Französisches Atom-Chaos um Fessenheim
Obwohl der Staatsrat der definitiven Abschaltung des Uraltreaktors eine Absage erteilt hat, will der Umweltminister daran festhalten
Der Wirrwarr um den unsicheren "riesigen Tauchsieder" im Rhein wird immer größer. Eigentlich sollten die beiden Atommeiler unweit von Freiburg längst abgeschaltet sein und hätten angesichts der massiven Sicherheitsmängeln nach ihrer Abschaltung nie wieder angeschaltet werden dürfen. In Betrieb ist das älteste Kraftwerk Frankreichs nur noch, damit es im Winter nicht zum Blackout im Atomstromland kommt, wie er jeden Winter aufs Neue droht.
Gerade hatte der neue Minister für den "ökologischen und solidarischen Übergang", François de Rugy, die absurde Verkettung der Abschaltungen in Fessenheim mit der Inbetriebnahme des neuen EPR-Reaktors in Flamanville aufgehoben, da unklar ist, ob der überhaupt noch einmal ans Netz geht und nicht ein neues Milliardengrab wird.
De Rugy hatte angekündigt, Fessenheim werde noch in dieser Legislaturperiode "bis 2022" abgeschaltet, weil der Betreiber EdF und die Atomaufsicht ASN unfähig sind, "einen Termin für die Inbetriebnahme von Flamanville zu nennen".
Doch da wurde wieder einmal die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Nun hat am Donnerstag der Verwaltungsrat in Paris das wachsweiche Dekret vom 8. April 2018 zur Schließung der umstrittenen Meiler im Elsass kassiert. Dem Dorf, das "Europa erpresst" und Gewerkschaften, die gegen das Dekret geklagt hatten, wurde Recht gegeben. Begründet wurde das Urteil mit formalen Mängeln. Das machen französische Richter gerne, um sich mit dem Inhalt nicht befassen zu müssen.
Der staatliche Energieversorger EdF habe der Schließung zwar zugestimmt (und dafür Entschädigungen eingestrichen), aber er hatte die Schließung nicht offiziell beantragt, erklärte der Staatsrat (im Original Conseil d'Etat, das ist eine französische Institution ohne genaue deutsche Entsprechung; gerne wird das Bundesverwaltungsgericht als Pendant erwähnt). Die sozialdemokratische Vorgängerregierung hatte einen faulen Kompromiss noch als Dekret verabschiedet, um so zu tun, als würde Präsident Hollande das Wahlversprechen einhalten wollen.
Denn demnach müsste Fessenheim längst abgeschaltet sein. Nun watschten die Richter die Umweltministerin Ségolène Royal im Nachhinein nochmal ab. "Es wurde gesagt, es wird geschehen", hatte sie noch getönt. Nichts davon ist richtig.
Und nun ist sogar unklar, ob Fessenheim 2022 abgeschaltet wird und die "schmutzige Bombe" noch länger auch die Schweiz und Süddeutschland bedroht. Wegen vorherrschender Westwinde würde im Fall eines Unfalls die Radioaktivität nicht nach Frankreich, sondern in beide Nachbarländer getragen. So ist wenig verwunderlich, wenn man im angrenzenden Freiburg besonders genervt ist.
Gegenüber Telepolis erklärte die Freiburger Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae:
"Nach mittlerweile acht Verschiebungen des Abschaltdatums kam vor zwei Tagen die Schlagzeile, dass sich die französische Atomaufsicht auf eine Aus von Fessenheim bis 2022 vorbereitet."
Damit bezog sie sich darauf, dass die Atomaufsicht erst am Montag der EdF verbindliche Termine für die Abschaltung diktiert hatte.
Demnach hätte in Fessenheim der ältere Reaktor bis September 2020 und der neuere bis August 2022 abgeschaltet werden müssen. "Die heutige Entscheidung wiederum ist ein Schlag ins Gesicht der Fessenheim-Gegner auf beiden Seiten des Rheins", erklärte die Abgeordnete der Grünen weiter.
Sie fordert von der französischen Regierung, "gemeinsam mit der Atomaufsicht rechtssicher für ein klares Abschaltdatum zu sorgen - und zwar je früher desto besser". Der Region müsse gleichzeitig eine wirtschaftliche Perspektive geboten werden. Darüber soll der Widerstand der Gemeinde und der Gewerkschaften, die Arbeitsplatzverluste fürchten, beschwichtigt oder beseitigt werden.
Nach Angaben von Le Monde müsse die Regierung nun ein neues, rechtlich wasserdichtes Dekret erlassen. Die Zeitung zitiert den Umweltminister, wonach der "Prozess zur Schließung nicht mehr umkehrbar" sei und "bis ins Jahr 2022" werde. Ein neues Dekret werde dazu "rechtzeitig verabschiedet", erklärte Rugy.