Explosionsartige Ausweitung der Finanzmärkte in der Clinton-Ära
Seite 5: Die (vorläufige) Lösung der Arbeitslosenfrage
Dennoch scheinen die Vereinigten Staaten - oberflächlich betrachtet - ihre Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen zu haben. In den USA sank während der Regentschaft der Clinton-Administration die offizielle Arbeitslosenquote auf ca. vier Prozent. Auch in Großbritannien konnte die Regierung Blair ein ähnliches "Jobwunder" vollbringen, wie es jetzt, kurz vor Kriseneinbruch, angeblich auch in Deutschland ausbrach, wo laut Regierungsangaben:: nur noch drei Millionen Menschen arbeitslos ein sollen. Es sei hier nur en passant bemerkt, dass solche Jubelmeldungen in Zusammenhang mit der rapide voranschreitenden Verelendung in Deutschland gebracht werden müssen.
Wie in den USA die Clinton-Administration die Arbeitslosigkeit mittels Verelendung bekämpfte und die nun auch in Deutschland sattsam bekannte Schicht der "Working Poor" weiter etablierte, das beschrieb der renommierte US-Journalist Chris Hedges in einer wütenden, äußerst lesenswerten Abrechnung mit den vergangenen Dekaden neoliberaler Politik in den Vereinigten Staaten.
Clintons Sozialreform, die am 22.08.1996 ins Leben trat, vernichtete das soziale Netz der Nation. Sie warf binnen drei Jahren sechs Millionen Menschen, viele von ihnen waren alleinerziehende Mütter, aus der Unterstützung. Sie warf diese Menschen auf die Straße ohne Kinderpflege, Mietbeihilfen, und Krankenversicherung. Ganze Familien wurde fanden sich in der Krise, sie kämpften ums Überleben in Jobs, die mit sechs oder sieben Dollar die Stunde vergütet wurden, oder mit weniger als 15 000 Dollar im Jahr. Doch das waren die Glücklichen. In einigen Staaten konnte die Hälfte der aus der Sozialhilfe gedrängten Menschen keine Arbeit finden. ... Das boomende und überfüllte Gefängnissystem handhabte den Zustrom der Armen, wie auch die aufgegebenen, Geistig Kranken. Und heute sind wir mit der Schande konfrontiert, dass 2,3 Millionen unserer Bürger sich hinter Gittern befinden, die meisten wegen gewaltfreier Drogenverbrechen.
Es war also ein amerikanisches Hartz IV Programm, erweitert um eine starke, repressive Komponente, das massiv zum "Verschwinden" der Arbeitslosen aus den Statistiken beitrug. Diese "Working Poor" (Arbeitenden Armen) konnten versuchen, sich mit zwei, drei Jobs gleichzeitig über Wasser zu halten, oder - beim abdriften in die Kriminalität - in dem privatisierten, äußerst einträglichen Gefängnissystem der USA zu einer einträglichen Geldquelle und billigen Arbeitskraft verkommen. Diese Methoden der Bekämpfung der Arbeitslosen bilden die Kehrseite der besagten Trickle Down Economy - der Anhäufung von Reichtum auf an der Spitze der Einkommenspyramide korrespondierte der Ausbau eines breiten, deregulierten Dienstleistungssektors, in dem Kellner, Parkplatzeinweiser oder Einpacker im Supermarkt mit den mickrigen Brotkrümmeln vom herrschaftlichen Tisch der Superreichen abgespeist wurden.
Die Etablierung und Expansion einer relativ breiten Schicht von Vermögenden ging einher mit dem Aufbau der entsprechenden "Dienstbotengesellschaft". An die 24 Prozent der Lohnabhängigen in den USA fielen 2004 in die Kategorie der "Working Poor", während Mitte 2006 nahezu 10 Millionen amerikanischer Haushalte über ein Vermögen von mehr einer Million Dollar verfügten (ohne Berücksichtigung der Immobilien). Als "Working Poor" gelten die Lohnabhängigen in den USA, deren Einkünfte zum Lebensunterhalt nicht ausreichen.
Neben Billiglohn, Zwangsarbeit und Knast kam auch die ganze Bandbreite statistischer Phantasie beim Kampf gegen die Arbeitslosen zum Einsatz. Ähnlich der deutschen Statistik, bei der inzwischen gut 1,5 Millionen Arbeitslose nicht berücksichtigt werden, ist auch die US-Arbeitslosenquote gnadenlos frisiert. Während die offiziellen Zahlen nur eine sechsprozentige Arbeitslosigkeit melden, geht das Statistik-Portal "Shadowstats.com" vor 15 Prozent Arbeitslosen in den USA aus.
Es ist klar, das die neoliberalen Maßnahmen nicht zu einer prinzipiellen Lösung der erwähnten Krise der Arbeitsgesellschaft beitragen, sondern die Probleme nur verdrängen. Durch diese Maßnahmen entstehen keine neuen Schlüsselindustrien, die Massenbeschäftigung mitsamt massenhafter Nachfrage generieren und so eine lange kondratjewsche Konjunkturwelle tragen würden. Mit der Welfare-Reform Clintons - wie mit Schröders Hartz IV - werden die aus dem Arbeitsleben bereits ausgeschlossenen Menschen schikaniert und in vorsätzlich errichtete Niedriglohnsektoren gepresst, die nur vermittels ihrer geringen Löhne noch Gewinne abwerfen können. Der wachsenden Produktivität der Ökonomie begegnet die Politik mit vorsätzlicher Verelendung, um noch die (statistische) Illusion einer heilen marktwirtschaftlichen Arbeitsgesellschaft aufrecht erhalten zu können. Spätestens in dieser Periode wird auch in nahezu der gesamten Ökonomie die Sozialpartnerschaft in den Betreiben und Konzernen, die prägend für das besagte "Goldene Zeitalter" des Nachkriegskapitalismus war, von den Unternehmern einseitig aufgekündigt - die Drohung mit Betriebsverlagerungen wird zu einer effektiven Methode des Managements, um Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerungen durchzusetzen.
Die späte Clinton-Ära war also gekennzeichnet durch eine ganze Reihe scheinbar widersprüchlicher Entwicklungen, die allesamt aus der besagten Krise der Arbeitsgesellschaft resultierten. Ein spekulativ aufgeheizter Boom mit Hightech-Aktien kontrastierte mit dem forcierten, repressiven Ausbau eines Niedriglohsektors, in dem inzwischen ein gutes Viertel aller erwerbsfähigen US-Bürger sein Dasein fristet. Während der kreditfinanzierte, private Konsum in den USA eine immer wichtigere Rolle als Konjunkturmotor spielt, entlassen wichtige Industriezweige entweder aufgrund von Produktivitätsfortschritten massenhaft Arbeiter, oder die Betriebe werden gleich gänzlich in Niedriglohnländer verlegt. Im Nordosten, in dem einstigen Industriellen Kernland der USA, bildet sich der "Rust Belt" (Rostgürtel). Hierbei handelt es sich eine postindustrielle, ökonomische Einöde, in der Industriruinen die Landschaft säumen und Ganze Regionen unter Bevölkerungsschwund, Verelendung und sozialer Desintegration leiden. Das Wirtschaftsmagazin Forbes warf jüngst einen Blick in diese Krisenregion. Das Fazit ist ernüchternd:
Das Getümmel auf dem Hypothekenmarkt verschaffte uns eine Gnadenfrist, während der wir mit weiteren Nachrichten über die Leiden des amerikanischen Rostgürtels verschont wurden. Das bedeutet aber nicht, dass die Dinge sich gebessert haben. Trotz einer Dekade nationaler Prosperität, das ehemalige Rückgrat der US-Produktion befindet sich in einer raueren Verfassung als jemals zuvor. Es ist immer noch auf der suche nach einem Weg, die längst stillgelegten Schornsteine zu ersetzen.