ALG II: Kostenfreie Kantinenverpflegung muss nicht zwangsläufig angerechnet werden

Außer Kontrolle

Wird während seiner Erwerbstätigkeit durch den Arbeitgeber kostenfreie Verpflegung gestellt, so wird diese auf das ALG II angerechnet. Das Sozialgericht Berlin hat diese Regelung nun als nicht allgemeingültig angesehen.

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"Nach dem Leistungssystem des SGB II ist eine individuelle Bedarfsermittlung bzw abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung gesetzlich nicht vorgesehen. Dies gilt sowohl zu Gunsten wie auch zu Lasten des Grundsicherungsempfängers. Bei der Gewährung von Essen handelt es sich um einen Grundbedarf, der von der Regelleistung des § 20 Abs 1 SGB II gedeckt werden soll."

So hat es das Bundessozialgericht in einem Urteil zum Thema "Krankenhausaufenthalte und ALG II" festgestellt. Was sich profan anhört, ist es nicht, denn obgleich das Arbeitslosengeld II ja pauschaliert den Grundbedarf abdecken soll und darauf ausgerichtet ist, dass die Empfänger selbstbestimmt auch mit den Geldern "jonglieren", also Mehrkosten in einem Bereich durch Minderkosten in einem anderen Bereich auszugleichen (versuchen), wird von den Jobcentern durchaus gekürzt.

Dies geschieht nicht etwa im Zuge der umstrittenen Sanktionen, sondern z.B. weil sich jemand in einem Krankenhaus aufhält und dort verpflegt wird. Ironischerweise werden Mehrbedarfe z.B. durch Kleidung nicht berücksichtigt, während vermeintliche Minderbedarfe bei der Verpflegung aber zur Anrechnung kommen. Dieser Praxis trat das BSG entschieden entgegen - doch noch immer rechnen Jobcenter beispielsweise kostenfreie Verpflegungen durch den Arbeitgeber an.

So auch im Fall einer Verkäuferin von Wurst- und Fleischwaren, die - so sah es das Jobcenter - monatlich bei ihrem Arbeitgeber dessen Waren im Wert von angenommenen 35-50 Euro verzehren durfte. Diesen Betrag brachte das Jobcenter zur Anrechnung und kürzte den Regelsatz entsprechend.

Die Verkäuferin, die ergänzendes ALG II erhält, klagte gegen diese Anrechnung und argumentierte u.a. damit, dass sie aus gesundheitlichen Gründe Diät halte und daher die Waren (Wurst, Fleisch, mayonnaisehaltige Salate) gar nicht verzehren würde. Das Jobcenter argumentierte auf diesen Einwand hin, die bloße Möglichkeit der Verpflegung sei hinreichend an und es käme nicht darauf an, ob die Ware tatsächlich verzehrt wird.

Das Gericht sah dies anders. Zwar sei eine Anrechnung prinzipiell ggf. sogar rechtskonform, doch müsse auf den Einzelfall abgezielt werden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil eine pauschal zur Verfügung gestellte Verpflegung auch aus anderen Gründen (z.B. religiösen) abgelehnt werden könne. Wörtlich heißt es im Urteil:

"Jedenfalls [...] erscheint es mit dem Sinn und Zweck der Pauschalierung kaum vereinbar, in einem verwaltungsaufwändigen Einzelfallverfahren doch eine individuelle Bedarfsprüfung vorzunehmen. Dies hätte zur Konsequenz, dass etwa regelmäßig zur Verfügung gestellte Kinderkleidung, die Nahrungsbeschaffung bei einer 'Tafel', ein Freiabonnement einer Tageszeitung oder ggf sogar die Tatsache des Nichtrauchens oder Nichtalkoholkonsums jeweils bedarfsmindernd bei der Regelleistung zu berücksichtigen wäre. Eine solche Individualisierung des Bedarfs sieht allenfalls § 9 SGB XII iVm § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII vor. Entsprechende Regelungen fehlen hingegen im SGB II."