Fußball, Musik und Revolution

Der Gott der kleinen Menschen - Diego Maradona als Filmstar in Cannes

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Erst einen, dann den zweiten, den dritten, vierten, fünften Verteidiger umspielt und dann auch noch den Torwart: Das 1-0 durch Diego Armando Maradona im, Spiel gegen England 1986 bei der Weltmeisterschaft in Mexiko wurde später nur zum "Tor des Jahrhunderts" gewählt, es war der Grundstein zum Sieg gegen England - gegen Premierministerin Margret Thatcher und damit eine politische Tat und Genugtuung für die - wohl eher niederen - Instinkte des argentinischen Volkes, nur vier Jahre nach der Niederlage im Falklandkrieg.

"The smell of revolutionary gunpowder"
"The smell of revolutionary gunpowder"

"Es war, als hätten wir einen Fußballkrieg gewonnen", resümiert Maradona in Emir Kusturicas Film "Maradona by Kusturica", der gerade bei den Filmfestspielen von Cannes gezeigt wurde - das Portrait des größten Fußballers aller Zeiten, und die Suche nach dem Mythos Maradona und dem Mensch hinter ihm.

"Maradona by Kusturica" hat alle Schwächen eines typischen Kusturica-Films: Er ist fortwährend mit Musik unterlegt, überdreht, eitel, dick aufgetragen, alles wird ein paar mal zu oft wiederholt, dem Publikum regelrecht eingebläut. Kino für Analphabeten. Aber er hat Maradona. Und wie sich herausstellt, ist das genug für einen guten Film.

Kusturicas Maradona ist ein Instinktmensch. Fußballerisch nicht von dieser Welt, glaubt er auch, eine soziale Mission zu erfüllen und besitzt den Instinkt des guten Populisten, einfache Wahrheiten in noch einfacheren Worten zu verkünden. Und das dann verbunden mit der Begeisterung für die sozialrebellische Tradition Lateinamerikas, politische Paranoia und Parteinahme für die Armen. Heraus kommen dann Sätze wie: "Fidel is great", "Fidel, I die for you", "Bush ist ein Mörder", "Blair ist ein Teufel".

Kusturica beschreibt Maradonas Charisma überhaus treffend: "He looked more like a character from a film about mexican revolution, than the best footballer of all time. It was if he had stepped out of a film from Sergio Leone or Sam Peckinpah. When he stepped into a room, he was bringing the smell of revolutionary gunpowder with him."

"If he hadn't been a footballer, he would be a revolutionary." Kusturica ist sich nicht zu blöd, das allen Ernstes in seinem Film zu behaupten. "If he hadn't been a footballer..." wäre Maradona vielleicht auch Kokaindealer geworden, oder Priester, oder man hätte ihn einfach mit 17 erschossen in irgendeiner Straßenecke gefunden. Aber egal.

Was Kusturicas gelingt, ist, den Geist seines Gegenstandes in Bilder zu fassen, eine Haltung zu ihm einzunehmen. Das hebt "Maradona by Kusturica" meilenweit über Steven Soderbergh hinaus. Kusturica leistet genau das, was "Che" fehlt: Er vermittelt ein Gespür für das Geheimnis seines Gegenstandes, für die Mythologie der Ikone, die er sich zu portraitieren entschlossen hat, und er enthüllt doch immerhin ein paar Aspekte seines Gegenstandes. Man hat nach dem Film verstanden, warum er mehr ist als ein sehr guter Fußballer.

Kusturica liebt Maradona und das spürt man, und darum gelingt es ihm auch etwas von den Gefühlen begreiflich zu machen, die die Öffentlichkeit Argentiniens und Lateinamerikas Maradona immer noch entgegenbringen. Er ist ein Mensch mit allen Schwächen und vielen Stärken - aber die Schwächen und Stärken sind ihre.