Zweifler am gesellschaftlichen Trend
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac Deutschland feiert seinen 10. Geburtstag
So ändern sich Zeiten und Überzeugungen. Eine Devisensteuer steht momentan hoch auf der politischen Agenda. Offen bleibt vorerst, welche Form sie annehmen könnte. Für eine Abgabe auf Börsenumsätze werben innerhalb der Bundesregierung die Unionsparteien. Die Regierungen der EU-Länder plädierten hingegen auf ihrem Brüsseler Gipfel im Dezember für eine Steuer auf Finanztransaktionen. Vor zehn Jahren kursierte ein ähnliches Modell unter dem Namen Tobin Tax – und galt als illusionäre Idee.
Prominentester Fürsprecher einer solchen Steuer ist in den Jahren ab 2000 das frisch gegründete deutsche Attac-Netzwerk. Es trägt eine solche Abgabe schon im Namen – Attac steht für „Association pour une taxation des transactions financières pour l’aide aux citoyens“, also die „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohl der Bürger“. Für seine Kernforderung kassiert Attac schnell Kritik von allen Seiten. Der grüne Vizekanzler Joschka Fischer hat soeben verkündet, man könne keine Politik gegen die Finanzmärkte machen. Entsprechend süffisant kommentiert im August 2001 Wirtschaftsstaatssekretär Alfred Tacke, der Kanzler Gerhard Schröder als Sherpa bei den G8-Gipfeln dient, eine mögliche Devisensteuer:
Es macht sich moralisch und strategisch natürlich gut, wenn man Dinge fordert, die keine Chance auf Realisierung haben. Niemand in den Industriestaaten will die Tobin-Steuer, auch nicht die Bundesregierung. Denn das internationale Finanzsystem ist hoch komplex und hoch leistungsfähig. Falsche Signale können sehr schwer wiegende Folgen haben.
Alfred Tacke
Wenig begeistert reagiert auch ein Teil der außerparlamentarischen Linken. Attac idealisiere den Staat, monieren die Kritiker, so als habe dieser die neoliberale Globalisierung nicht mit voran getrieben. Die Tobin Tax gehe daher von falschen Prämissen aus und sei nicht weit reichend genug.
Frühzeitig die richtige Forderung
Heute, eine Lehman-Pleite später, darf sich Attac auf die Fahne schreiben, frühzeitig die richtige Forderung erhoben zu haben. Die Kritik an der Entwicklung der Finanzmärkte hat sich angesichts der Wirtschaftskrise als weitsichtig erwiesen. Wenn Attac zum zehnten Geburtstag seines deutschen Ablegers eine durchaus positive Bilanz ziehen kann, dann sind seine Erfolge aber nicht allein im Diskursiven zu suchen.
Attac zeigt sich über die Jahre als ausgesprochen stabil. Und straft damit eine verbreitete Annahme Lügen, wonach soziale Bewegungen mit der Zeit entweder zerfallen oder sich in professionelle Apparate mit begrenzter Mobilisierungsfähigkeit verwandeln würden. Attac beweist demgegenüber, wie belastbar ein Netzwerk sein kann.
Intern verhindert die dezentrale Organisationsweise, dass Gegensätze zu schroff aufeinander prallen. Nach außen hat sich Attac als Bindeglied zwischen verschiedenen Spektren bewährt. Die Organisation verfügt über ein Bundesbüro in Frankfurt am Main und eine Handvoll Hauptamtlicher, die vor allem die Infrastruktur bereitstellen. Die politischen Aktivitäten im engeren Sinne stemmen jedoch weitgehend Ortsgruppen im ganzen Bundesgebiet, inhaltliche Arbeitsgruppen sowie ein gewählter, ehrenamtlich arbeitender Koordinierungskreis. Die Stärke des Attac-Netzwerks beruht auf Basisdemokratie, Eigeninitiative und Konsensverfahren.
„Aktionsorientierte Bildungsbewegung“
Selbst den Generationenwechsel hat Attac schon vor Jahren geräuschlos über die Bühne gebracht. Beim ersten großen Kongress an der TU Berlin im Herbst 2001 überwogen in der Außendarstellung noch die Ehemaligen. Langjährige Öko-Aktivisten trafen auf Ex-DKPler, gewesene Sozialdemokraten auf frühere Autonome, einstige DDR-Bürgerrechtler auf erfahrene Nord-Süd-Bewegte. Spätestens nach den Protesten von Heiligendamm 2007 hat sich das geändert: Die Gründer sind aus der publikumsträchtigen ersten Reihe einen Schritt nach hinten getreten. Neue, oft jüngere Leute haben das Ruder übernommen, für deren politische Sozialisation die Proteste von Seattle 1999 eine große Rolle gespielt haben.
Attac ist öffentlich sichtbar und pflegt eine Zugänglichkeit, die auf Interessierte einladend wirkt. Von Beginn an hat das Netzwerk vielen, die ein oft unbestimmtes Unbehagen umtrieb nicht nur offen gestanden, es wirbt vielmehr um jene Zweifler am gesellschaftlichen Trend. Bei allem gebündelten Expertenwissen, kultiviert Attac eine populäre Haltung in dem Sinne, dass die Organisation konkrete, am Zeitungswissen anknüpfende Forderungen erhebt. Zudem betreibt sie eine „ökonomische Alphabetisierungskampagne“, die auch nach Innen gerichtet ist, als Angebot zur gemeinsamen Weiterbildung. Attac begreift sich nicht zuletzt als „aktionsorientierte Bildungsbewegung“.
Während manch andere außerparlamentarische Gruppe in den Zeiten nach Seattle eine oft fruchtlose Nabelschau betrieb, wuchs Attac. In Deutschland wurde das Netzwerk – anders als etwa in Italien – schnell zur einzigen Bewegung im globalisierungskritischen Feld, die tatsächlich bundesweit eine gewisse Ausdehnung und Größe erlangte – und damit politisches Gewicht. Sie profitierte daher auch am stärksten von spektakulären Protesten wie in Heiligendamm, als eine Eintrittswelle die Mitgliederzahl rapide anwachsen ließ.
Attacs Postulate zur Krisenbewältigung verbleiben noch stark im Allgemeinen
Mittlerweile zählt Attac etwa 20.000 Mitstreiter, das entspricht immerhin dem Niveau einer Kleinpartei. Zum Vergleich: Die Grünen kommen als die kleinste der im Bundestag vertretenen Parteien auf 48.163 Mitglieder, die Piraten auf rund 11.000.
Die Wirtschaftskrise stellt Attac allerdings vor Herausforderungen. Einerseits hat das Netzwerk fraglos dazu beigetragen, die Zweifel am lange Jahre unangefochtenen Neoliberalismus zu nähren – mit gut besuchten Kongressen, einer eigenen Buchreihe, symbolischen Aktionen und Bündnisdemonstrationen. Auch punktet Attac durch konstante Arbeit zu ökonomischen Fragen und versammelt ein enormes Potenzial in einem Wissenschaftlichen Beirat. Andererseits bleibt offen, für welche Alternativen das Netzwerk werben – und wie es diese durchsetzen will.
Die Aktiven wissen, dass ihre bisherigen Vorschläge weiter ausgearbeitet werden müssen. Attacs Postulate zur Krisenbewältigung verbleiben noch stark im Allgemeinen: Die Finanzmärkte sollen verkleinert, eine Umverteilung zwischen Oben und Unten, Nord und Süd soll eingeleitet werden, die Orientierung auf wirtschaftliches Wachstum müsse hinterfragt werden. Letztere Forderung bietet die Chance, die ökonomische und die ökologische Frage zusammen zu denken. Attac will sich zukünftig auch als Klimabewegung begreifen. Genug zu tun also für das kommende elfte Jahr – und darüber hinaus.