Politik pervertiert

Hartz-IV als Spielball - ein Kommentar

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein von fünf Bundestagsparteien erzwungener Nachschlag zu meinem Artikel "Die Welt um uns herum schläft nicht" - Aber wir .. vom 7.12.2010

Es ist Irrsinn pur. Der von den Medien obendrein noch auf solche Weise analysiert und bewertet wird, als läge das, was gerade geschieht, im Bereich des Üblichen oder auch nur des Hinnehmbaren. Parteien, die nicht in der Lage sind, eine klare Anweisung des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 fristgerecht umzusetzen. Parteien, die nicht in der Lage sind, einige wenige Regelungen wenigstens halbwegs einvernehmlich zu gestalten. Parteien, die dagegen in der Lage sind, diese vorgeblich unlösbaren Einzelfragen derart aufzuladen, als ginge es um Fortbestehen oder Untergang der gesamten Gesellschaft.

Wo bleibt der Aufschrei bei Presse und Publikum? Es ist doch ein Stück aus dem Tollhaus, das uns die Fünf-Parteien-Koalition (die Linkspartei war nicht geladen) da bietet. 4,8 Millionen Erwachsenen und mehr als 2 Millionen Kindern wurde vom höchsten Gericht ein Anspruch auf leichte Verbesserungen zugesprochen. Angesichts der Kräfteverhältnisse in Bundestag und Bundesrat ist klar, dass es Kompromisse geben muss, wie immer diese auch ausfallen. Doch wird stets so verhandelt, dass keinerlei Einigung möglich wird. Es herrscht ein nicht verfassungsgemäßer Zustand? Egal. Die Betroffenen warten dringend auf die Neuregelung? Auch egal. Sollen sie. Reicht doch, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgelegt hat, dass Leistungsverbesserungen rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft zu setzen sind.

Was geschieht stattdessen? Ihren unverfrorenen Unwillen, sich bei den paar erforderlichen Regelungen wie der Erhöhung des Regelsatzes oder Maßnahmen zur sozialen Teilhabe von Kindern zu einigen, verhüllen alle beteiligten Parteien mit einer nachgerade perfiden Aufladung der Thematik. Vordergründig geht es auch um die Positionierung in einem Jahr mit mehreren Landtagswahlen. Jedoch scheint ein hintergründiges Muster tieferer Bedeutung auf. Dass die Parteien nicht willens sind, ein paar Entscheidungen zu treffen und Kompromisse einzugehen, verhüllen sie allesamt dadurch, dass sie die Thematik ungerechtfertigt so hoch hängen, als handele es sich um Schicksalsfragen. Mittels dieses Taschenspielertricks können sie so tun, als würden sie hier das Überleben der Gesellschaft antreten. Die am Mittwoch ausgebrochenen Schaukämpfe und geheuchelten Schuldzuweisungen sind so unsäglich primitiv, dass alle Medien sie eigentlich komplett ignorieren müssten und sollten.

Warum bloß agieren politische Parteien, deren Vertreter von uns in Verantwortung gewählt wurden, derart skrupellos? Die Antwort liegt auf der Hand: Bei den Fragen, die tatsächlich Schicksalsfragen sind, die die zentralen Säulen unseres Gemeinwesens fortentwickeln sollen, an denen sich wahrhaftig Wohl und Wehe der Gesamtgesellschaft entscheiden – bei diesen anstehenden Herausforderungen herrschen Stillstand, Schweigen, Ignoranz, Verdrängung. Um dennoch den Anschein von Übernahme von Verantwortung, von Willen zur Gestaltung, von Zukunftsfähigkeit aufrechtzuerhalten, muss eben ein Nebenschauplatz herhalten, der jedoch von der Sache her völlig ungeeignet ist.

Wie gesagt, es ist allein der Anschein, der aufrechterhalten werden soll.