Ägypten: Militär agiert brutal gegen Kopten

Nach dem schwarzen Sonntag in Kairo suchen Regierung und Militarrät die Erklärung bei einer ausländischen Verschwörung

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Wie lange ein knappes halbes Jahr sein kann...Im Mai hatte Paul Amar, der sich während der Aufstände als detaillierter Kenner der ägyptischen Machtapparate ausgewiesen hatte, noch voller Hoffnung davon geschrieben, dass die Jungen in Ägypten neue Rahmenbedingungen schaffen für eine Demokratie des 21. Jahrhunderts, "nicht nur für den Nahen Osten, sondern vielleicht auch für die Welt". Seither mehren sich die Zeichen, dass sich ein Jahrzehnte altes, fest eingefügtes Machtbollwerk gegen jugendliche Dynamik sehr wohl zu behaupten weiß, wenn nötig mit den althergebrachten Mitteln: Massenverhaftungen, Folter, Militärtribunale, Ausnahmezustand, Medienmanipulationen, Einschüchterungen.

Gegen den Militärrat, Hüter der Macht, in deren Reihen viele Figuren des alten Regimes walten, wurde seither einige Kritik laut, teilweise reagierte er darauf wie zu Zeiten Mubaraks: Alte Tricks und rote Linien im neuen Ägypten. In mancher Hinsicht übertraf er das alte Regime sogar: 12.000 Zivilisten vor Armeetribunalen angeklagt.

Nun, kurz vor den ersten Parlamentswahlen nach der "Revolution", halten ihm Kritiker vor, dass er für Wahlbedingungen sorgt, die alte Kräfte begünstigen und neue von der Macht fernhalten - um die Vertretung der Zivilgesellschaft nicht zu stark zu machen. Deutlich zeigte sich am gestrigen "schwarzen Sonntag", dass der Militärrat und das Militär bei weitem nicht die zurückhaltenden Rollen spielen, die man nach außen darstellen will.

Als schiere "Madness" bezeichnen Beobachter die gestrigen Vorgänge, die zeigen würden, dass der Übergang zu einer zivilen Regierung nun ein existentielles Thema sei. Was aber wenn der Militärrat gerade an einem solchen Übergang kein Interesse hat?

24 Menschenleben haben die Zusammenstöße zwischen mehrheitlich koptischen Demonstranten und Militärs gestern gefordert. Das Video von einem Panzerfahrzeug, das brutal in die Menschenmenge fährt, aggressiv und ohne jede Rücksicht auf Menschenleben, führt deutlich vor Augen, wohin die Maßstäbe des Militärs gesunken sind. Dazu kommt, dass die Situation nach Augenzeugen mit dem Eingreifen des Militärs, das ja eigentlich deeskalieren sollte, zur Eskalation führte. Nach Berichten von ägyptischen Bloggern, die sich im Laufe der Jahre als von staatlichen Kräften unabhängig und kritisch erwiesen haben, der Arabist und Zainobia, hat das Militär eine besorgniserregnde Rolle bei den Ausschreitungen gespielt.

Laut Arabist hat sich das Militär nicht so verhalten, dass man die Spannungen zwischen Muslimen und Kopten beruhigt hätte, man sei vielmehr so mit ihnen umgegangen, als ob man die Spannungen, Machtinteressen folgend, lieber am Köcheln halte. Dazu passe, dass im staatlichen Fernsehsender mehr oder weniger zur Gewalt aufgerufen wurde:

"TV presenters were urging Egyptians to 'protect the army from the Copts.'"

Der Militärrat hätte, so Issandr El-Amrani, schon letzte Woche handeln können, als Brandanschläge auf koptische Kirchen und Einrichtungen den Grund für die gestrigen Proteste legten. Unternommen wurde allerdings nichts. Stattdessen würde der Militärrat wie die Regierung "Propagandaformeln verbreiten", so der Arabist, wonach die Kopten von ausländischer Seite unterstützt würden. Laut der Tageszeitung al-Masry al-Youm warnte Premierminister Essam Sharaf heute vor einer "Verschwörung gegen Ägypten". Unsichtbare Hände seien im Spiel mit dem Plan, die Einheit Ägyptens zu zerstören: "invisible hands are plotting to partition Egypt.".

Indessen werden in Kairo koptische Geschäfte angegriffen. 93.000 Kopten verließen Ägypten seit März, teilte eine ägyptische Menschenrechtsgruppe Ende September mit. Möglicherweise, so prophezeite der Chef der Egyptian Federation of Human Rights, könne sich die Zahl bis Jahresende mehr als verdoppeln.