Die Aufmerksamskeitsökonomie der "Nazi-Schlampe"

Rechtspopulistisches PR-Konzept geht beeindruckend auf

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Eigentlich ist die PR-Strategie der AfD kein großes Geheimnis: Provozieren, um im Gespräch zu bleiben und ihren Politikern denkbar große Bekanntheit zu verschaffen – zum Nulltarif. So legte etwa Newcomerin Alice Weidel professionell einen Köder aus: Eine mit einer Ausländerin liierte Lesbe, die ausgerechnet das Ende der Political Correctness forderte, war für Spötter nicht nur eine Steilvorlage, sondern eine direkte Aufforderung zum Widerspruch. Satiriker wie Oliver Welke konnten sich nicht verkneifen, die Provokation zu kontern. Extra-3-Moderator Christian Ehring nannte Weidel satirisch sogar eine "Nazi-Schlampe".

Die Spindoctors der AfD jedoch hatten nur darauf gewartet, dass jemand den Ball aufnimmt, um die provozierte Grenzüberschreitung als Angriff darzustellen. Und natürlich drohten die Rechtspopulisten mit juristischen Konsequenzen. Der AfD kann (und wird) nichts Besseres passieren, als mit Abmahnung und Prozess zu scheitern, um dem Martyrium der gequälten Frau optimale Geltung zu verschaffen. Das Opfer lohnt sich: Die ansonsten zerstrittenen Parteimitglieder werden im Feind geeint. Die Presse arbeitet sich mal wieder an einem boulevardesquen Thema ab, das von den Widersprüchlichkeiten des Wahlprogramms ablenkt. Und der Name der telegenen Kandidatin bleibt im Gespräch.

Es dürfte kaum ein Zufall sein, dass die AfD auf ihrem Parteitag ein Team der satirischen Heute-Show gewähren ließ, während manch politischer Journalist Hausverbot bekam. Erstaunlich ist an der Geschichte nur, dass ein an sich kluger Kopf wie NDR-Comedian Christian Ehring sich ohne Not zum Statist in der Scripted Reality der PR-Strategen machte. Denn eigentlich hatte sein Satiriker-Kollege Jan Böhmermann die PR-Strategie der AfD substantiiert und anschaulich analysiert: Provozieren, provozieren, provozieren, um damit kostenlose Medienaufmerksamkeit und Reichweite zu generieren. Any news is good news.

Tatsächlich nämlich haben etliche AfD-Politiker einen ungleich höheren Bekanntheitsgrad als so mancher Ministerpräsident. Googelt man etwa "Nazi-Schlampe" und "Weidel", erhält man eine vierstellige Anzahl an Meldungen. Für vergleichbar viele Medienkontakte hätte die AfD Millionen ausgeben müssen, so aber tun es für lau ein lässiger Spruch und ein paar Tage Shitstorm. Nunmehr weiß nahezu jeder, dass es Alice Weidel gibt. Kennen Sie die Spitzenkandidaten der Grünen, der Linken oder der Piraten, wo man jeweils eher queeres Personal als bei den Konservativen erwartet hätte? Wenn ausgerechnet linke Kabarettisten einer rechten Partei kostenlos PR liefern, tut es irgendwie ein bisschen weh ...