Explosionsartige Ausweitung der Finanzmärkte in der Clinton-Ära

Seite 3: Kondratjwes lange Konjunkturwellen

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Wieso konnte der Internet-Boom nicht zu einem dauerhaften Wirtschaftsaufschwung führen, ähnlich des "Goldenen Zeitalters" der Massenmotorisierung in den 50er und 60er Jahren. Wie aus der ersten Grafik über die Investitionen in den USA ersichtlich wird, brechen die im Zuge der Hightech-Hausse geradezu explodierenden Investitionen ebenso schnell wieder zusammen und die gesamte Investitionstätigkeit geht sogar noch weiter zurück.

Um diese Frage zu beantworten, lohnt ein näherer Blick auf die vom sowjetischen Ökonomen Nikolai Dmitrijewitsch Kondratjew begründete Theorie der "langen Konjunkturwellen", für die der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter 1938 - ein Jahr nach Kondratjews Ermordung im Zug stalinistischer Säuberungen - den Begriff der "Kondratjew-Zyklen" formte. Hierbei handelt es sich um einen dekadenlangen konjunkturellen Meta-Zyklus, der von neu entstandenen Schlüsselindustrien getragen wird, die neue Massenbeschäftigung kreieren.

Einer Periode des Aufschwungs (Phase-A), folgt eine Zeit des Abschwungs (Phase-B), in der Produktivitätssteigerungen die Massenbeschäftigung in diesen Schlüsselindustrien wieder sinken lassen. Seit Anbeginn der Industrialisierung hätten wir es also mit Meta-Zyklen zu tun, die jeweils auf dem Ausbau Textilindustrie und später der Schwerindustrie, der Elektro- oder Chemieindustrie fußen - oder eben mit Massenmotorisierung verbunden sind, wie bis in die 70er hinein im "Goldenen Zeitalter" des Kapitalismus. Sobald durch fortschreitende technische Entwicklung die Massenbeschäftigung in einem älteren Sektor nachließ, entstanden durch denselben wissenschaftlich-technischen Fortschritt neue Industriezweige, die die "überschüssige" Arbeitskraft aufnahmen.

Der renommierte US-amerikanische Sozialwissenschaftler Immanuel Wallerstein beschrieb kürzlich das Dilemma, in dem sich die Weltwirtschaft seit 30 Jahren befindet anhand dieser Kondratjew-Zyklen:

Die Welt kam aus der letzten Kondratjew B-Phase [also einen Abschwung, T.K.] in 1945, um dann in die stärkste A-Phase [Aufschwung, T.K.] in der Geschichte des Weltsystems einzutreten. Diese erreichte ihren Höhepunkt 1967-73, und dann begann der erneute Abschwung. Diese B-Phase dauert viel länger als alle früheren B-Phasen und wir befinden uns immer noch in ihr.

Immanuel Wallerstein

Krisen treten dann ein, wenn die von einem bestimmten Industriezweig generierte Massenbeschäftigung aufgrund von Rationalisierungsmaßnahmen abflaut, während sich noch keine neuen Beschäftigungsfelder in neuartigen Industrien aufgetan haben - und hier kommt unsere Hightech-Hausse ins Spiel. Spätestens ab Mitte der 80er setzt ein weiterer Innovationsschub innerhalb der kapitalistischen Ökonomie ein. Diese Mikroelektronische Revolution steigert die Produktivität ganzer Industriezweige in vorher ungeahnten Dimensionen; durch Rationalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen werden große Teile der klassischen Industriearbeiterschaft "überflüssig".

Doch diesmal geht die Rechnung nicht auf. In den neuen Hightech-Branchen entstehen weit weniger Arbeitsplätze, als in den "alten" Industrien obsolet werden. Dem Massenheer der Industriearbeiterschaft folgt keines aus Programmierern, Informatikern oder Web-Designern. Der kurze, stürmische Konjunkturfrühling der IT-Branche untergrub also im Endeffekt weiter die Fundamente unser "Arbeitsgesellschaft".