Zur Wiederkehr der nationalistischen Ideologie
Seite 4: Rechte Ideologie bleibt sich treu
Der größte Unterschied zu den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts besteht aber nicht nur darin, dass eine keynesianische Krisenpolitik den Krisendurchbruch 2008 verzögern konnte; überdies ist der Krieg als Krisenausweg nicht mehr gangbar.
Die kapitalistische Nachkriegsprosperität der 1950er Jahre fußte auf den Leichenbergen des Zweiten Weltkrieges, in dessen Verlauf die totale Mobilisierung aller Kräfte den Durchbruch des neuen, fordistischen Akkumulationsregimes der Nachkriegszeit ermöglichte.
Die massenhafte Herstellung von Panzern ging in die massenhafte Produktion von Autos über, es gab de facto keine "Demobilisierung" nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Option des Krieges ist inzwischen aufgrund des erreichten Produktivitäts- und Vernichtungspotenzials nicht mehr gangbar. Kriege sind entweder, als imperiale Weltordnungskriege, zu klein oder, als Atomkriege, zu groß, um ein neues Akkumulationsregime durchzusetzen.
Überdies zeichnet sich nirgends ein neues Akkumulationsregime ab, Lohnarbeit massenhaft verwerten könnte. Eine "schöpferische Zerstörung" im Sinne des Zynikers Schumpeter ist nur dann möglich, wenn sie neue Felder der Kapitalverwertung öffnet - ansonsten müssten ja die von Bürgerkriegsruinen übersäten "gescheiterten Staaten" der Peripherie im Dauerboom verfangen sein.
Zwischenfazit: Der länder- und parteiübergreifend grassierende Neonationalismus, der sich in die Clownspose "nationaler Opposition" gegen den neoliberalen, globalistischen Mainstream wirft, ist somit nichts weiter als ein hoffnungsloses ideologisches Abbild eines drohenden neuen Krisenschubs.
Die Krisenphase der neoliberalen Globalisierung der Verschuldungsdynamik droht an ihren eskalierenden Widersprüchen (in Gestalt der erläuterten zunehmenden "Ungleichgewichte") zu zerbrechen und von einer irrationalen nationalistischen Krisenverwaltung abgelöst zu werden, die mit manifesten sozioökonomischen Zusammenbrüchen in den Zentren einhergehen würde, wie sie schon die Peripherie des Weltsystems verheerten.
Rechte Ideologie bleibt sich somit treu: Sie betreibt eine Affirmation des Bestehenden, hier des Krisenprozesses. Dieser drohende Zusammenbruch der globalisierten kapitalistischen Weltwirtschaft - der ohne deren emanzipatorische Überwindung nur katastrophal verlaufen kann - wird mit einem neuen irren nationalen "Sinn" aufgeladen.
Der epische Kampf gegen "Globalisten"
Der Neonationalismus halluziniert die bereits gegebenen Verwerfungen zu einem epischen Kampf der Nationen gegen eine nebulöse, allmächtige wie feige Verschwörung von Bösewichtern oder "Globalisten". Nicht nur Trump, auch seine europäischen Wahngenossen wie Kaczynski, Orban und Putin oder der türkische Egomane Erdogan sehen sich als Kämpfer gegen Verschwörungen irgendwelcher globaler Netzwerke, seien es Transatlantiker, jüdische Milliardäre, EU-Bürokraten, die UNO, Illuminati, Marsmenschen oder eben der Weihnachtsmann.
Die Verschwörung als alltägliches Machtinstrument - gerade von diesen Exponenten des Rechtspopulismus bei ihren Machtkämpfen inflationär praktiziert - wird in diesen Ideologien zum Urgrund aller Krisenverwerfungen erklärt. Hinter allen Krisenschüben müssen bei dieser primitiven Projektion dieselben Machtseilschaften stecken, die man selber beim politischen Aufstieg ausbildete.
Die widerspruchsgetriebene gesamtgesellschaftliche Eigendynamik des Kapitals wird von dem Nationalismus und Populismus allein schon deswegen nicht wahrgenommen, weil es einer Kränkung des eigenen Egos und der eigenen Machtgeilheit gleichkäme. Der Weg in den offenen Antisemitismus, der immer die letzte ideologische Rückzugslinie des Kapitals in Krisenzeiten bildet, ist hier schon längst beschritten.
Politische Funktionseliten mit borderline-haften Charakterzügen
Der in vielen Ländern schon vollzogene Wechsel vom Neoliberalismus zum Neonationalismus (USA, Ungarn, Türkei, Polen, Russland, Ukraine, Philippinen) geht ja mit einem Wechsel der politischen Funktionseliten einher, die oftmals labile, irrationale Charakterzüge tragen.
Neben Trump und Erdogan, die für ihre quasi borderline-haften Charakterzüge berüchtigt sind, könnten hier noch der philippinische Möchtegern-Kannibale Duterte oder der ungarische Soros-Jäger Orban genannt werden, der in der Flüchtlingskrise eine jüdische Milliardärsverschwörung sehen will.
In Polens Regierung glaubt man wiederum immer noch daran, dass Putin den verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski 2010 umbringen ließ. Es ist gerade der paranoide Irrationalismus dieses durch die Krise an die Macht gespühlten nationalistischen Politpersonals, der ihre Bereitschaft befördert, die historischen Lektionen von 1929 und 1933 zu ignorieren.
Selbstverständlich ist auch dieser Neonationalismus im höchsten Maße instabil, da er in Wechselwirkung mit den üblichen krisenbedingten Verwerfungen zumeist anderen barbarischen Zerfallsideologien (Separatismus) Platz macht. Es ist eher eine politische Mode, die im Krisenverlauf anderen ideologischen Zerfallstendenzen Platz machen wird.
Dies ist auch schon in Deutschland überdeutlich absehbar, wo rund ein Drittel der Bayern für einen Austritt aus der Bundesrepublik zu gewinnen wären. Bei der nächsten Wirtschaftskrise dürfte sich diese Relation verkehren.
Fehlendes historisches Bewusstsein
Der Neonationalismus darf zudem kein historisches Bewusstsein tragen, er geht - ganz dem Zeitgeist folgend - in der Jetztzeit voll auf, womit die evidente Faschisierung der Metropolengesellschaften tabuisiert wird. Die geistige Armseligkeit dieser parteiübergreifenden Ideologie, die eine regelrechte gesamtgesellschaftliche Renaissance des Nationalen in den meisten Metropolengesellschaften ausgelöst hat, drückt sich auch und gerade in ihrer Geschichtsvergessenheit aus.
Dies ist nicht einfach nur auf die Dumpfheit des kulturindustriell deformierten öffentlichen Diskurses zurückzuführen, dessen Langzeitgedächtnis auf wenige Wochen zusammengeschmolzen ist. Während alle Länder und alle Parteien immer nationaler empfinden, Rechtspopulisten und mitunter Rechtsextremisten Wahlerfolge feiern, müssen die evidenten historischen Parallelen zum Vorfaschismus der 1930er Jahre verbissen ignoriert werden. Das Geschichtsbild des Neonationalismus besteht einfach darin, die üblichen Verschwörungstheorien in die Vergangenheit zu projizieren.
Es darf nicht debattiert werden, wohin der gegenwärtige Neonationalismus tendiert - gerade in der Bundesrepublik. Deswegen gibt ja de facto, dem öffentlichen Sprachgebrauch folgend, keine Nazis mehr in Deutschland. Es darf sie einfach nicht geben, allein schon der Exportkonjunktur wegen - dies war schon der erste große Sieg des Vorfaschismus, der die evidenten historischen Parallelen im öffentlichen Diskurs tabuisierte.
Höchstens "Rechte", Rechtspopulisten, rechte Aktivisten, Einwanderungskritiker, besorgte Bürger, eventuell noch Ultranationalisten, bevölkern die nach rechts abdriftende Mitte der Gesellschaft. Es sind einfach zu viele. Selbst ein Goebbels-Imitator wie Björn Höcke, der eindeutig antisemitische Hetze betreibt, wird nicht als Nazi bezeichnet.
Neonationalismus: Ideologische Zerfallsform des Neoliberalismus
Mögen sich diese neualten "Judenkritiker" vom Schlage eines Björn Höcke oder Viktor Orban auch als große Gegenspieler zum neoliberalen "Globalismus" aufspielen, in Wirklichkeit sind sie dessen Erben. Präziser: Der Neonationalismus ist eine ideologische Zerfallsform des Neoliberalismus. Er ist das, was übrig bleibt, sobald der ganze neoliberale Gedankenmüll der vergangenen Dekaden in Verwesung übergeht, da er nicht ordentlich ausgemistet wurde.
Auf ideologischer Ebene ist es offensichtlich das neoliberale Konkurrenzdenken, das von dem Neonationalismus ins Extrem getrieben wird, indem es mit Rassismus oder Chauvinismus angereichert wird (Kampf der Rassen, Nationen, etc.). Zumeist bildet der Sozialdarwinismus die wichtigste ideologische Kontinuitätslinie zwischen den Neoliberalen und den Neonationalisten samt ihrem faschistischen Anhang.
Auch der Neoliberalismus mit seiner Idealisierung der Konkurrenz der Wirtschaftsstandorte ist schon im Kern nationalistisch, da der Weltmarkt immer nur als Kampfarena im Überlebenskampf der nationalen Standorte fungiert.
Der Neoliberalismus bringt einen Wirtschaftsnationalismus hervor (und gerade keinen Kosmopolitismus), bei dem eventuelle Erfolge auf dem Weltmarkt nur die Überlegenheit des eigenen nationalen Kollektivs demonstrieren.
Der Neonationalismus stellt somit den ideologischen Ausfluss der krisenbedingten Barbarisierung der spätkapitalistischen Gesellschaften dar, ihrer "Verrohung". Der Ansturm des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, der spätestens nach der Wahl in Frankreich gebrochen scheint, wird folglich mit den nächsten Krisenschüben erneut an Dynamik gewinnen.
Das national und rassisch übersteigerte Konkurrenzdenken, gepaart mit der angstgetriebenen paranoiden Weltsicht, die überall Verschwörungen wittert und - zumeist jüdische - Sündenböcke benennt, stellt den naturwüchsigen Ausfluss der in Auflösung übergehenden neoliberalen Ideologie dar.