Zuwachs im Gangland

Irak: Dubiose Bündnisse der USA mit erwachten Ex-Baathisten

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Es ist stiller geworden, was die Berichterstattung aus dem Irak angeht. Ein Grund dafür könnte sein, dass es im Land selbst auch ruhiger geworden ist. Die Gewalt scheint eingedämmt.

Zwar gibt es noch immer tägliche "War News, aber keine, die Schlagzeilen macht. Zwar brodelt der Krieg zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen weiter und schafft Nährboden für neue extremistische Gruppierungen, die Anschläge auf amerikanische Soldaten sind laut dem aktuellen Iraq Weekly Status Report vor allem in Bagdad deutlich zurückgegangen.

Als entscheidender Indikator, dass man im Irak auf guten Kurs sei, wird von amerikanischer Seite, wie zuletzt auch von Präsident Bush in seiner Rede an die Nation, immer wieder das Bündnis mit sunnitischen Gruppen gegen den gemeinsamen Feind al-Qaida herausgehoben. Jüngste Meldungen zeigen aber, dass diese Taktik auch sehr unangenehme Folgen haben kann. Irak könnte damit noch mehr zum Gangland werden.

Awakening Strategy heißt die taktische Wunderwaffe in amerikanischen Zeitungen. Gemeint ist damit die Unterstützung von jenen sunnitischen Clan-Chefs und Gruppierungen mit Waffen und reichlich US-Dollars, die Al-Qaida öffentlich den Kampf angesagt haben.

Die Verbindungen sind allerdings riskant, wie schon einige Berichte demonstriert haben. Manche der Clanführer haben eine dubiose Vergangenheit in Baathparteiseilschaften, manche spielten eine aktive Rolle im Widerstand gegen die Besatzung und stehen nun plötzlich auf der richtigen Seite von Amerika aus gesehen – verständlich, dass hier berechtigte Zweifel an der Loyalität und der Motivation der "erwachten" Führer aufkommen. Schließlich läßt sich man mit der großzügigen amerikanischen Unterstützung auch die eigenen Machtposition gut festigen.

Und tatsächlich zeigen sich die milizenähnlichen Gruppierungen in letzter Zeit ziemlich selbstbewußt bei Auseinandersetzungen etwa mit Vertretern des irakischen Staates. In Bakuba, so meldete die Nachrichtenagentur AFP gestern, foderten Hunderte von vermummten Mitgliedern einer Anti-al-Qaida-Miliz die Absetzung des örtlichen Polizeichefs, den sie einiger Verbrechen gegen Sunniten beschuldigen.

Laut Beobachtungen des amerikanischen Politikprofessors Marc Lynch, der das "Awakening-Phänomen" seit einem Jahr in seinem Blog sehr genau verfolgt, reiht sich dies als Puzzlestück in einen größeren beunruhigenden Trend ein, der den irakischen Staat weiter untergräbt. Zu dem Trend gehört, dass etwa der Anbar Salvation Council, ein wichtiger Zusammenschluß mehrerer Gruppierungen (vgl. Tödlicher Fototermin mit Bush), damit droht, mit Waffengewalt gegen einen gewählte Staatsvertreter vorzugehen, dass sich "Awakening"-Führer Polizei auf ihren Territorien verbeten - all dies nährt Befürchtungen, wonach die Unterstützung dieser Gruppen eine Kehrseite hat, die den Zusammenhalt des Staates nicht gerade befördert, sondern langfristig eher sabotiert.

Animositäten und Rivalitäten zeigen sich auch in der Anti-al-Qaida-Bewegung, die oft als einheitlich dargestellt wird. So sollen sich Gruppierungen, die sich "Concerned Local Citizen" begreifen und sich ebenfalls zu großen Teilen aus ehemaligen Widerstandskämpfern rekrutieren, ganz deutlich von dem Anabar Salvation Council distanzieren. Weswegen Rechnungen, die in verschiedenen Meldungen immer wieder auftauchen, und die ganze Bewegung auf 80.000 und mehr Mitglieder hochrechnen mit Vorsicht zu behandeln sind.

Die USA begehen mit der Unterstützung der zum Teil sehr obskuren sunnitischen Gangs einen Fehler mit möglicherweise größeren Folgeschäden, so die Warnung von Beobachtern. Sie befürchten, dass sich die bewaffneten und gut finanzierten Gruppierung auch künftig nicht in den politischen Prozess integrieren lassen und in mehrheitlich auf ihrem Standpunkt bleiben, der sie die schiitische irakische Regierung als feindlich begreifen lässt.