Der Tod eines russischen Oligarchen ...

... ist immer auch ein Drehbuch für James Bond?

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Der Tod eines russischen Oligarchen wird vorzugsweise als Kriminalfall gesehen, vor allem wenn er ein Gegner Putins war. Zu verlockend sind Spekulationen über die Machtverhältnisse in Moskau, die zwar nicht mehr durch einen eisernen Vorhang abgeschirmt werden, aber doch für die meisten undurchsichtig geblieben sind ( "Was wissen wir schon über Russland?"). Dazu kommen Geschichten über - je nach Standpunkt - mögliche oder erwiesene Hintergrundmanöver des Kremlherrschers Putin, der seine mächtigen Gegner, Paradebeispiel Chodorkowski, wegsperren lässt ( Der Fall des Oligarchen) und nicht zuletzt der geheimnisumrankte Giftmord am Ex-Spion und "Kremlkritiker Litwinenko", der 2007 Stoff für eine wochenlangen Agenten-Thriller gab ( Ein Drehbuch für James Bond).

So wird auch der gestern bekannt gewordene Tod des russischen Ex-Oligarchen Boris Beresowski in seiner Villa im britischen Exil in vielen Berichten mit wenigstens einem Hauch von Krimi dargestellt. Zwar gibt es Stellungnahmen von seinem Anwalt, von Freunden und Verwandten, die auf einen Selbstmord hinweisen, aber die schillernden Lebensumstände Beresowskis vor dem dunklen russischen Hintergrund drängen die Zeitungstitel zum Mord-Verdacht: "A Russian oligarch found dead yesterday (…) may have been poisoned, police fear." Kein Bericht, wo nicht die erbitterte Gegnerschaft Beresowskis, dem Staatsfeind Nummer 1 und der "grauen Eminenz Jelzins", zu Putin herausgehoben wird.

Die Todesumstände sind ungeklärt, heißt es. Speziell ausgebildete Polizisten mit Erfahrung im Umgang mit "chemischen, biologischen und nuklearen Material" seien an der Untersuchung der Umstände beteiligt, berichtet der Guardian; Scotland Yard ist eingeschaltet.

Berichtet wird aber auch von Depressionen des Mannes, der in der Folge eines verlorenen Prozesses gegen den russischen Mulitmilliardär Abramowitsch einen großen Teil seines Vermögens und Ansehens einbüßte und nach Angaben des Pressesprechers von Wladimir Putin einen Brief an den Präsidenten schickte, in dem er sich für Fehler entschuldigte "und ihn bat, ihm zu helfen, in die Heimat zurückzukehren".

Ein Stoff also, der alles hat, märchenhaften Reichtum, Aufstieg und Fall, interessante Feindschaften und vor allem interessante Verbindungen - Beresowski war auch mit dem Agenten Alexander Litwinenko, der in London vergiftet wurde, eng vertraut. Die Fortsetzung ist zumindest für die nächsten Tage gesichert. Sie hat zudem gute Anschlussmöglichkeiten, da durch die Zypernkrise reiche Russen sowieso schon in die Aufmerksamkeit gelangten und eine gute psychopolitische Ablenkung für kompliziertere Problemstellungen boten. Mit der Hauptfigur in dem von westlichen Medien geschriebenen russischen Boulevardstück, Putin, bleibt die Zugkraft garantiert.