China: Führungswechsel

In Beijing tagt der Volkskongress. Kommentatoren fordern ein bisschen mehr Offenheit für die Nöte der Bevölkerung

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In Beijing (Peking) tagt seit Dienstag der Nationale Volkskongress der Volksrepublik China. In diesem Jahr steht unter anderem die Wahl einer neuen politischen Führung an. Präsident Hu Jintao und Premierminister Wen Jiabao treten nach zehn Jahren im Amt ab. Ersetzt werden sie durch ihre bisherigen Stellvertreter. Xi Jinping war bereits im Herbst zum neuen Parteichef gekürt worden und wird nun auch das Präsidentenamt übernehmen. Li Keqiang wird Wen ablösen. Wie sein Vorgänger präsentiert er sich als Mann des Volkes. Während bisher die Top-Funktionäre in Staat und Partei meist ein Ingenieurstudium absolviert hatten, hat Li einen Bachelor in Jura und hat in Wirtschaftswissenschaften promoviert. Xi hält einen Doktortitel in Chemie.

Die knapp 3000 Delegierten des Kongresses kommen einmal im Jahr zusammen. Ihre Aufgabe ist unter anderem die Wahl der Regierung, des Generalstaatsanwaltes und der obersten Richter. Außerdem entscheiden sie über den Haushalt, die Verfassung und die grundlegenden Gesetze. Aus ihrer Mitte wird ein mehrere hundert Köpfe umfassender ständiger Ausschuss bestimmt, der als ganzjährig tagendes Parlament fungiert.

Die Abgeordneten werden nicht direkt gewählt, sondern meist von den Volkskongressen der Provinzen entsendet. Direkte Wahlen, zu denen auch unabhängige Kandidaten antreten können, gibt es in China nur in einigen ländlichen Kommunen und dort auch bisher nur als Experiment. Vielerorts können die Bewohner aber immerhin unter den Kandidaten auswählen, die ihnen von den lokalen Komitees der Kommunistischen Partei vorgeschlagen werden.

Obwohl die Wahlmöglichkeiten die Loyalität gegenüber dem Staat eher zu stärken scheinen, zögert die KP, sie auch auf andere Gebiete und höhere Ebenen auszudehnen. Die erwähnten lokalen Experimente datieren bereits vom Anfang des letzten Jahrzehnts. Ein Hinweis darauf, dass sich die Kräfte, die eine sukzessive Demokratisierung anstreben, bisher im Establishment nicht mit weiteren Schritten haben durchsetzen können. Politische Stabilität hat für Chinas Eliten oberste Priorität.

Nach Angaben der Nachrichtenagentur Xinhua sind 13,4 Prozent der Delegierten Arbeiter oder Bauern, was für ein nominell sozialistisches Land nicht gerade viel ist. Die Agentur spricht davon, dass dieser Anteil eine Zunahme im Vergleich zur letzten Legislaturperiode darstelle. Das sei ein "signifikanter Trend" in einer Zeit, in der "wachsende Konflikte um das Wohlergehen der Menschen an der gesellschaftlichen Basis, wie Enteignung von Land (land grabs), ein steiles Wohlstandsgefälle, außer Kontrolle geratene Immobilienpreise und Umweltnöte als eine mögliche Gefährdung der Stabilität angesehen werden".

Mit anderen Worten: Die Sorgen und und Forderungen der Bevölkerung brauchen dringend ein paar Ventile, damit die Situation nicht außer Kontrolle gerät. Offenere und kritischere politische Diskussionen könnten dafür ein Mittel sein, scheint der Kommentar der Agentur vorzuschlagen. Eine Sichtweise, mit der sich sicherlich nicht alle in Chinas politischer Führung und sicherlich auch nicht in der Klasse der Neureichen werden anfreunden können. Die Tatsache, dass solche Ansichten bei Xinhua geäußert werden können, zeigt jedoch, dass die Auseinanderssetzung um diese Fragen im vollen Gange ist.