"Expérience 14": das Rauschspray

Betrunken werden, sekundenschnell, mithilfe von ein paar Zischern aus dem Spray. Die Zukunft des leistungsbewussten Eskapismus?

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Es gibt gute Gründe, vor all dem rasch Reißaus zu nehmen, was mit dem Begriffspaar "Innovation und Kreativität", respektive "Creativity" aufgemöbelt wird. Der Designer Philippe Starck ( „fabulous fantasy“) bildet zusammen mit dem Harvard-Professor David Edwards eine innovative und kreative Interessengemeinschaft, die für teures Geld einen Hauch Kunst ("Art") an ein Lifestyle-Konsumentenpublikum verschachert, das für Kicks lebt. Im Laboratoire stellen die beiden nun ein Produkt aus, das als "Expérience 14" geführt wird und ein "Rauschspray" sein soll.

Das Versprechen, mit dem das WA/HH-Spray beworben wird, lautet ohne künstlerischen Überbau: Ein paar Zischer vom Spray und man fühlt sich sekundenschnell - und auch nur sekundenlang - betrunken, ohne zuvor den zeitraubenden Umweg über das Trinken aus Gläsern oder Flaschen nehmen zu müssen. "You can now get drunk for a few seconds at a time."

Der Spray-Kick erspart natürlich auch die mit dem Genuss alkoholischer Getränke einhergehenden Begleiterscheinungen, Übelkeit, Kopfschmerzen, Arbeitsunfähigkeit, Leistungsausfall. Dagegen soll das Alkoholspray eine "Quantum Sensation“ vermitteln, man entspannt sich kurz, bleibt aber fit wie der neue James Bond (und so weltläufig). Der Gedanke dahinter, wie ihn Starck im Laboratoire verkündet:

"Wir sind keine Heiligen. Unser Kopf hat Eskapismus gelegentlich nötig. Dafür gibt es tausend Möglichkeiten und eine davon ist die Trunkenheit. Aber auch wenn der Alkohol Gutes bewirken kann, so kann er doch auch Schlechtes anrichten. Die Frage ist, wie man sich Gutes gönnen kann, ohne Schlechtes zu bewirken? WA/HH ist da eine Alternative, die der Idee der Trunkenheit folgt, ohne allerdings deren verhängnisvolle Folgen."

Natürlich haben der Designer und der Harvard-Professor keine neue Substanz erfunden, sondern halten sich an die alte Regel, wonach eine niedrige Alkohol-Dosierung mit keinem Kater verbunden ist. Die Dosis wird lifestylemäßig homöopathisch gering gehalten. Jeder Sprühstoß enthält 0,0075 ml Alkohol. Mit jeder 20 Euro teuren Mini-Spraydose kann man laut Guardian, deren Reporterin das Gerät getestet hat, 20 mal sprühen. Um auf eine englische Alkoholeinheit - 10 Milliliter - zu kommen, müsste man für 1.300 Euro Sprays kaufen, so die Rechnung der britischen Zeitung. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Website Design Taxi, man müsste zwischen 530 und 800 dieser Sprays kaufen, um auf die Wirkung eines Drinks zu kommen. Die Expérience Nr 14 im Guardian-Selbstversuch war ernüchternd:

"In reality, it made me feel slightly light-headed for the merest nanosecond and left a slightly burning vodka-like taste on my tongue. That is when I managed to get the WA/HH spray in my mouth, and not up my nose."

Das hat die Pressestelle des deutschen Bundesministeriums für Gesundheit auf eine frühere Anfrage von Telepolis längst gewusst:

"Dieses Rauschspray kann keinen Alkoholrausch verursachen, weil hierfür die aufgenommene Menge viel zu gering ist. Zudem muss der Alkohol in relevanter Blutalkoholkonzentration das Großhirn erreichen, das ist bei dieser Menge (0.075 ml) völlig ausgeschlossen. Für eine minimale Wirkung sind je nach Geschlecht, Körpergröße, Alter und genetischer Enzymausstattung mindestens einige Gramm Alkohol notwendig (ein Glas Sekt enthält beispielsweise 8,8 g Alkohol auf 0,1 Liter)."

Von wegen Kick, so die Expertise von Frau Schuller, vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Die Einnahme über Schleimhäute geschehe langsamer als über den Magen. Und nein, das Spray sei hierzulande nicht verboten. Zu kaufen gibt es das Spray in Paris. Das zu Zeiten Hemingways noch ein "Fest fürs Leben" war..