Justizminister Maas und das Kuckucksei beim Bundesgerichtshof
Ein Kommentar von Wolfgang Neskovic
Am 22. Mai tagt der Richterwahlausschuss des Bundes zur Wahl von Bundesrichtern. Nach Presseberichten soll dort - nach einer entsprechenden Einigung zwischen SPD und CDU - die Amtschefin des baden-württembergischen Justizministeriums Frau Limperg zur Bundesrichterin gewählt werden. Mit ihrer Wahl zur Bundesrichterin wären die notwendigen Voraussetzungen für den sozialdemokratischen Bundesjustizminister Maas gegeben, Frau Limperg zur Präsidentin des Bundesgerichtshofs zu befördern.
Die Besetzung des Chefpostens beim höchsten deutschen Gericht in der ordentlichen Gerichtsbarkeit bietet Herrn Maas die einmalige Chance, für mehr wertbezogene Pluralität am Bundesgerichtshof zu sorgen. Richter und Richterinnen sprechen im Namen des Volkes. Das setzt im Idealfall voraus, dass sie in etwa die Pluralität der im Volk vertretenen Wertvorstellungen repräsentieren. Das ist jedoch nicht der Fall. In der Richterschaft - insbesondere beim Bundesgerichtshof - überwiegen ganz eindeutig konservative Wertvorstellungen. Da der Bundesgerichtshof juristisch die Richtung für alle deutschen Gerichte in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorgibt, erschließt sich, welche Bedeutung eine wertbezogene Pluralität am Bundesgerichtshof nicht nur für die Entscheidungspraxis des Bundesgerichtshofs sondern auch für die der unteren Gerichte hat.
Ronald Reagan hat einmal gesagt: "Die Wahl eines richtigen Richters zum Obersten Gerichtshof ersetzt 20 Jahre Kongressarbeit.“ Das stimmt. Konservative Justizminister haben diese Erkenntnis "mit der Muttermilch" aufgenommen, sozialdemokratische begreifen sie häufig während ihres gesamten politischen Lebens nicht. Sie begreifen nicht, dass eine richterliche Entscheidung nicht allein durch das Gesetz vorgegeben ist. Vielmehr ist das richterliche Entscheidungsergebnis auch geprägt durch persönliche Wertvorstellungen, die auf die Wahrnehmung und die Bewertung von Vorgängen und der Auslegung von Rechtsvorschriften entscheidenden Einfluss nehmen können.
Wenn z.B. das Landgericht Berlin unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden hat, dass eine Mieterin nach 27 Jahren ihre Wohnung verlassen muss, weil der Vermieter die Wohnung für gelegentliche Besuche seiner nichtehelichen Tochter nutzen will, so ist diese Entscheidung rechtlich zwar möglich, aber nicht zwingend. Andere Richter - mit anderer sozialer Empathie - hätten eine gegenteilige Entscheidung treffen können.
Bei dieser Ausgangslage wäre es für einen sozialdemokratischen Justizminister, der sich seinen Wählern und Wählerinnen verpflichtet fühlt, die vordringlichste Aufgabe, eine Richterpersönlichkeit zu suchen, die zu der am Bundesgerichtshof vorherrschenden konservativen Ausrichtung ein Gegengewicht setzt. Damit ist keine am Parteibuch orientierte Personalauswahl gemeint, sondern eine, die darauf ausgerichtet ist, die notwendige in unserer Gesellschaft vorhandene Pluralität der Wertvorstellungen auch am Bundesgerichtshof herzustellen. Mit der richtigen Personalauswahl am Bundesgerichtshof kann Justizminister Maas für eine ausgewogenere Rechtsprechung sorgen, so dass z.B. auch die Interessen und Sichtweisen der Schwächeren in unserer Gesellschaft stärker Beachtung finden können.
Mit der Besetzung von Frau Limperg als Präsidentin des Bundesgerichtshofs begeht Justizminister Maas einen schweren personalpolitischen Fehler. Er verzichtet darauf, ein selbstbewusstes personalpolitisches Signal für eine Richterpersönlichkeit zu setzen, die sich für eine bürgernahe sozial denkende Justiz engagiert und die Unabhängigkeit der Richter "bis aufs Messer" verteidigt.
Nach dem Motto "Hauptsache Frau“ lässt er sich eine Funktionärin des konservativen Richterbundes aufschwatzen. Hier rächt sich seine justizpolitische Unerfahrenheit. Er befördert eine Frau in das höchste Amt der ordentlichen Justiz, die für ein von CDU-Vorstellungen geprägtes Richterbild steht: staats- und autoritätsfixiert, wirtschaftsfreundlich und bürgerfern. Diese Entscheidung hätte auch ein CDU-Justizminister treffen können. Nicht von ungefähr hat Frau Limperg in der Vergangenheit unter ihrem Vorgänger, dem Ministerialdirektor Steindorfner, und unter dem einstigen Stuttgarter Oberlandesgerichtspräsidenten Stilz , beide von der CDU, eine richterliche Karriere gemacht.
Über Stilz berichtet die Stuttgarter Zeitung am 8.5.2014, dass er noch immer einflussreich sei und einmal im Jahr einen handverlesenen Zirkel von Juristen, zu denen auch Frau Limperg zähle, in seinem Feriendomizil am Lago Maggiore um sich versammele. Wörtlich heißt es in dem Bericht der Stuttgarter Zeitung: "Dort werde verabredet, heißt es, wie man den Justizminister sanft in die 'richtige' Richtung lenke und zu viele Reformen vermeide - möglichst so, dass er es kaum merke. Unsinn sei das, verlautet aus dem Kreis der Beteiligten: Es handle sich um eine "rein private Veranstaltung, bei der mitnichten Politik gemacht werde".
Steindorfner gilt bundesweit als der geistige Vater und engagierte Verfechter für die Einführung der sogenannten "Neuen Steuerungsmodelle" in die Justiz. Im Kern zielen diese darauf ab, die Richter administrativ zu fesseln und mit vorgegebenen Erledigungszahlen zu bloßen Erledigungsautomaten zu degradieren. Dabei bleiben die Bürger mit ihrem Rechtsschutzanliegen im Regelfall auf der Strecke. Die inhaltliche Qualität der richterlichen Arbeit tritt so in den Hintergrund und die Erledigungszahlen entscheiden weitgehend über die weitere berufliche Karriere.
Ein guter Richter ist danach nur ein "guter" Richter, wenn er viele Fälle erledigt. Eine solche Sichtweise hat für die Rechtsprechung und das Vertrauen der Menschen in die Justiz und den Staat verheerende Folgen. Sie nimmt den Rechtssuchenden die Hoffnung auf Gerechtigkeit, weil der Richter ihnen nicht mehr als unabhängiger nur dem Gesetz unterworfener Entscheidungsträger gegenüber tritt, sondern als ein von Erledigungszahlen "gesteuerter" Sachbearbeiter. Dabei weiß ein jeder: Die Mutter der Wahrheit und der Gerechtigkeit ist die Zeit.
Ein Richter, der sich für seine Arbeit zu wenig Zeit nimmt, weil er von Erledigungszahlen gepeinigt wird, wird zwar das Wohlwollen seiner Vorgesetzten - insbesondere in Baden-Württemberg - gewinnen aber das Vertrauen der Menschen verlieren.
Für diese administrative Umwidmung des Richterbildes steht auch Frau Limperg. Als Amtschefin im baden-württembergischen Justizministerium hat sie es nicht verhindert, dass die Präsidentin des Oberlandesgerichts Karlsruhe, Frau Prof. Dr. Hügel, einen besonders gründlichen Richter, dessen überdurchschnittlicher Arbeitseinsatz allseits anerkannt ist, dienstrechtlich gemaßregelt hat, weil er nur unterdurchschnittliche "Erledigungszahlen" produziere. Zu Recht hat die Neue Richtervereinigung in diesem Verhalten einen "Anschlag auf die richterliche Unabhängigkeit" gesehen, der bundesweit einen "Tabubruch" darstelle.
Frau Limperg hat das Vorgehen von Frau Dr. Hügel zumindest geduldet und sich somit für das höchste Richteramt in der ordentlichen Justiz disqualifiziert. Gerade die Präsidentin des Bundesgerichtshofes sollte, wenn es um Angriffe gegen die richterliche Unabhängigkeit geht, eine Vorbildfunktion einnehmen und bedingungslos und konsequent für die Unabhängigkeit des Richteramtes einstehen. Gerade sie darf sich den Zumutungen der politischen Administration nicht geneigt zeigen, sondern muss sich ihnen wehrhaft entgegenstemmen.
Wenn Justizminister Maas dennoch Frau Limperg in das Amt der Präsidentin am Bundesgerichtshof befördern will, beweist er mit dieser Entscheidung nicht nur seine justizpolitische Unerfahrenheit, sondern verspielt auch die einmalige Chance am Bundesgerichtshof mit einer reformorientierten Personalentscheidung für Aufbruchstimmung zu sorgen.
Steindorfner, Stilz und Co werden die Sektkorken knallen lassen, wenn Frau Limperg tatsächlich zur Präsidentin des Bundesgerichtshofs gewählt wird. Sie werden sich zu diesem Personalcoup beglückwünschen und mit Häme über die Sozialdemokraten amüsieren, die sie für dumm verkauft haben, indem sie ihnen ein solches Kuckucksei in das Nest ihrer Justizpersonalpolitik legen konnten.