Polen: Hass unter Gleichgesinnten

Partei von Jaroslaw Kaczynski, um den seine Anhänger noch einen Personenkult zelebrieren, zerbricht

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Am Dienstag um 11 Uhr kamen die 460 Abgeordneten des polnischen Sejm zu ihrer ersten Sitzung in der neuen Legislaturperiode zusammen. Auf der Tagesordnung stand die Vereidigung der Parlamentarier sowie die Wahl eines neuen Sejmmarschall - mit Ewa Kopacz hat zum ersten Mal in der Geschichte Polens eine Frau dieses Amt inne - und seiner Stellvertreter.

Doch mit dem aus fünf Fraktionen bestehenden Parlament, das die Polen am 9. Oktober gewählt haben, hat der Sejm nicht mehr viel gemein. Denn am Montagabend gaben 16 Parlamentarier die Gründung einer neuen Fraktion bekannt, die in der nächsten Zeit unter dem Namen "Solidarisches Polen" fungieren soll.

Hervorgegangen ist diese neue Gruppierung aus den jüngsten Streitigkeiten innerhalb der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit von Jaroslaw Kaczynski, für die die diesjährigen Parlamentswahlen mit einer weiteren Enttäuschung endeten. Inklusive den Wahlen fürs Europaparlament sowie Kommunal - und Präsidentschaftswahlen war es der sechste Urnengang in Folge, den die einstige Regierungspartei verlor. Zeiten, in denen die PiS sowohl den Regierungschef als auch den Staatspräsidenten stellte, so wie zwischen 2005 und 2007, scheinen heute unvorstellbar. Und dies, obwohl die Nationalkonservativen als einzige Partei des Landes auf eine treue Stammwählerschaft zählen können.

Doch gerade dies ist auch der größte Makel der Kaczynski-Partei, denn die rund 30 Prozent, die die PiS bei den Wahlen regelmäßig erhält, reichen nicht aus, um wieder in Regierungsverantwortung zu gelangen. Die für eine absolute Mehrheit notwendigen neuen Wählergruppen kann die PiS aber nicht hinzugewinnen, was für die PiS auch langfristig überlebenswichtig wäre, da ihre national-katholische Klientel allmählich zu überaltern droht. Und mögliche Partner, mit denen die PiS auch mit ihren 30 Prozent koalieren könnte, sind innerhalb der polnischen Parteienlandschaft nicht vorhanden.

So ist es nicht verwunderlich, dass im konservativen Lager bereits mit der Schließung der Wahllokale am 9. Oktober die ersten Stimmen nach innerparteilichen und programmatischen Reformen laut wurden, die ungewöhnlich heftig auch die Vormachtstellung von Jaroslaw Kaczynski in Frage stellten.

Dass die Position Kaczynskis aber weiterhin unantastbar ist, zeigte sich schon in den ersten Stunden und Tagen nach der Wahl. "Kaczynski ist die PiS", erklärten die meisten Mitglieder der nationalkonservativen Partei und setzten den Personenkult um ihren "Lider" fort. Eine Politik, die einen durchaus an die einer stalinistischen Partei erinnern kann. Erst Recht, wenn man die PiS in den vergangenen Wochen beobachtet hat.

Denn während in der Sowjetunion der 1930er Jahre Personen wie Bucharin, Sinowjew oder Kamenew wegen innerparteilicher Opposition aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen wurden, fand man bei den Nationalkonservativen mit den Europaabgeordneten Zbigniew Ziobro, Jacek Kurski und Tadeusz Cymanski drei Sündenböcke für die diesjährige Wahlniederlage. Im Gegensatz zu den namhaften Bolschewiki droht diesen zwar nicht der Tod, doch ein Platz in der Partei ist für sie nicht mehr vorhanden. Am vergangenen Freitag wurden die drei Politiker nach mehrstündigen innerparteilichen Verhandlungen wegen "schädigendem Verhaltens" aus der PiS ausgeschlossen. Zwei Tage zuvor bot man Ziobro, Kurski und Cymanski noch den Verbleib in der Partei an, falls sie sich öffentlich zu ihren Fehlern bekennen und zeitweise ihre Ämter niederlegen. Eine Selbstkritik, die die drei Europaparlamentarier ablehnten.

Die Vorwürfe gegen die "Ziobristen" sind nicht überraschend. Schon kurz nach den Wahlen wurden innerhalb der PiS die ersten Stimmen laut, die Ziobro, Kurski und Cymanski mangelndes Engagement im Wahlkampf so wie die Verfolgung eigener Interessen vorwarfen. Stimmen, die von den Europaabgeordneten mit ungewöhnlich heftiger Kritik beantwortet wurden. Sie forderten nicht nur innerparteiliche Reformen und neue Strategien, sondern bemängelten auch Kaczynskis autoritären Führungsstil, den Jacek Kurski vergangene Woche gar mit Nordkorea verglich.

Zukunft des konservativen Lagers in Gefahr?

Obwohl solche Zerwürfnisse und Abspaltungen in der PiS nicht neu sind, zeigt sich das konservative Lager über die jüngsten Ereignisse schockiert. Die Soziologin Jadwiga Staniszkis, die so etwas wie das wissenschaftliche Gewissen der polnischen Rechten ist, zeigt sich besorgt um die Zukunft des polnischen Konservatismus und nennt den Rauswurf der "Ziobristen" einen Fehler. Der einflussreiche Prediger Tadeusz Rydzyk wiederum spricht von einem "Werk des Teufels", während der Journalist Jacek Karnowski einen "Vernichtungskrieg" im rechten Lager prophezeit. Eine Sorge, die auch sein Kollege Tomasz Sakiewicz teilt, Chefredakteur der Wochenzeitung Gazeta Polska, weswegen er in seinem Blog zur Einheit der polnischen Rechten aufruft.

Denn die "Ziobristen" haben tatsächlich gute Voraussetzungen, wegen ihrem Namensgeber der PiS einige Wähler abspenstig zu machen. Der 41-jährige Zbigniew Ziobro war bis zum vergangenen Freitag nicht nur Vize-Vorsitzender der PiS, sondern der ehemalige Justizminister galt auch als Kaczynskis Thronfolger. Und obwohl auf seiner Amtszeit als Justizminister einige Schatten liegen, genießt er eine hohe Popularität. Bei den Europawahlen 2009 erzielte er landesweit das zweitbeste Ergebnis. Und das Ziobro auch jetzt Erfolg haben könnte, zeigt eine aktuelle Umfrage für das Staatsfernsehen TVP, wonach die "Ziobristen" 8 Prozent bekommen würden.

Gute Umfragewerte hatten zur Beginn ihrer Tätigkeit aber auch die zwei vorherigen Abspaltungen aus der PiS. Heute spielen diese aber keine Rolle mehr. Um dieses Schicksal zu verhindern, betreibt die "Ziobristen"-Fraktion deshalb schon heute eine aggressive Politik im neuen Sejm, auch wenn die Gruppe immer noch ihre Zugehörigkeit zu der PiS betont. Doch an diese glaubt in der PiS keiner mehr. Laut Parteistatuten verloren die Ziobro-Anhänger mit der Gründung einer neuen Fraktion ihre Parteimitgliedschaft, weshalb die Ziobristen laut Parteijargon als Verräter gelten.