Zur Wiederkehr der nationalistischen Ideologie
Seite 3: Rückkehr zur Nation: Die Krise soll draußen bleiben
- Zur Wiederkehr der nationalistischen Ideologie
- Krisennationalismus und Barbarisierung
- Rückkehr zur Nation: Die Krise soll draußen bleiben
- Rechte Ideologie bleibt sich treu
- Abschließender Exkurs: die große "Schuldfrage"
- Auf einer Seite lesen
Die große Rückkehr zur Nation solle die Krise überwinden, die einfach durch eine Grenzschließung "ausgeschlossen" werde. Dass es sich bei der Globalisierung um die bloße Verlaufsform - um eine historische Phase - eines systemischen Krisenprozesses handelt, wird ausgeblendet. Die Krise soll "draußen" bleiben, während sie alltäglich im Innern des spätkapitalistischen Gesellschaften buchstäblich "erarbeitet" wird.
Nirgends wird dies übrigens deutlicher als beim Exportweltmeister Deutschland, der gerade deswegen zum bevorzugten Fluchtziel der verzweifelten Massen ökonomisch überflüssiger Flüchtlinge wurde, weil der Export von Arbeitslosigkeit hierzulande besonders erfolgreich vonstattengeht - und so noch die Illusion einer heilen kapitalistischen Arbeitsgesellschaft ermöglicht.
Die dem Krisenprozess inhärente Widerspruchsentfaltung zwischen Globalisierung und Re-Nationalisierung wird somit evident: Die Wirtschaftsräume der Zentren, die von den krisenbedingten Verwerfungen immer stärker in die offene Konkurrenz getrieben werden, wurden zugleich aneinander gekettet durch die krisenbedingte globale Verschuldungsdynamik mit ihren Defizitkreisläufen.
Die Verschuldungsdynamik kettet die Staaten vermittels der Defizitkreisläufe aneinander, die sozioökonomischen Krisenfolgen lassen in vielen Volkswirtschaften (USA, aber auch - abgeschwächt - in Italien oder Frankreich) aber zugleich nationalistische Stimmungen aufkommen.
Grenzen dicht!
Ein systemimmanenter Ausbruch aus diesem sich permanent zuspitzenden Teufelskreislauf - etwa durch Protektionismus und Wirtschaftsnationalismus - kann nur um den Preis des massiven sozioökonomischen Einbruchs vollzogen werden. "Grenzen dicht!" - diese Parole kann angesichts der Intensität des globalisierten Warenaustausches nur ins Desaster führen.
Denn selbstverständlich stellt diese irrationale Tendenz zur Rückbesinnung auf den überkommenen nationalen Mief nichts weiter als eine sozioökonomische Kamikazestrategie dar, die den latenten Krisenprozess ins manifeste Stadium überführen würde - und es ist immer noch nicht absolut klar, ob etwa das Politestablishment in Washington Donald Trump tatsächlich von seinen protektionistischen Wahnvorstellungen abbringen wird.
Die gespenstische, einer reellen ökonomischen Basis vollends beraubte Rückkehr zur Nation, die sich auch in verstärkter Identitätsproduktion äußert, wird gerade von diesem oben dargelegten Wunsch nach Abkapslung vom Krisenprozess befeuert. Das gilt für Trumps Wirtschaftsnationalismus, die rechte Abwehrfront gegenüber Flüchtlingen in Mittelosteuropa, die Masse der Brexit-BefürworterInnen und ebenso für den deutschen oder Schweizer Rechtspopulismus - für AfD und SVP.
Und dennoch wäre es verheerend, die rechten Wahnträume von einer nationalen Wiedergeburt an der spätkapitalistischen Realität zerschellen zu lassen, etwa um diese reaktionäre Politik zu diskreditieren. Beim Rechtspopulismus und Rechtsextremismus handelt es sich um mehr oder minder geschlossene Wahnsysteme, die auf ein Scheitern ihrer Politik einfach mit der Ausbildung neuer Verschwörungsideologien reagieren würden. Die gegenwärtige Konstellation ist ja nicht ohne historisches Vorbild.
Die Situation erinnert an die 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts, als der Begriff Beggar-thy-neigbour geprägt wurde und alle wichtigen kapitalistischen Staaten durch protektionistische Maßnahmen ihre Wirtschaft vor Handelsdefiziten und den korrespondierenden Krisenverheerungen zu schützen versuchten.
Damals haben die protektionistischen Maßnahmen der meisten kapitalistischen Staaten - gepaart mit einer rabiaten Sparpolitik - die Krisendynamik maßgeblich verschärft und die damalige Weltwirtschaftskrise zu der schwersten Erschütterung auswachsen lassen, die das kapitalistische Weltsystems bislang erfuhr - mit den bekannten politischen Folgen ab 1933. Obwohl das Krisenpotenzial in der aktuellen Krisenperiode weitaus höher ist als in den 30ern, ist ein solcher verheerender Zusammenbruch bislang nicht eingetreten.
Dies liegt vor allem daran, dass die kapitalistischen Funktionseliten aus der Geschichte gelernt haben, nach dem Krisenausbruch 2008 systemimmanent "richtig" handelten und den drohenden konjunkturellen Zusammenbruch mittels Konjunkturmaßnahmen (sie umfassten 2009 rund 4,7 Prozent der Weltwirtschaftsleistung) und massiver Aufkäufe von Schrottpapieren abwendeten.
Neonationalistische Selbstzerstörungstendenzen
Der neoliberale Konsens, die Globalisierung trotz aller Krisenschübe aufrechtzuerhalten, blieb bestehen, obwohl erste "informelle" Handelskriege bereits ausbrachen (sie wurden, wie schon erwähnt, durch Währungsabwertungen geführt, bei denen Exportvorteile erreicht werden sollten). Doch wurde mit dieser Stabilisierung nur ein paar Jahre Zeit in einem rasch erodierenden kapitalistischen Weltsystem erkauft, in dem Verelendung und Populismus immer stärker ineinander greifen.
Die nationalistische Tendenz, die Krisenfolgen auf andere Länder und Wirtschaftsräume abzuwälzen, die den wirtschaftspolitischen Kern des aktuellen Krisennationalismus bildet, hat somit das Potenzial, den Krisenprozess - ganz nach dem Muster der 30er Jahre - noch weiter zu beschleunigen. Der Konsens, nicht die nationalistischen Fehler der Weltwirtschaftskrise zu begehen, erodiert mit der Wahl Trumps jedenfalls rapide.
Ob die abgetakelten neoliberalen Eliten diese neonationalistischen Selbstzerstörungstendenzen - mit denen der kapitalistische Krisenprozess in eine neue barbarische Etappe überzugehen droht - noch einmal abwehren können, bleibt offen.
Die Parallelen zu den 1930ern sind somit unübersehbar: Die Konstellation aus schwerer Systemkrise und nationalistischen, zum Faschismus tendierenden ideologisch-politischen Fallout ist evident. Dabei sind diese offensichtlich - nicht nur in den USA, Großbritannien, Frankreich, einen Großteil Osteuropas, sondern gerade auch in Deutschland.
Sündenböcke
In der Bundesrepublik greifen ordinär nationalsozialistische Momente um sich, bei denen die Folgen des krisenbedingten neoliberalen Sozialabbaus (Agenda 2010, Hartz IV) auf "Ausländer", Migranten und Flüchtlinge projiziert werden - die so zu Sündenböcken gemacht.
Die Parallelen zu den 1930ern reichen sogar bis zum KZ. Das Konzentrationslager als Ort kapitalistischer Menschenverwahrung und Auslöschung feiert im Rahmen des globalen Grenzregimes wieder seine Auferstehung. Inzwischen warnen sogar Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes vor "KZ-ähnlichen Zuständen" in Libyen - genau dort, wohin die EU bald die ökonomisch Überflüssigen abschieben möchte (hierzu: Spiegel-Online).
"Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung", heißt es laut "WamS" in der amtlichen Depesche. "Augenzeugen sprachen von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis - mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen, das heißt den menschlichen 'Durchsatz' und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen."
Diese "privatisierten" KZs, die sich quasi naturwüchsig in dem poststaatlichen Gebilde herausbildeten, das einstmals "Libyen" war, bilden dabei nur die verwildere Extremform der staatlich organisierten Menschenverwahrung. Australien etwa ermordete "seine" Flüchtlinge nicht, es unterzog sie der Isolationsfolter auf abgelegenen Pazifikinseln.