Anonyme Samenspende: gerechtfertigtes Auskunftsbegehren des Kindes

Das Oberlandesgericht Hamm urteilt gegen das Geheimhaltungsinteresse eines Arztes und des Samenspenders

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Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm über den Fall einer jungen Frau, die Auskunft über ihren biologischen Vater, einem anonymen Samenspender, verlangte, könnte weitere Gerichtverfahren nach sich ziehen. Denn das Gericht bewertete das Auskunftsrecht höher als die Interessen des Arztes, der die Befruchtung durchführte, und der Samenspender an der Geheimhaltung der Spenderdaten.

Da die Mutter der Klägerin und ihr gesetzlicher Vater mit der Auskunftserteilung einverstanden waren, seien deren Geheimhaltungsinteressen nicht zu berücksichtigen, urteilte das Gericht. Interessant wäre an dieser Stelle, wie die Abwägung Auskunftsrecht und Geheimhaltungsinteresse bewertet würde, wenn Mutter und gesetzlicher Vater sich gegen die Auskunfterteilung aussprechen.

Das Hammer Urteil dürfte Auswirkungen auf die Bereitschaft zur Samenspende haben. Es relativiert das Persönlichkeitsrecht der auf ihre Anonymität vertrauenden Spender. Dies müsse gegenüber einer anderen fundamentalen Rechtsposition zurücktreten, nämlich dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenwürde des Kindes - mittlerweile eine erwachsene Frau.

"Um ihre Persönlichkeit verstehen und entfalten zu können, müsse die Klägerin die für diese konstitutive Faktoren kennen. Hierzu zähle auch ihre Abstammung", wird das Gericht zitiert. Demgegenüber sind die Persönlichkeitsrechte des Arztes, der die Samenspende durchführte, und des Spenders nicht in ihren zentralen Bereichen betroffen, so die Auffassung der OLG-Richter.

Dass der beklagte Arzt und der Samenspender weniger schutzbedürftig sind, wird damit begründet, dass diese schon im Vorhinein die Folgen der Samenspende berücksichtigen hätten können: Dass das Kind später nach Auskunft verlangt und die Folgen, die damit verbunden sind. Die sind laut Urteil des Zivilsenats des OLG nach familienrechtlicher Rechtslage beachtlich (siehe dazu auch die Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten Reproduktion,, Punkt 5.3). Demnach kann das Kind die gesetzliche Vaterschaft bei einer künstlichen Zeugung später anfechten und es hat dann "ein Recht auf Feststellung der Vaterschaft des Samenspenders mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen".

Möglich also, dass Samenspender, wie bei einem Fall in den USA ( Ungültige private Vereinbarung mit einem lesbischen Paar) zu Unterhaltszahlungen aufgefordert werden? Dass über eine künstliche Befruchtung mit gespendetem Samen gezeugte Kinder sogar Erbschaftsansprüche anmelden können?

Es wird wohl die Sache von Gerichten sein, Klarheit über solche Spekulationen im rechtlichen Graubereich im Kontext von Samenspenden zu schaffen. Dass sich Gerichte künftig häufiger mit rechtlichen Folgen der anonymen Samenspende befassen müssen, dafür dürfte die Wahrscheinlichkeit nach diesem Urteil zugunsten des Auskunftsrechts gestiegen sein. In Deutschland wird die Zahl der Kinder anonymer Samenspender auf etwa 100.000 geschätzt.