Phantomarmgesteuert

Neuroprothetik: Die Fortsetzung der militärisch-industriellen Zusammenarbeit

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Die Neuigkeit sorgte Mitte November für große Schlagzeilen: "Technische Sensation: Erste gedankengesteuerte Armprothese".

Der junge österreichische Mann, der seine neue Armprothese über die Nerven ansteuern kann, die auch für die Bewegung des ursprünglichen Armes zuständig waren, erhielt durch die neue Prothese nicht nur sieben neue Freiheitsgrade, also sieben aktive Gelenke im Vergleich zu den drei üblichen konventioneller Prothesen, sondern auch die Freiheit, sie gleichzeitig anzusteuern

Und, die Besonderheit: er kann intuitiv mit dem künstlichen Arm umgehen. Die Prothese kann gedankliche Befehle direkt umsetzen, der Mann agiert dabei mit seinem so genannten Phantomarm. Signale, die seinen ursprünglichen Arm steuerten, werden von Elektroden im Prothesenschaft aufgenommen und über ein "komplexes elektronisches Analyseverfahren" in Bewegung umgesetzt.

Dazu mussten die verbliebenen Nerven aus dem Armstumpf in die Brust verlegt werden, eine sehr komplizierte Operation, von der es heißt, dass sie außer in Wien bisher nur in Chicago und Seattle durchgeführt werden konnte, weltweit sollen es nur drei Ärzte sein, die sie beherrschen.

Das nicht unwichtige Beiwort "erster" wurde allerdings in den meisten Meldungen relativiert; die Neuroprothese ist nämlich die erste Anwendung "außerhalb der USA" - Produkt einer europaweit exklusiven Zusammenarbeit zwischen einem deutschen Medizintechnikunternehmen, der Otto Bock Healthcare, und der DARPA-Forschungsabteilung des Pentagon. Deren Großprojekt "Revolutionizing Prosthetics" wurde schon vor einigen Jahren entwickelt.

Die Neurotechnologien sind dem Defense Science Office (DSO) der DARPA besonders wichtig, speziell wegen der im Irak verletzten Soldaten, die häufig Amputationen erleiden müssen. Im April 2005 schrieb die Forschungsabteilung des Pentagon ein Forschungsprojekt für eine neuronale Steuerung von künstlichen Gliedmaßen aus, die "vollständig die motorischen und sensorischen Kapazitäten von Patienten wiederherstellen, denen Arme amputiert wurden". Die Prothese soll, so die Ausschreibung, so perfekt sein, dass die Soldaten auch wieder in den Militärdienst zurückkehren könnten (siehe dazu "Neuroprothesen ziehen in die Gehirne der Menschen ein".

Neurotechnologien und insbesondere die Neuroprothetik sind auch außerhalb der Kampfzonen lukrative Märkte, weswegen es darauf ankommt, möglichst zu den ersten zu gehören, die Produkte auf den Markt bringen. Die traditionelle militärisch-industrielle Zusammenarbeit findet hier ihre Fortsetzung.