Zwischen Krise und Transformation: Das Ringen um den künftigen Entwicklungspfad

Kalender, Lupe

Krisen prägen unsere Zeit. Umwelt, Klima und Gesellschaft stehen am Scheideweg. Wohin führt der künftige Entwicklungspfad? (Teil 3 und Schluss)

Eine aktuelle Zeitdiagnose kommt deshalb nicht um die Feststellung umhin: Die auf der historischen Umbruch-Agenda stehende Öffnung zu einem nachhaltigen, sozial-ökologischen Entwicklungspfad hat sich bislang nicht vollzogen. Aus der Umbruch-Gesellschaft wurde (trotz der einst "geöffneten Türen") keine Gesellschaft der Nachhaltigkeit.

Die herrschende Eigenlogik sich modernisierender systemischer Entwicklung des Bestehenden war (wieder einmal) stärker. Doch, so wie es heute ist, muss es nicht bleiben. Die "Nicht-Nachhaltigkeit" und das "Weiter so" auf Dauer festzuschreiben und das endgültige Aus des sozial-ökologischen Projekts auszurufen ist m. E. ebenso einseitig wie eine fortgesetzte Verkündung hoffnungsfroher sozial-ökologischer Transformations-Botschaften ohne Realitätsbezug.

Ja, die gegenwärtige Situation ist in der Tat durch eine doppelte Krise gekennzeichnet: Krise der bestehenden Ordnung der Nicht-Nachhaltigkeit und zugleich der des Projekts der Nachhaltigkeit (Blühdorn 2024).

Doch die Bedingungen sind heute für unterschiedliche Entwicklungsrichtungen noch immer gegeben: für post-fossile, sozial-ökologische und grün-kapitalistische wie für fossile, regressive, aber auch für autoritäre und gewaltsame Fortschreibung des Bestehenden bzw. für das Entstehen ganz neuer Formen im politischen und sozialen Machtgefüge.

Krise der Nachhaltigkeit: Gegensätzliche Kräfte ringen um Einfluss

Es sind eben nicht theoretische Annahmen, sondern die Praxis, die letztlich über die weitere Entwicklung entscheidet. Die Menschen selbst, die handelnden Akteure können, wie die Geschichte zeigt, Verhältnisse ändern.

Und der Blick auf die Gegenwartsgesellschaft zeigt, dass tatsächlich unterschiedliche, ja gegensätzliche Kräftegruppierungen und Bewegungen mit ihren jeweiligen Projekten um gesellschaftlichen Einfluss und um die Ausrichtung des künftigen Entwicklungsweges ringen.

Ich nenne sie verkürzt und etwas idealtypisch: Zum einen die regressive, populistisch-nationalistische Bewegung mit ihrer Verteidigung der fossilistischen Produktions- und Lebensweise und ihrem "Zurück in die Vergangenheit und in die gute alte Normalität". Sie ist national, europaweit und global weiter gewachsen, doch auch die Gegentendenzen sind stärker geworden.

Zum anderen: die Anpassungs- und reformerische Bewegung sowohl sozialdemokratischer, grün-liberaler und konservativer Ausrichtung. Sie versucht, bei allen Differenzen und Unterschieden, die Krisen zu managen, neue Akkumulationsfelder zu erschließen und Zukunft als "dekarbonierter Kapitalismus" oder als "Green Deal" zu erschließen.

Sie setzen vorwiegend auf technologische und marktorientierte Krisenlösungen und Entwicklungswege – und damit letztlich auf Negierung einer sozial-ökologischen Transformation. Mehr noch – der Verzicht der liberalen Mitte auf eine Politik des "Weiter so" wird zur Voraussetzung, um eine nicht-nachhaltige und autoritär-populistische Entwicklung zu verhindern.

Mögliche Entwicklungspfade: Dekarbonisierter Kapitalismus, autoritärer Populismus oder nachhaltige Resilienz?

Und schließlich die "Transformatorische Bewegung" mit ihren langfristigen Konzepten auf eine an Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit gerichteten Transformation. Sie bildet gegenwärtig – trotz vielfältiger Verankerung in ökologischen und sozialen Bewegungen, Verbänden und Kreisen der Wissenschaft und Kultur – jedoch im politischen und gesellschaftlichen Raum eine Minderheit und ist nach wie vor in der Defensive.

Noch also hat sich hierzulande kein Entwicklungspfad als hegemonialer Entwicklungspfad durchgesetzt. Noch hat sich auch keine hegemoniale gesellschaftliche Akteurskonstellation herausgebildet. Aus heutiger Sicht (national und global) sind m. E. verschiedene künftige Entwicklungsperspektiven möglich: eine "dekarboniert-kapitalistische"; eine "nicht-nachhaltige, autoritär-populistische" und eine "nachhaltig-resiliente mit sozial-libertären Elementen". Dabei ist auch eine Entwicklungsrichtung als Kombination dieser Pole denkbar.

Auch für den Club of Rome bleibt die Frage nach dem künftig dominierenden Entwicklungspfad heute noch offen: "Wir stehen an einem Scheideweg - doch es ist noch nicht zu spät", wenn die Weichen im nächsten Jahrzehnt in Richtung eines ökologischen und sozialen Entwicklungspfades gestellt werden (Report 2022).

Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise, die unser aller Lebensgrundlagen bedroht (IPCC 2023), gewinnen heute die Eindämmung des Klimawandels und der fortschreitenden Erderwärmung und vor allem eine Klimaanpassung (Becker 2024) die zentrale Bedeutung. Dies wäre zwar bisher nicht die Realisierung eines sozialen und ökologischen Entwicklungspfades, aber ohne diese wird es keinen neuen Pfad geben.

Klimawandel eindämmen: Schlüssel liegt in der Gesellschaft

Experten sprechen deshalb trotz der angespannten Situation heute von einem "Klimajahrzehnt" und hinsichtlich eines Übergangs vom fossilen zu einem post-fossilen Entwicklungsweg von einem "Transformationsjahrzehnt".

Da die entsprechenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die technologischen Verfahrensweisen und auch die finanziellen Mittel (z. Z. liegen nach Angaben der Schweizer Bank UBS 454 Billionen US-Dollar als angehäuftes privates Kapital weltweit vor) für die Inangriffnahme dieser zentralen Vorhaben vorhanden sind, liegt der Schlüssel dafür letztlich in der Gesellschaft (Oben wie Unten); im politischen Willen, diesen Umbau tatsächlich in Angriff zu nehmen (s. auch Neckel 2023).

Doch daran mangelt es gegenwärtig beträchtlich, nicht zuletzt strukturell bedingt. Dabei geht es im praktischen Handeln gerade in diesem Jahrzehnt nicht zuerst um ein umfangreiches Transformationsprogramm, um Transformation als "großes Projekt", sondern um genaue Prioritäten, Einzelprojekte, deren Umsetzung in dieser Scheidewegsituation dringend geboten und für die auch Mehrheiten noch immer zu gewinnen sind.

Die Erfahrungen gerade auch der jüngsten Zeit belegen aber zugleich, nichts wird sich nach vorn bewegen, wenn die Ökonomie des Alltagslebens, die Probleme und Bedürfnisse der Menschen unberücksichtigt bleiben oder gar gegen diese verstoßen wird. Hierbei freilich sollte praktisches Alltagshandeln in ein überzeugendes Zukunftsnarrativ "eingebettet" sein, wie es mit "Gutes und sicheres Leben für alle" im Rahmen der ökologischen Grenzen definiert wird.

Frieden und Entwicklung: Voraussetzungen für eine sichere Zukunft

Eben das, was auch die UN-Nachhaltigkeits-Agenda 2030 für alle Regionen der globalen Welt so überzeugend festhält. Nur heute erfordert das mehr denn je, eine neue globale Blockkonfrontation zu verhindern, die Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten und weltweit schnellstmöglich zu beenden und zu dem alten und wieder so aktuell gewordenen Leitmotiv "Frieden und Entwicklung" zurückzukehren.

Nur wenn das gelingt, werden einer nicht-nachhaltigen, autoritär-populistischen Entwicklung der Boden entzogen und Voraussetzungen einer sicheren Zukunft und eines gelingenden Lebens für alle Menschen geschaffen.

Zeitdiagnostisch befinden wir uns also nicht nur in einer Übergangs- bzw. Zwischenzeit, sondern zugleich in einer Scheidewegsituation. Das Projekt der Nachhaltigkeit, einer Sozial-ökologischen Transformation hat sich bislang nicht durchgesetzt und bestimmt gegenwärtig auch nicht (mehr) die öffentliche Debatte. Aber die großen Krisen – Umwelt, Klima, soziale Spaltung, Demokratie, Krieg – sind nicht verflogen.

Eine Gesellschaft der Nicht-Nachhaltigkeit hat deswegen im Prinzip auch keine echte Zukunft. Was daher in diesem Jahrzehnt geschieht, dürfte für lange Zeit die künftige Entwicklungsrichtung bestimmen. Das betrifft nicht allein die so wichtige "geistige Situation der Zeit" (Habermas), sondern auch den damit verbundenen (demokratischen, sozial-ökologischen) Entwicklungspfad überhaupt, der im Mittelpunkt dieser Zeitdiagnose stand.

So oder so, das Gesicht der künftigen Gesellschaft wie auch das der Weltordnung wird ein anderes sein, als wir es bisher kannten. Insofern ist auch eine analytische und konzeptionelle Weiterentwicklung der "Zeitdiagnose" unabdingbar, um die neuen "Zeichen der Zeit" zu verstehen und auf den Punkt zu bringen.