Eruption der Gewalt in Kirgisien

Zusammenstöße zwischen Usbeken und Kirgisen forderten bereits mindestens 170 Todesopfer

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zwei Monate nach dem gewaltsamen Regierungswechsel verschärft sich die Sicherheitslage in der zentralasiatischen Republik Kirgisien massiv. Im Süden des Landes kam es bereits am Wochenende zu blutigen Zusammenstössen zwischen der usbekischen Minderheit und ethnischen Kirgisen. Nach Angaben der kirgisischen Interimsregierung forderten die Auseinandersetzungen, die in der Nacht zum 11. Juni im südkirgisischen Osch begonnen haben, bereits 170 Todesopfer, während die Zahl der Verletzten mit 1.700 angegeben wird.

Auf dem Weg in eine humanitäre Katastrophe?

Bereits am Wochenende konnten 1.100 Ausländer aus dem Krisengebiet evakuiert werden. Die Lage für die Einheimischen spitzt sich jedoch zusehends zu. Nachdem Usbekistan die Grenze für Flüchtlinge schloss, warten nun tausende Menschen auf der kirgisischen Seite der Grenze auf Hilfe. Nach Angaben des kirgisischen Katastrophenschutzes ist die Zahl der Flüchtlinge am Dienstagmorgen bereits auf 83.000 angestiegen. Diese Zahl deckt sich auch mit den Angaben des Roten Kreuzes. Der UN-Sondergesandte Mirsolav Jenca befürchtet, dass sich die Zahl der Flüchtlinge bereits bald auf über 100.000 steigern könnte. Seine Behörde fordert die Einrichtung eines humanitären Korridors, um eine menschliche Katastrophe zu verhindern.

Wer steckt hinter der Gewalt?

Nach Angaben der Interimsregierung handelt es sich bei den jüngsten Gewaltakten um einen Putschversuch des gestürzten Präsidenten Bakijew. Dieser soll Millionen Dollar ausgegeben haben, um das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen, um selbst wieder nach der Macht zu greifen. Kurmanbek Bakijew floh im April nach Unruhen in einigen nördlichen Provinzstädten und der Hauptstadt Bischkek (ehemals Frunse) ins weißrussische Exil.

Seine Nachfolgerin Rosa Otunbajewa, selbst ehemals Außenministerin unter Bakijew und zuvor Botschafterin in Washington, rief sich zur Oppositionsführerin aus, übernahm im Namen eines 13köpfigen Komitees die Amtsgewalt und versprach dem Volk noch am selben Abend Neuwahlen und eine neue - diesmal wirklich - demokratische Verfassung. Otunbajewas wohl einzige Legitimation begründet sich aus ihrem Versprechen, die Energiepreiserhöhungen, die Auslöser für die Aufstände waren, mit sofortiger Wirkung rückgängig zu machen.

Hält Russland still?

Während Moskau am Wochenende die Bitte der kirgisischen Interimsregierung nach einer Entsendung von Blauhelmsoldaten noch ablehnte, schickte Präsident Medwedew gestern bereits ein Kontingent russischer Truppen ins Land, um den russischen Militärstützpunkt abzusichern.

Russland lehnt einen Alleingang immer noch ab, will sich allerdings im Rahmen der Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit (OVKS) für eine rasche Beendigung des Blutvergießens einsetzen. Gegenüber russischen Nachrichtenagenturen erklärte er, es sei "notwendig, alles Mögliche zu tun", um die Gewalt zu beenden.

Ob Russland seine Aktionen mit den USA koordinieren will, ist derweil noch offen. US-Außenministerin Hillary Clinton hat bereits eine "internationale Antwort" auf die Krise gefordert und den UN-Sicherheitsrat zu Beratungen über den Konflikt zusammengerufen. Das amerikanische Interesse für die zentralasiatische Republik ist verständlich, schließlich war und ist Kirgisien ein wichtiger Hub für die US-Armee und ihren Afghanistan-Krieg.

Die amerikanische Luftbasis im kirgisischen Manas ist ein steter Zankapfel zwischen Kirgisen, Amerikanern und Russen. Die Interimsregierung hatte bis jetzt immer signalisiert, die Verträge über eine Verlängerung des Pachtabkommens wohlwollend zu prüfen. Dies könnte sich freilich ändern, wenn Russland über die OVKS inoffizielle Schutzmacht der zentralasiatischen Republik würde.