Explosionsartige Ausweitung der Finanzmärkte in der Clinton-Ära

Seite 6: Globale Defizitkreisläufe als Konjunkturmotor

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Neben dem breit angelegten Ausbau eines deregulierten Niedriglohnsektors wurden von der Clinton-Administration in den 90ern weitere Maßnahmen ergriffen, um die Profitraten der US-Industrie zu sanieren. Hierzu gehört die verstärkte Förderung einer "äußeren Expansion" der amerikanischen und westlichen Unternehmen und Konzerne, die nun im Rahmen von Freihandelsabkommen wie NAFTA ihre arbeitsintensiven Produktionsschritte in die Peripherie des Kapitalistischen Weltsystems verlegten. So entstand unweit der amerikanischen Grenze in Nordmexiko eine ganze Zone von Fabriken und Betrieben, in der US-Konzerne massenhaft Waren zu Elendslöhnen für den amerikanischen Markt herstellen lassen. Um einiges größer sind die Dimensionen bei dem Handel zwischen den USA und China, dessen Exportüberschüsse maßgeblich zur Ausformung des riesigen Handelsdefizits der Vereinigten Staaten beigetragen haben:

US-Handelsbilanz 1990 bis 2005

Schon seit den 70ern tendenziell gegeben, explodiert das Handelsdefizit der USA geradezu während der Hochphase des Hightech-Booms auf den Aktienmärkten. Auch im Fall Chinas sind es oftmals US-Konzerne, die ihre arbeitsintensiven Produktionsschritte gen China verlagern, um von den dortigen Hungerlöhnen profitieren zu können und die Waren in die USA zu exportieren. China wird zur neuen "Werkstatt der Welt", in der geringe Löhne eine Zeit lang besonders hohe Profite garantieren. Doch diese Strategie zur Hebung der Profitrate und Überwindung der Stagnation bringt nur kurzfristig eine Besserung mit sich und reproduziert die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise nur auf einem höheren Niveau, wie Walden Bello erläutert:

Das Problem mit diesem Fluchtweg vor der Stagnation ist, dass er die Problematik der Überproduktion verschlimmert, weil er die produktiven Kapazitäten erweitert. Eine gewaltige Anzahl an produktiver Kapazität wurde in China über die letzten 25 Jahre geschaffen, und dies hatte einen drückenden Effekt auf Preise und Profite. Nicht überraschend hörten ab ca. 1997 die Profite der US-Konzerne zu wachsen auf.

Walden Bello

China exportiert weitaus mehr Waren, als es importiert. Der Konsum im Reich der Mitte ist natürlich viel niedriger als dessen gesamte Produktionskapazitäten. Somit entstehen die in der Stagnation mündenden Probleme erneut: Wohin mit all den produzierten Waren? Wie das brachliegende Kapital gewinnbringend investieren?

Abhilfe schafft hier auf wundersame Weise der Finanzkapitalismus, indem sich mit der Zeit Defizitkreisläufe mit den USA als deren Mittelpunkt ausbilden, die als eine Art globaler Konjunkturmotor fungieren. Die exportorientierten Länder wie China, Japan oder Deutschland liefern ihre Waren in die USA und investieren das Geld dort sogleich wieder - vornehmlich in deren Finanzsektor. Somit fließen in dem größten pazifischen Defizitkreislauf die chinesischen Waren in Richtung USA und auf dem Rückweg strömt ein geisterhafter Fluss von amerikanischen "Wertpapieren" - oder Grün bedruckten Papierzetteln, die liebevoll "Greenback" genannt werden - in Richtung China zurück.

Die Vereinigten Staaten dienten als ein "Schwarzes Loch der Weltkonjunktur", in dem die Überschussproduktion der exportorientierten Volkswirtschaften verschwand. An die 20 Milliarden US-Dollar müssen monatlich in den Finanzsektor der USA fließen, um deren gigantische Defizite aufrecht erhalten zu können. Das Handelsdefizit zwischen den USA und China betrug beispielsweise in 2007 über 250 Milliarden US-Dollar. Die Chinesen leihen den USA somit das Geld, damit diese weiter ihre Produkte kaufen können. Somit ist klar, dass die gute Konjunktur der letzten Jahre einfach auf Pump realisiert wurde, insbesondere durch die Verschuldung innerhalb der USA, auf deren ganzes Ausmaß wir noch zu sprechen kommen werden.

Wie dieses konjunkturelle Perpetuum Mobile, das dem spätkapitalistischen Weltsystem zu einem letzten ökonomischen Frühling verhalf, die Ausbildung der globalen Weltwirtschaftskrise beförderte, erläuterte jüngst der inzwischen abtrünnige "Vater der Reaganomics", Paul Craig Roberts:

Der Mechanismus, der die amerikanische Finanzkrise weltweit verbreitete, war das massive US-Handelsdefizit. Jedes Jahr verfügen die Länder, mit denen die USA ein Handelsdefizit aufweisen, über eine Gesamtmenge von Hundertern von Milliarden Dollar. Die Länder packen diese Dollar nicht unter die Matratze. Sie investieren sie. ... Sie kaufen auch US-Finanzprodukte. Sie finanzieren das Haushaltsdefizit der US-Regierung, indem sie amerikanische Staatsanleihen (Treasury bonds) und Forderungen aufkaufen. Sie helfen, den Hypothekenmarkt der USA zu finanzieren, indem sie die Bonds von Fannie Mae and Freddie Mac erwerben. Sie kaufen auch Finanzinstrumente wie hypothekarisch besicherte Anleihen (Mortgage Backed Securities) und andere Derivate von den US-Investmentbanken - und so verbreitete sich die Krise überallhin.

Paul Craig Roberts

Das Finanzsystem der USA erfand schlicht die "Finanzprodukte", die im Austausch für all die in die Vereinigten Staaten fließenden Waren in alle Welt gingen. Finanziert auf Pump, waren eigentlich alle Teilnehmer an diesen Defizitkreisläufen zufrieden: Die exportierenden Länder hatten einen Absatzmarkt, die USA ihren lang anhaltenden Konsumboom. Die aus Stagnation und der Krise der Arbeitsgesellschaft resultierenden Spannungen und Widersprüche des spätkapitalistischen Weltsystems scheinen ins Nirvana des munter wuchernden Finanzsystems zu verschwinden - bis zum bösen Erwachen.