Zurück ins Mittelalter

Seite 3: Familienbande, Freimaurer und Satanisten

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Nach dem Tod der Gabriele Bitterlich blieb die Verantwortung für das "Engelwerk" in der Familie. Ihr Sohn Hansjörg, der 1952 "zur Freude seiner Eltern" zum Priester geweiht worden war, übernahm den Orden und verwaltete das Erbe seiner Mutter, etwa in Form volkstümelnder Veröffentlichungen ("Sie schaute die Engel, Schmid-Feher-Verlag, 1990"), die man sich unter anderem in der Diözesan- und Pastoralbibliothek Augsburg ausleihen kann.

Als Bitterlich Jr. sich nicht mit den Verfügungen des Vatikans arrangieren wollte, wurde er ausgeschlossen, versuchte aber weiterhin, seine Sicht der Dinge zu verbreiten und gewann den Verleger Claus Peter Clausen für das neue Projekt Engelbund. Der Verlag ist eng mit dem Online-Portal www.der-graue-brief.de vernetzt, auf dem wahlweise Beiträge gegen Päpste und Juden, Freimaurer und Dämonen, Muslime und die Weltverschwörung erscheinen.

Hier spielt auch der 1998 verstorbene Hansjörg Bitterlich eine tragende Rolle – als Märtyrer, der von den Amt- und Würdenträgern Heinrich Graf von Soden Fraunhofen (Weihbischof von München), Rudolf Graber (Bischof von Regensburg) und Reinhold Stecher (Bischof von Innsbruck) nachgerade verfolgt wurde. "Wie weit diese im Dienst anderer Mächte standen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Aber ohne Zweifel standen im Hintergrund Freimaurer und Satanisten und eine große Zahl von Modernisten", wird Bitterlich zitiert.

Wer den kruden Text weiter liest, wird noch auf ein paar launige Kommentare des früheren Kardinals Ratzinger stoßen und zu allem Überfluss einer "schönen Studentin" begegnen, die sich aber schnell als kommunistische Agentin entpuppt …

Ultras im Windschatten des Vatikan

Mit evangelischen Christen will der Vatikan das Abendmahl nicht teilen, aber Fundamentalisten aller Art sind bei Benedikt XVI. offenbar herzlich willkommen. Wenn sie die Leitkultur des Vatikans anerkennen und sich ansonsten darauf konzentrieren, gegen den Relativismus und die Moderne anzukämpfen. Nach dem "Gestus der Barmherzigkeit" gegenüber der "Priesterbruderschaft St. Pius X.", von der auch Holocaust-Leugner Richard Williamson profitierte, gehört nun also auch der "gereinigte" Orden der Mutter Bitterlich wieder zu den anerkannten kirchlichen Bewegungen.

Die klügeren Köpfe im Vatikan und in der Deutschen Bischofskonferenz unternahmen zwar durchaus Anstrengungen, um medialen Schaden von der Kirche abzuwenden - schließlich eignen sich schwarze Katzen und böse Kinder nicht optimal als Marketinginstrumente im verweltlichten Westeuropa. Doch welche Bemühungen über eine kosmetische Korrektur hinausgingen, ist bis dato nicht bekannt. In den veröffentlichten Schriften des "Engelwerks" sind offensive Verweise auf die Privatoffenbarungen Bitterlichs weitgehend getilgt – zu Gunsten so breiter Interpretationsspielräume, das wohl auch die meisten orthodoxen Ordensmitglieder damit leben können.

Die Geschichte des "Engelwerks" und den eigenen zögerlichen Umgang mit demselben akribisch aufzuarbeiten, Verflechtungen zu analysieren und öffentlich zu diskutieren, ist für den Vatikan aber offenkundig weniger interessant als die Verbreitung von rückwärtsgewandten Botschaften und christlicher Folklore.

Dabei hatte sich Joseph Kardinal Ratzinger, kurz bevor er Papst wurde, noch "in weitgehender Übereinstimmung" mit Jürgen Habermas' Ansichten über eine postsäkulare Gesellschaft befunden. In seinem 2005 erschienenen Buch "Werte in Zeiten des Umbruchs" schrieb der Leiter der Glaubenskongregation:

Wir haben gesehen, dass es Pathologien in der Religion gibt, die höchst gefährlich sind und die es nötig machen, das göttliche Licht der Vernunft sozusagen als ein Kontrollorgan anzusehen, von dem her sich Religion immer wieder neue reinigen und ordnen lassen muss, was übrigens auch die Vorstellung der Kirchenväter war.

Joseph Kardinal Ratzinger: Werte in Zeiten des Umbruchs

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