(In)transparente Manöver

Außer Kontrolle

Seit dem Interview mit dem Bundespräsidenten in ARD/ZDF zeigt sich erneut, wie intransparent sich Christian Wulff gibt. Dank gebührt ihm jedoch für die Bloßstellung der Öffentlich-Rechtlichen.

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Von Staatsfernsehen und Sperrfristen

Bereits die Art und Weise, wie Bundespräsident Christian Wulff Aufklärung über all die gegen ihn erhobenen Vorwürfe versprach, war letztendlich von Symbolcharakter für das, was Wulffs Beziehung zu den Medien angeht. Er glaubt, allein die Bedingungen, wann, wie und auf welche Weise er sich äußert, bzw. wie darüber berichtet wird, aushandeln zu können und es machte den Anschein, als versuche er, nach der missglückten Liaison mit der Boulevardpresse nunmehr die öffentlich-rechtlichen Sender einzuspannen. Nicht etwa auf einer Pressekonferenz, in der Vertreter aller Medien die Möglichkeit hätten, Fragen zu stellen und Wulffs Mimik und Gestik mit zu interpretieren, wollte der Bundespräsident sich äußern, vielmehr sollte es ein Interview geben, zeitgleich ausgestrahlt bei ARD und ZDF. Die beiden großen Öffentlich-Rechtlichen konnten diesem Coup letztendlich nicht widerstehen und warfen ihr gesamtes geplantes Programm über den Haufen, um dem Bundespräsidenten zwanzig Minuten lang Gelegenheit zu geben, Stellung zu nehmen. Im Studio, abgeschirmt von Fotografen- und Mikrofonmassen, entstand so zumindest eine durchaus angenehmere Athmosphäre für den Bundespräsidenten, die durch zwei Journalisten, die sich eher scheuten, mit krischen Fragen nachzubohren, noch verstärkt wurde.

Wie sehr Wulff von seinen Ideen in Bezug auf Medien überzeugt ist, zeigte auch die schon absurd anmutende Choreographie um die Sperrfrist. Fast als gelte es den neuesten Blockbuster zu bewerben, kündigten ARD und ZDF Appetithäppchen an und machten sich so zu Komparsen in einer Selbstinszenierung des Bundespräsidenten. Um 17.00 Uhr sollte das Interview aufgezeichnet werden, um 18.45 Uhr würden Ausschnitte auf ARD zu sehen sein, um 19.00 Uhr Ausschnitte im ZDF, um 20.15 schließlich dann das Gesamtinterview, parallel bei ARD und ZDF. Insbesondere die Entscheidung dieser zeitgleichen Übertragung erinnert letztendlich an andere Großereignisse, bei denen ARD und ZDF parallel berichten: königliche Hochzeiten. Die reine Äußerung des Staatsoberhauptes wurde somit beworben und behandelt, als ginge es eher um eine Neuauflage der Neujahrsansprache als um eine der Presse und der Bevölkerung geschuldete Information.

Da Medienvertreter sich ob der Exklusivrechte für ARD/ZDF pikiert zeigten, wurde die Sperrfristregelung verändert - ab 18.00 Uhr durften nun alle Journalisten sich das Interview vorab ansehen und daraus zitieren und bis zu drei Minuten davon als Audio- oder Videomaterial verwenden. Zwar wurde die gesamte Sperrfristregelung ad absurdum geführt, als bei Netzpolitik.org das Interview als Tonmitschnitt bereits um 18.45 auftauchte, doch angesichts Wulffs Intention wie auch seines Unverständnisses, was die (neuen) Medien angeht, wird klar: Er wollte die Medien für sich instrumentalisieren, um seine Überlegenheit und Wichtigkeit zu demonstrieren. Er, das Staatsoberhaupt, hat es nicht nötig, sich den Fragen der gesamten Journaille oder der Bevölkerung zu stellen, sondern gewährt ausgewählten Medienvertretern großzügig eine Frage-Audienz. Huldvoll nimmt er die Kritik der anderen Medien zur Kenntnis und kommt ihnen mit gelockerten Sperrfristregelungen entgegen. ARD/ZDF hatten sich somit bereits den Anstrich des Staatsfernsehens gegeben und es war nun an den beiden Journalisten, durch eine kritische Interviewführung diesen Eindruck wieder wettzumachen.

Kritische Fragen und warum sie kein kritisches Interview ausmachen

Ulrich Deppendorf und Bettina Schausten, die beiden Journalisten der Öffentlich-Rechtlichen, jedoch zeigten sich eher als Stichwortgeber denn als kritische Journalisten. Sie, die nun die Möglichkeit hatten zu zeigen, dass Unabhängigkeit und kritische Recherche bei den ÖR hoch im Kurs stehen und daher auch das Gefeilsche um die Höhe der Rundfunk- und Fernsehgebühren seine Berechtigung hat, scheiterten hier grandios. Zwar stellen sie durchaus kritische Fragen, doch wieder einmal zeigte sich, dass kritische Fragestellungen gerade bei Liveinterviews kein kritisches Interview ausmachen müssen. Einer der wichtigsten Punkte bei einem Live-Interview ist das Zuhören - sofern die Fragen nicht vorher schon besprochen wurden (was leider oft der Fall ist). So sind die Antworten des Interviewten das, worauf eingegangen werden muss - sollen nicht lediglich Fragen abgelesen werden.

An einigen Beispielen im Interview wird deutlich, wie wenig Deppendorf und Schausten bereit waren, ihrer Rolle als kritische Journalisten gerecht zu werden.

So sagt Christian Wulff:

"Wenn man im Ausland ist, in vier Ländern in fünf Tagen, zehn Termine am Tag hat und erfährt, dass Dinge während dieser Zeit in Deutschland veröffentlicht werden sollen, wo man mit Unwahrheit in Verbindung, wo man also Vertrauensverlust erleidet, dann muss man sich auch vor seine Familie stellen. Wenn das Innerste nach außen gekehrt wird, private Dinge, eine Familienhaus-Finanzierung, wenn Freunde den Kredit gegeben haben, in die Öffentlichkeit gezogen werden, dann hat man (eine) Schutzfunktion, und man fühlt sich hilflos."

Zwar geht Schausten dann auf die Pressefreiheit ein, in keiner Weise aber ziehen sie oder Deppendorf Wulff den Opferzahn, indem sie auf die besondere Rolle des Bundespräsidenten bzw. eines Ministerpräsidenten hinweisen, auf die Problematik von angenommenen "Geschenken von Freunden". Auch auf das bezeichnende Wort "Unwahrheit" geht keiner der Beiden ein, sondern erinnern an Wulffs Taktik, bei kritischer Berichterstattung zu intervenieren. Auch hier gelingt es dem Bundespräsidenten mühelos, seine eigene Rolle zu beschönigen und von einem Lernprozess zu sprechen, den er in seiner neuen Rolle durchmachen muss, als gelte es, als Bundespräsident bei vollem Gehalt und vollen Privilegien quasi eine Art Lehrjahr oder Praktikum zu absolvieren.

Wieder ergibt sich Wulff in seine Opferrolle und erweckt so den Eindruck, als sei er plötzlich und unerwartet durch die Berichterstattung in Bezug auf seine Halbschwester überrumpelt worden, als hätte er nicht seinerseits versucht, mit Hilfe der BILD das Bild der heilen Familie und des offenen und ehrlichen, des versöhnlichen Staats- und Familienmannes zu zeichnen, so dass "Die Welt" mit ihrer Berichterstattung über den nicht gerade versöhnlichen Umgang mit seiner Halbschwester einen Kontrapunkt setzte. Deppendorf und Schausten lassen auch dies kritiklos durchgehen.

Diese Kritiklosigkeit in Bezug auf Wulffs Antworten zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Interview. So erklärt Wulff seinen Aufenthalt bei einem "Vorstandsvorsitzenden einer großen deutschen Versicherungsfirma" damit, dass dieser ihm den Aufenthalt angeboten hat - "Und der gesagt hat: Wenn Sie jetzt gerade die Scheidung geheim gehalten haben, die Hochzeit geheim gehalten haben und alle sozusagen Ihnen auf den Fersen sind..."

Eine erneute Möglichkeit, Wulffs gefühlte Realität mit der Wirklichkeit abzugleichen, verstreicht. Immerhin wurden weder Scheidung noch Hochzeit geheim gehalten, vielmehr hat Wulff diese beiden Ereignisse mit Hilfe der ihm wohlgesonnenen BILD medial breitgetreten und, seit dem Scheitern seiner ersten Ehe, insbesondere die Beziehung zu Bettina Körner selbst ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.

Auch Wulffs Ausweichen, als seitens der beiden Journalisten tatsächlich ein paarmal das "Eingemachte" angesprochen wird, als der Bundespräsident - fast als würde er aus der Distanz sich selbst betrachten - von "man" spricht ("man wird demütiger..."), kommt keinerlei Nachfrage, wieso nun plötzlich zwischen dem distanzierten "man" und dem direkten "ich" gewechselt wird, wobei das "man" bei den negativen Aspekten, das "ich" jedoch bei den positiven verwandt wird.

Deppendorf: "Haben Sie, zusammengefasst noch mal gefragt, nicht durch Ihr Verhalten in den letzten Wochen das Amt des Bundespräsidenten schwer beschädigt?"
Wulff: "Das Amt des Bundespräsidenten ist aus vielerlei Gründen in Deutschland schwieriger geworden. Und durch diese Art von Umgang mit den Dingen hat man dem Amt sicher nicht gedient. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich durch eine ganze Reihe von Aktivitäten in der Amtszeit das Amt des Bundespräsidenten wieder gestärkt habe. Dass es eine hohe Anerkennung genießt. Ich bin geradezu überrascht, wie stark die Bürgerinnen und Bürger es von mir selbst auch erklärt, erläutert bekommen wollen und letztlich darauf setzen, dass ich Bundespräsident bleibe. Denn ich nehme meine Verantwortung wahr.

Nie vorher gesehene Transparenz

"Ich glaube, diese Erfahrung, dass man die Transparenz weitertreiben muss, die setzt auch neue Maßstäbe. Morgen früh werden meine Anwälte alles ins Internet einstellen. Dann kann jede Bürgerin, jeder Bürger, jedes Details zu den Abläufen sehen und bewertet sie auch rechtlich. Und ich glaube nicht, dass es das oft in der Vergangenheit gegeben hat, und wenn es das in Zukunft immer gibt, wird es auch unsere Republik offenkundig auch zu mehr Transparenz positiv verändern."

Die Worte Christian Wulffs im Interview waren, gerade auch in der Form, in welcher der Bundespräsident sie an die Bevölkerung richtete, dazu gedacht, eine neue Phase in der Auseinandersetzung einzuläuten. Der Bundespräsident gerierte sich erneut als offen und transparent, als zwar Fehler eingestehend, aber doch irgendwie im Recht. Gemeinsam mit den ÖR gelang es ihm insofern, eine Farce zu veranstalten, eine Selbstinszenierung, die einen Eindruck erwecken sollte, der nicht der Realität entspricht.

Wulffs Leitmotiv, wie es scheint, ebenso wie es zu ihm gehört, sich geradezu mit winkeladvokatischer Leichtigkeit zu äußern, ohne tatsächlich etwas zu sagen. Auch im Bereich der "Transparenz", die er ankündigt, spart er nicht mit Übertreibungen ("die setzt neue Maßstäbe") und stellt es so dar, als hätte er diese Transparenz von sich aus angeboten, als wäre sie nicht letztendlich eine Pflichtübung, nachdem ihm kaum mehr Fluchtwege blieben.

Dass seine Anwälte nunmehr mit Rücksicht auf das Mandantengeheimnis eine Veröffentlichung ablehnen, ist letztendlich ein ebenso absurder Zug wie die Bitte der BILD, die ominöse Nachricht auf dem AB veröffentlichen zu dürfen. Als gäbe es für BILD diese Möglichkeit nicht auch ohne Genehmigung, und als hätte der Mandant Christian Wulff nicht auch die Möglichkeit, seine Anwälte vom Mandantengeheimnis zu befreien. Es ist letztenendes ein peinliches Spiel, bei dem alle Beteiligten sich in Ausflüchte und Rabulistik einrollen wie in warme Decken - ein Spiel, bei dem die ÖR sich haben instrumentalisieren lassen und sich selbst demontiert haben. Dafür jedenfalls gebührt Christian Wulff Dank.