der Warenproduktion fußte somit auf der Globalisierung dieser gigantischen Verschuldungsdynamik, die vermittels der globalen Defizitkreisläufe etwa die kapitalistische Modernisierung Chinas befeuerte.

Der immer weiter zunehmende weltweite Warenaustausch, die rasch voranschreitende wirtschaftliche Verflechtung mitsamt des Aufbaus globaler Produktionsketten transnationaler Konzerne - sie fanden im Rahmen der zunehmenden Defizitkreisläufe statt, von denen auch die exportorientierten Länder und Wirtschaftsregionen abhängig sind.

Wirtschaftsstandorte im globalen Konkurrenzkampf

Dieser Globalisierung der Defizitbildung entsprach die neoliberale Ideologie, die einen kapitalistischen Globalismus predigte, der "Wirtschaftsstandorte" im direkten globalen Konkurrenzkampf um schwindende Investitionen "transnationaler" Konzerne sah. Bis 2008 konnte dieser globale Schuldenturmbau aufrechterhalten werden.

Nach dem Zusammenbruch der Spekulationsdynamik auf den Immobilmärkten in den USA und Westeuropa 2007/08 geriet diese kreditbefeuerte Globalisierung mit ihren globalen Deifizitkreisläufen und Schuldenblasen in eine zunehmende Schieflage, die zu einem Erstarken der nationalen Zentrifugalkräfte in der Capitalist One World führte.

Ungeachtet aller Krisenmaßnahmen, etwa der umfassenden Konjunkturpakete der meisten kapitalistischen Kernstaaten und der gigantischen Gelddruckaktion der Notenbanken, konnten massive sozioökonomische Einbrüche nicht mehr verhindert werden.

Hiervon sind vor allem die USA betroffen, wo die einstmals breite Mittelschicht gänzlich zu verschwinden droht, sowie die Krisenstaaten Südeuropas, denen Berlin im Zuge der Auseinandersetzungen um eine europäische Krisenpolitik die gesamte Last der Krisenfolgen aufbürden konnte.

Folglich wandelt sich auch die Ideologieproduktion in vielen kapitalistischen Kernländern. Mit den zunehmenden Verwerfungen gewinnen Abschottungsbestrebungen an Dynamik - gerade in Reaktion auf die Folgen der globalen Systemkrise.

Der vormals im Rahmen der neoliberalen Standortideologe geführte Wettbewerb zwischen Wirtschaftsstandorten ("Deutschland AG") verschärft sich nun und nimmt offen irrational-nationalistische Züge an, da die durch Handelsdefizite deindustrialisierten und in offene Verelendung übergehenden Regionen im offenen Protektionismus ihr Heil zu suchen drohen.

Krisennationalismus und Barbarisierung

Da der systemische Krisenprozess als solcher nicht wahrgenommen wird, scheint etwa der Wählerschaft Trumps die Krise der USA durch die bloßen Handelsüberschüsse Chinas oder der BRD ausgelöst worden zu sein.

Mit einer Zuspitzung der Krisendynamik geht somit eine Intensivierung des Konkurrenzkampfes zwischen den Wirtschaftsräumen einher, der in offene Handelskriege und Protektionismus zu münden droht. Der neoliberale Globalismus droht nun in einem abermaligen Krisenschub von einem Krisennationalismus abgelöst zu werden, wie ihn am bisher lautesten Donald Trump propagiert.

Der Aufkommende Neonationalismus ist somit irrationaler Ausdruck der sich global krisenbedingt zuspitzenden Widersprüche, an denen die Globalisierung zu zerbrechen droht. Tatsächlich scheint der Manövrierraum der neoliberalen Krisenpolitik immer enger zu werden, wie ein kurzer Blick die entsprechenden Prozesse in ihrem historischen Kontext offenlegt.

Geldpolitik im Dauer-Ausnahmezustand

Zum einen verfügt die neoliberale Geldpolitik kaum noch über Hebel, mit denen neuen Krisenschüben effektiv zu begegnen wäre. Ein Blick auf die historische Entwicklung der US-Leitzinsen ist ernüchternd:

Grafik 6: Leitzinsen der US-Notenbank Fed im historischen Vergleich. Quelle: Trading Economics: United States Interest Rate. Grafik: TP

Erkennbar ist die historische Tendenz, seit den 1980ern durch zunehmend lockere Geldpolitik das Weltfinanzsystem mit ausreichender "Liquidität" zu versorgen. Nach dem Finanzkrach von 2008 ist die Geldpolitik nicht mehr zum "Normalzustand" zurückgekehrt, sie verblieb in einem Stadium extremer Nullzinspolitik.

Die Geldpolitik müsste eigentlich die Leitzinsen massiv anheben - allein schon, um geldpolitischen Manövrierraum beim nächsten Krisenschub zu gewinnen. Zugleich müssten eigentlich noch die Berge an Finanzmarktschrott abgebaut werden, die auf den Bilanzen der Notenbanken lasten. Auch hier zeigt sich das Ausmaß der Krise aus der langfristigen Perspektive:

Grafik 7: Bilanz der Fed. Quelle: Trading Economics: Fed Balance Sheet. Grafik: TP

Mit dem massiven Aufkauf von "Wertpapieren" durch die Notenbanken ab 2008 konnte tatsächlich eine nach der Pleite von Lehman Brothers drohende Kernschmelze des Weltfinanzsystems verhindert werden. Die zusätzliche "Liquidität", die durch diese expansive Geldpolitik in die Finanzmärkte gepumpt wurde, ließ aber auch eine neue spekulative Blasenbildung auf den Finanzmärkten entstehen.

Grafik 8: Dow Jones, historischer Chart. Quelle: Trading Economics. Grafik: TP

Diese Liquiditätsblase, wie sie etwa am historischen Verlauf des Dow Jones ersichtlich wird, ist bislang nicht geplatzt. Durch diese gigantische Gelddruckaktion wurde somit letztendlich nur der manifeste Krisendurchbruch, der 2008 drohte, um knapp zehn Jahre verzögert. Mensch könnte dies als eine "erfolgreiche" Verzögerungstaktik bezeichnen.

Und letztendlich ist dies der Kern bisheriger kapitalistischer Krisenpolitik: Die neoliberalen Funktionseliten bemühen sich, den manifesten Krisenausbruch durch immer neue Spekulationsblasen zu verzögern, doch kann dieser globalisierte, neoliberale Schuldenturmbau kaum noch aufrechterhalten werden.

Fazit: Nach gut zwei Dekaden scheint diese globale, neoliberale "Flucht nach vorn" des Kapitals vor seinen eigenen Widersprüchen weitgehend erschöpft. Die Manövrierräume neoliberaler Politik werden immer enger, während die krisenbedingten sozioökonomischen Verwerfungen die nationale Konkurrenz auf den globalisierten Märkten immer weiter anheizen.

Der Nationalismus ist somit eine irrationale systemimmanente Reaktion auf diese Sackgasse, in der sich der Prozess der "Globalisierung der Schulden" befindet. Der Neonationalismus bildet somit objektiv eine neue Etappe des Prozesses der krisenbedingten Barbarisierung des Spätkapitalismus.

Irgendetwas stimmt nicht!

Diese neu-alte Ideologie nimmt dabei Momente der Wirklichkeit verzerrt in sich auf. Konstituierend für den Neonationalismus ist das dumpfe Gefühl, dass "irgendetwas nicht stimmt", dass die neoliberlae Politik mit ihrem Latein am Ende sei. Diese dumpf erahnte Krisenwahrnehmung lässt Angst aufkommen. Hieraus resultiert dann das infantile Bedürfnis, die Krise "auszuschließen", die dann in der rechten Parole "Grenzen dicht!" mündet.

Der Neonationalismus glaubt die Krise deswegen "ausschließen" zu können, weil sie personifiziert wird. Sündenböcke hätten die Krise verbrochen: Die Bandbreite der entsprechenden Weltbösewichte reicht vom moslemischen Flüchtling bis zum jüdischen Milliardär. Da die Krise das soziale Gefüge in Auflösung überführt, das Chaos zunimmt, setzt eine verstärkte reaktionäre Identitätsproduktion ein.

Die Identität gilt als ein Anker, an dem sich der Nationalist in einer aus den Fugen geratenen Welt festhalten will. Der Deutsche, der Schweizer, der Pole, der Franzose - sie fühlen sich immer deutscher, schweizerischer, polnischer, französischer. Dies schafft oberflächlich Linderung in einer in Auflösung übergehenden Welt.

Der ideologische Kerngehalt des Neonationalismus aller politischen Schattierungen kreist somit um die Wahnidee, dass die Globalisierung die Ursache der gegenwärtigen Krise sei. Die äußere Verlaufsform der Krise wird mit deren inneren Ursachen verwechselt.

Es ist ein paranoides Oberflächendenken, dass die Erscheinungen mit dem Wesen der gesellschaftlichen Prozesse und Widersprüche verwechselt - und folglich immer wieder in Verschwörungstheorien mündet, mit denen die unverstandenen Widersprüche rationalisiert werden.

Rückkehr zur Nation: Die Krise soll draußen bleiben

Die große Rückkehr zur Nation solle die Krise überwinden, die einfach durch eine Grenzschließung "ausgeschlossen" werde. Dass es sich bei der Globalisierung um die bloße Verlaufsform - um eine historische Phase - eines systemischen Krisenprozesses handelt, wird ausgeblendet. Die Krise soll "draußen" bleiben, während sie alltäglich im Innern des spätkapitalistischen Gesellschaften buchstäblich "erarbeitet" wird.

Nirgends wird dies übrigens deutlicher als beim Exportweltmeister Deutschland, der gerade deswegen zum bevorzugten Fluchtziel der verzweifelten Massen ökonomisch überflüssiger Flüchtlinge wurde, weil der Export von Arbeitslosigkeit hierzulande besonders erfolgreich vonstattengeht - und so noch die Illusion einer heilen kapitalistischen Arbeitsgesellschaft ermöglicht.

Die dem Krisenprozess inhärente Widerspruchsentfaltung zwischen Globalisierung und Re-Nationalisierung wird somit evident: Die Wirtschaftsräume der Zentren, die von den krisenbedingten Verwerfungen immer stärker in die offene Konkurrenz getrieben werden, wurden zugleich aneinander gekettet durch die krisenbedingte globale Verschuldungsdynamik mit ihren Defizitkreisläufen.

Die Verschuldungsdynamik kettet die Staaten vermittels der Defizitkreisläufe aneinander, die sozioökonomischen Krisenfolgen lassen in vielen Volkswirtschaften (USA, aber auch - abgeschwächt - in Italien oder Frankreich) aber zugleich nationalistische Stimmungen aufkommen.

Grenzen dicht!

Ein systemimmanenter Ausbruch aus diesem sich permanent zuspitzenden Teufelskreislauf - etwa durch Protektionismus und Wirtschaftsnationalismus - kann nur um den Preis des massiven sozioökonomischen Einbruchs vollzogen werden. "Grenzen dicht!" - diese Parole kann angesichts der Intensität des globalisierten Warenaustausches nur ins Desaster führen.

Denn selbstverständlich stellt diese irrationale Tendenz zur Rückbesinnung auf den überkommenen nationalen Mief nichts weiter als eine sozioökonomische Kamikazestrategie dar, die den latenten Krisenprozess ins manifeste Stadium überführen würde - und es ist immer noch nicht absolut klar, ob etwa das Politestablishment in Washington Donald Trump tatsächlich von seinen protektionistischen Wahnvorstellungen abbringen wird.

Die gespenstische, einer reellen ökonomischen Basis vollends beraubte Rückkehr zur Nation, die sich auch in verstärkter Identitätsproduktion äußert, wird gerade von diesem oben dargelegten Wunsch nach Abkapslung vom Krisenprozess befeuert. Das gilt für Trumps Wirtschaftsnationalismus, die rechte Abwehrfront gegenüber Flüchtlingen in Mittelosteuropa, die Masse der Brexit-BefürworterInnen und ebenso für den deutschen oder Schweizer Rechtspopulismus - für AfD und SVP.

Und dennoch wäre es verheerend, die rechten Wahnträume von einer nationalen Wiedergeburt an der spätkapitalistischen Realität zerschellen zu lassen, etwa um diese reaktionäre Politik zu diskreditieren. Beim Rechtspopulismus und Rechtsextremismus handelt es sich um mehr oder minder geschlossene Wahnsysteme, die auf ein Scheitern ihrer Politik einfach mit der Ausbildung neuer Verschwörungsideologien reagieren würden. Die gegenwärtige Konstellation ist ja nicht ohne historisches Vorbild.

Die Situation erinnert an die 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts, als der Begriff Beggar-thy-neigbour geprägt wurde und alle wichtigen kapitalistischen Staaten durch protektionistische Maßnahmen ihre Wirtschaft vor Handelsdefiziten und den korrespondierenden Krisenverheerungen zu schützen versuchten.

Damals haben die protektionistischen Maßnahmen der meisten kapitalistischen Staaten - gepaart mit einer rabiaten Sparpolitik - die Krisendynamik maßgeblich verschärft und die damalige Weltwirtschaftskrise zu der schwersten Erschütterung auswachsen lassen, die das kapitalistische Weltsystems bislang erfuhr - mit den bekannten politischen Folgen ab 1933. Obwohl das Krisenpotenzial in der aktuellen Krisenperiode weitaus höher ist als in den 30ern, ist ein solcher verheerender Zusammenbruch bislang nicht eingetreten.

Dies liegt vor allem daran, dass die kapitalistischen Funktionseliten aus der Geschichte gelernt haben, nach dem Krisenausbruch 2008 systemimmanent "richtig" handelten und den drohenden konjunkturellen Zusammenbruch mittels Konjunkturmaßnahmen (sie umfassten 2009 rund 4,7 Prozent der Weltwirtschaftsleistung) und massiver Aufkäufe von Schrottpapieren abwendeten.

Neonationalistische Selbstzerstörungstendenzen

Der neoliberale Konsens, die Globalisierung trotz aller Krisenschübe aufrechtzuerhalten, blieb bestehen, obwohl erste "informelle" Handelskriege bereits ausbrachen (sie wurden, wie schon erwähnt, durch Währungsabwertungen geführt, bei denen Exportvorteile erreicht werden sollten). Doch wurde mit dieser Stabilisierung nur ein paar Jahre Zeit in einem rasch erodierenden kapitalistischen Weltsystem erkauft, in dem Verelendung und Populismus immer stärker ineinander greifen.

Die nationalistische Tendenz, die Krisenfolgen auf andere Länder und Wirtschaftsräume abzuwälzen, die den wirtschaftspolitischen Kern des aktuellen Krisennationalismus bildet, hat somit das Potenzial, den Krisenprozess - ganz nach dem Muster der 30er Jahre - noch weiter zu beschleunigen. Der Konsens, nicht die nationalistischen Fehler der Weltwirtschaftskrise zu begehen, erodiert mit der Wahl Trumps jedenfalls rapide.

Ob die abgetakelten neoliberalen Eliten diese neonationalistischen Selbstzerstörungstendenzen - mit denen der kapitalistische Krisenprozess in eine neue barbarische Etappe überzugehen droht - noch einmal abwehren können, bleibt offen.

Die Parallelen zu den 1930ern sind somit unübersehbar: Die Konstellation aus schwerer Systemkrise und nationalistischen, zum Faschismus tendierenden ideologisch-politischen Fallout ist evident. Dabei sind diese offensichtlich - nicht nur in den USA, Großbritannien, Frankreich, einen Großteil Osteuropas, sondern gerade auch in Deutschland.

Sündenböcke

In der Bundesrepublik greifen ordinär nationalsozialistische Momente um sich, bei denen die Folgen des krisenbedingten neoliberalen Sozialabbaus (Agenda 2010, Hartz IV) auf "Ausländer", Migranten und Flüchtlinge projiziert werden - die so zu Sündenböcken gemacht.

Die Parallelen zu den 1930ern reichen sogar bis zum KZ. Das Konzentrationslager als Ort kapitalistischer Menschenverwahrung und Auslöschung feiert im Rahmen des globalen Grenzregimes wieder seine Auferstehung. Inzwischen warnen sogar Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes vor "KZ-ähnlichen Zuständen" in Libyen - genau dort, wohin die EU bald die ökonomisch Überflüssigen abschieben möchte (hierzu: Spiegel-Online).

"Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung", heißt es laut "WamS" in der amtlichen Depesche. "Augenzeugen sprachen von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis - mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen, das heißt den menschlichen 'Durchsatz' und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen."

Diese "privatisierten" KZs, die sich quasi naturwüchsig in dem poststaatlichen Gebilde herausbildeten, das einstmals "Libyen" war, bilden dabei nur die verwildere Extremform der staatlich organisierten Menschenverwahrung. Australien etwa ermordete "seine" Flüchtlinge nicht, es unterzog sie der Isolationsfolter auf abgelegenen Pazifikinseln.

Rechte Ideologie bleibt sich treu

Der größte Unterschied zu den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts besteht aber nicht nur darin, dass eine keynesianische Krisenpolitik den Krisendurchbruch 2008 verzögern konnte; überdies ist der Krieg als Krisenausweg nicht mehr gangbar.

Die kapitalistische Nachkriegsprosperität der 1950er Jahre fußte auf den Leichenbergen des Zweiten Weltkrieges, in dessen Verlauf die totale Mobilisierung aller Kräfte den Durchbruch des neuen, fordistischen Akkumulationsregimes der Nachkriegszeit ermöglichte.

Die massenhafte Herstellung von Panzern ging in die massenhafte Produktion von Autos über, es gab de facto keine "Demobilisierung" nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Option des Krieges ist inzwischen aufgrund des erreichten Produktivitäts- und Vernichtungspotenzials nicht mehr gangbar. Kriege sind entweder, als imperiale Weltordnungskriege, zu klein oder, als Atomkriege, zu groß, um ein neues Akkumulationsregime durchzusetzen.

Überdies zeichnet sich nirgends ein neues Akkumulationsregime ab, Lohnarbeit massenhaft verwerten könnte. Eine "schöpferische Zerstörung" im Sinne des Zynikers Schumpeter ist nur dann möglich, wenn sie neue Felder der Kapitalverwertung öffnet - ansonsten müssten ja die von Bürgerkriegsruinen übersäten "gescheiterten Staaten" der Peripherie im Dauerboom verfangen sein.

Zwischenfazit: Der länder- und parteiübergreifend grassierende Neonationalismus, der sich in die Clownspose "nationaler Opposition" gegen den neoliberalen, globalistischen Mainstream wirft, ist somit nichts weiter als ein hoffnungsloses ideologisches Abbild eines drohenden neuen Krisenschubs.

Die Krisenphase der neoliberalen Globalisierung der Verschuldungsdynamik droht an ihren eskalierenden Widersprüchen (in Gestalt der erläuterten zunehmenden "Ungleichgewichte") zu zerbrechen und von einer irrationalen nationalistischen Krisenverwaltung abgelöst zu werden, die mit manifesten sozioökonomischen Zusammenbrüchen in den Zentren einhergehen würde, wie sie schon die Peripherie des Weltsystems verheerten.

Rechte Ideologie bleibt sich somit treu: Sie betreibt eine Affirmation des Bestehenden, hier des Krisenprozesses. Dieser drohende Zusammenbruch der globalisierten kapitalistischen Weltwirtschaft - der ohne deren emanzipatorische Überwindung nur katastrophal verlaufen kann - wird mit einem neuen irren nationalen "Sinn" aufgeladen.

Der epische Kampf gegen "Globalisten"

Der Neonationalismus halluziniert die bereits gegebenen Verwerfungen zu einem epischen Kampf der Nationen gegen eine nebulöse, allmächtige wie feige Verschwörung von Bösewichtern oder "Globalisten". Nicht nur Trump, auch seine europäischen Wahngenossen wie Kaczynski, Orban und Putin oder der türkische Egomane Erdogan sehen sich als Kämpfer gegen Verschwörungen irgendwelcher globaler Netzwerke, seien es Transatlantiker, jüdische Milliardäre, EU-Bürokraten, die UNO, Illuminati, Marsmenschen oder eben der Weihnachtsmann.

Die Verschwörung als alltägliches Machtinstrument - gerade von diesen Exponenten des Rechtspopulismus bei ihren Machtkämpfen inflationär praktiziert - wird in diesen Ideologien zum Urgrund aller Krisenverwerfungen erklärt. Hinter allen Krisenschüben müssen bei dieser primitiven Projektion dieselben Machtseilschaften stecken, die man selber beim politischen Aufstieg ausbildete.

Die widerspruchsgetriebene gesamtgesellschaftliche Eigendynamik des Kapitals wird von dem Nationalismus und Populismus allein schon deswegen nicht wahrgenommen, weil es einer Kränkung des eigenen Egos und der eigenen Machtgeilheit gleichkäme. Der Weg in den offenen Antisemitismus, der immer die letzte ideologische Rückzugslinie des Kapitals in Krisenzeiten bildet, ist hier schon längst beschritten.

Politische Funktionseliten mit borderline-haften Charakterzügen

Der in vielen Ländern schon vollzogene Wechsel vom Neoliberalismus zum Neonationalismus (USA, Ungarn, Türkei, Polen, Russland, Ukraine, Philippinen) geht ja mit einem Wechsel der politischen Funktionseliten einher, die oftmals labile, irrationale Charakterzüge tragen.

Neben Trump und Erdogan, die für ihre quasi borderline-haften Charakterzüge berüchtigt sind, könnten hier noch der philippinische Möchtegern-Kannibale Duterte oder der ungarische Soros-Jäger Orban genannt werden, der in der Flüchtlingskrise eine jüdische Milliardärsverschwörung sehen will.

In Polens Regierung glaubt man wiederum immer noch daran, dass Putin den verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski 2010 umbringen ließ. Es ist gerade der paranoide Irrationalismus dieses durch die Krise an die Macht gespühlten nationalistischen Politpersonals, der ihre Bereitschaft befördert, die historischen Lektionen von 1929 und 1933 zu ignorieren.

Selbstverständlich ist auch dieser Neonationalismus im höchsten Maße instabil, da er in Wechselwirkung mit den üblichen krisenbedingten Verwerfungen zumeist anderen barbarischen Zerfallsideologien (Separatismus) Platz macht. Es ist eher eine politische Mode, die im Krisenverlauf anderen ideologischen Zerfallstendenzen Platz machen wird.

Dies ist auch schon in Deutschland überdeutlich absehbar, wo rund ein Drittel der Bayern für einen Austritt aus der Bundesrepublik zu gewinnen wären. Bei der nächsten Wirtschaftskrise dürfte sich diese Relation verkehren.

Fehlendes historisches Bewusstsein

Der Neonationalismus darf zudem kein historisches Bewusstsein tragen, er geht - ganz dem Zeitgeist folgend - in der Jetztzeit voll auf, womit die evidente Faschisierung der Metropolengesellschaften tabuisiert wird. Die geistige Armseligkeit dieser parteiübergreifenden Ideologie, die eine regelrechte gesamtgesellschaftliche Renaissance des Nationalen in den meisten Metropolengesellschaften ausgelöst hat, drückt sich auch und gerade in ihrer Geschichtsvergessenheit aus.

Dies ist nicht einfach nur auf die Dumpfheit des kulturindustriell deformierten öffentlichen Diskurses zurückzuführen, dessen Langzeitgedächtnis auf wenige Wochen zusammengeschmolzen ist. Während alle Länder und alle Parteien immer nationaler empfinden, Rechtspopulisten und mitunter Rechtsextremisten Wahlerfolge feiern, müssen die evidenten historischen Parallelen zum Vorfaschismus der 1930er Jahre verbissen ignoriert werden. Das Geschichtsbild des Neonationalismus besteht einfach darin, die üblichen Verschwörungstheorien in die Vergangenheit zu projizieren.

Es darf nicht debattiert werden, wohin der gegenwärtige Neonationalismus tendiert - gerade in der Bundesrepublik. Deswegen gibt ja de facto, dem öffentlichen Sprachgebrauch folgend, keine Nazis mehr in Deutschland. Es darf sie einfach nicht geben, allein schon der Exportkonjunktur wegen - dies war schon der erste große Sieg des Vorfaschismus, der die evidenten historischen Parallelen im öffentlichen Diskurs tabuisierte.

Höchstens "Rechte", Rechtspopulisten, rechte Aktivisten, Einwanderungskritiker, besorgte Bürger, eventuell noch Ultranationalisten, bevölkern die nach rechts abdriftende Mitte der Gesellschaft. Es sind einfach zu viele. Selbst ein Goebbels-Imitator wie Björn Höcke, der eindeutig antisemitische Hetze betreibt, wird nicht als Nazi bezeichnet.

Neonationalismus: Ideologische Zerfallsform des Neoliberalismus

Mögen sich diese neualten "Judenkritiker" vom Schlage eines Björn Höcke oder Viktor Orban auch als große Gegenspieler zum neoliberalen "Globalismus" aufspielen, in Wirklichkeit sind sie dessen Erben. Präziser: Der Neonationalismus ist eine ideologische Zerfallsform des Neoliberalismus. Er ist das, was übrig bleibt, sobald der ganze neoliberale Gedankenmüll der vergangenen Dekaden in Verwesung übergeht, da er nicht ordentlich ausgemistet wurde.

Auf ideologischer Ebene ist es offensichtlich das neoliberale Konkurrenzdenken, das von dem Neonationalismus ins Extrem getrieben wird, indem es mit Rassismus oder Chauvinismus angereichert wird (Kampf der Rassen, Nationen, etc.). Zumeist bildet der Sozialdarwinismus die wichtigste ideologische Kontinuitätslinie zwischen den Neoliberalen und den Neonationalisten samt ihrem faschistischen Anhang.

Auch der Neoliberalismus mit seiner Idealisierung der Konkurrenz der Wirtschaftsstandorte ist schon im Kern nationalistisch, da der Weltmarkt immer nur als Kampfarena im Überlebenskampf der nationalen Standorte fungiert.

Der Neoliberalismus bringt einen Wirtschaftsnationalismus hervor (und gerade keinen Kosmopolitismus), bei dem eventuelle Erfolge auf dem Weltmarkt nur die Überlegenheit des eigenen nationalen Kollektivs demonstrieren.

Der Neonationalismus stellt somit den ideologischen Ausfluss der krisenbedingten Barbarisierung der spätkapitalistischen Gesellschaften dar, ihrer "Verrohung". Der Ansturm des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, der spätestens nach der Wahl in Frankreich gebrochen scheint, wird folglich mit den nächsten Krisenschüben erneut an Dynamik gewinnen.

Das national und rassisch übersteigerte Konkurrenzdenken, gepaart mit der angstgetriebenen paranoiden Weltsicht, die überall Verschwörungen wittert und - zumeist jüdische - Sündenböcke benennt, stellt den naturwüchsigen Ausfluss der in Auflösung übergehenden neoliberalen Ideologie dar.

Abschließender Exkurs: die große "Schuldfrage"

Diese wutgetränkte Paranoia mitsamt der an Hexenverfolgungen erinnernden, tendenziell antisemitischen Sündenbocksuche darf aber nicht dazu verführen, die Frage der persönlichen Verantwortung, der "Schuld" gänzlich auszublenden.

Es gilt zuerst klar festzuhalten, dass absolut niemand die Schuld am Krisenausbruch trägt, da die Crisis von dem - im ersten Teil der Textserie dargelegten - inneren Widerspruch des Kapitals befeuert wird. Die Krise brach gerade deswegen aus, weil die Marktsubjekte genau das immer effizienter tun, was das System von ihnen verlangt: Lohnarbeit verwerten zwecks uferloser Kapitalakkumulation.

Je effektiver Lohnarbeit verwertet wird, desto größer der marktvermittelte Druck, desto stärker zieht sich die Schlinge um den Hals aller Marktsubjekte zu. Alle tun, was "das System" von ihnen verlangt, doch aufgrund der inneren Widersprüchlichkeit des Kapitalverhältnisses führt gerade dies in die Krise.

Diese Krisenrealität wird aber von der herrschenden Ideologie auf den Kopf gestellt: In den Massenmedien wird die Krise immer als Folge des systemwidrigen Fehlverhaltens irgendwelcher Sündenböcke dargestellt (Dies gilt ja auch für den grassierenden Rechtspopulismus wie Rechtsextremismus, die ja in ihrer Eigenschaft als ein Extremismus der Mitte nur die herrschende Ideologie ins Extrem treiben).

Wenn schon mit Kategorien der persönlichen Schuld operiert wird, dann muss sie gerade im "Normalvollzug" des Systems verortet werden. Während also niemand "Schuld" trägt an dem Ausbruch der Systemkrise, deren Dynamik sich quasi "hinter dem Rücken der Produzenten" (Marx) entfaltet, heißt das noch lange nicht, dass im Kapitalismus niemand schuldig würde.

Es ist aber gerade das alltägliche Funktionieren des Systems - die marktvermittelte Unterdrückung, Ausbeutung und Ideologieproduktion - in dessen Verlauf all die hierfür verantwortlichen Individuen Schuld auf sich laden, die als "Charaktermasken" (Marx) ihrer kapitalistischen Funktionen diese Systemzwänge exekutieren.

Mehr noch: in Wechselwirkung mit der Krisendynamik wird gerade die Ausbeutung, die Unterdrückung, die Lügenproduktion des Systems ins Extrem gesteigert. Der populistische Krisendiskurs stellt hier wiederum Ursache und Wirkung auf den Kopf: die vielen, zunehmenden "Schweinereien" wie extreme Ausbeutung, absurde Propagandakampagnen oder die mörderischen neoimperialistischen "Interventionen" sind nicht Ursache der Krise, sondern deren Folge.

Dies gilt auch für die viel kritisierte Stellung des Exportweltmeisters Deutschland als dem großen scheinbaren "Krisengewinner", der seinen Aufschwung den ins Ausland exportierten Schuldenbergen verdankt. In den späten 1990ern, vor der Euroeinführung samt Agenda 2010, galt Deutschland als der "kranke Mann Europas", da auch hierzulande die Krisentendenzen, die nun buchstäblich exportiert werden, sich in Form wachsender Arbeitslosigkeit und konjunktureller Stagnation manifestierten.

Die Exportausrichtung der Bundesreplik kann somit ebenfalls als eine reaktionäre "Flucht nach vorn" vor eben diesen als "Sachzwänge" sich manifestierenden Krisentendenzen beschrieben werden - in die heute gegebene extreme Exportausrichtung.

Das "entschuldigt" selbstverständlich nicht die Exzesse der Berliner Machtpolitik etwa in Südeuropa, das von einem Sparsadisten wie Wolfgang Schäuble in einen pauperisierten preußischen Kasernenhof verwandelt wurde.