Das Böse geschieht unter der Hand

Wenn man etwas nur geschehen lassen kann, so eine interessante Studie, dann neigen viele Menschen zu amoralischem Handeln

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Warum sich Menschen oft nicht regelkonform verhalten, sondern tricksen, betrügen und lügen, wollen kanadische Wissenschaftler herausgefunden haben. Ihnen ging es vor allem darum, unter welchen Bedingungen sich amoralisches Verhalten einstellt, ohne dass dies von den Menschen wirklich intendiert ist. Ob das nur bei kleineren Verfehlungen, bei Kavaliersdelikten, zutrifft oder bei bösen Handlungen lässt sich daraus aber nicht ableiten.

In einem Versuch sollten die Versuchspersonen einen Mathetest auf einem Computer ausführen, nachdem sie gewarnt worden waren, dass es mit diesem Probleme gebe. Einer Gruppe wurde gesagt, dass die Antwort auf die Frage auf dem Bildschirm auftauche, wenn man auf die Leertaste drückt, der anderen Gruppe ließ man wissen, dass die Antwort nach 5 Sekunden auf dem Bildschirm erscheine, wenn sie bis dahin nicht die Eingabetaste gerückt haben. Die Mitglieder der zweiten Gruppe waren viel leichter dazu verführt zu schummeln als die der ersten Gruppe, weil sie nicht direkt aktiv werden mussten. Das Glück fällt ihnen anstrengungslos in den Schoß – und weil sie ja nichts tun bzw. der Meinung sind, dass nichts tun keine aktive Handlung oder Entscheidung ist, brauchen sie auch keine Gewissenskonflikte zu haben.

Ähnlich verhielten sich die Versuchspersonen in einem anderen Test, in dem sie einem Studenten mit Lernschwierigkeiten bei Fragen helfen sollten. Wenn sie dazu explizit Ja oder Nein drücken mussten, entschieden sie sich fünfmal häufiger für die Hilfe, als sie nur auf "weiter" drücken mussten. Der Zwang zum Konformismus fällt hier also aus, ohne Zwang zur expliziten Entscheidung für oder gegen eine Handlung wird amoralisches Handeln zur ersten Wahl. Man muss also nur Situationen schaffen, die eine organisierte Verantwortungslosigkeit erzeugen, um Menschen in eine Richtung zu bringen.

Das könnte beim Zocken auf den Finanzmärkten auch so gewesen sein bzw. weithin noch so sein. Um eine solche organisierte Verantwortungslosigkeit und damit den Trend in Richtung amoralisches, zumindest egoistisches Handeln auch bei denen zu erschweren, die gar nicht wirklich "Schlechtes" tun wollen, müssten also nur zuvor Entscheidungen abverlangt werden, die die Menschen dazu zwingen, auch selbst Stellung zu nehmen.

Vergleichbar könnte dies mit kollektiven Situationen sein, in denen Menschen mit einer Mehrheitshaltung oder der Meinung einer anerkannten Autorität konfrontiert sind, nach der auch sonst "Böses" richtig sein kann. Da Menschen sich gerne anpassen, was auch das berühmte Milgram-Experiment eindrucksvoll gezeigt hat, würde durch Anpassung an das Kollektiv auch eine eigene Entscheidung unnötig. Dann kann man an dem mitmachen, was man als Einzelner, der alleine damit konfrontiert ist, nie machen würde.

Man könnte hier viel fantasieren, die Psychologen interpretieren das Ergebnis ihrer Versuche so, dass Menschen, wenn sie sich aktiv für nach moralischen Normen "richtiges" oder "falsches" Verhalten entscheiden sollen, mit sehr viel stärkeren Emotionen wie Schuld oder Scham konfrontiert werden, als wenn sie passiv etwas "Falsches" zulassen, weil sie hier scheinbar nicht involviert sind.