Profitiert die Linkspartei von der Ukrainekrise?

Der Parteitag der Linken erhielt längst nicht so viel mediale Aufmerksamkeit wie ähnliche Veranstaltungen in den vergangenen Jahren

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Auf dem Parteitag gab es scheinbar keine Flügelkämpfe, die immer die Aufmerksamkeit der Medien erregen. Wenn sich einige Arbeitsgemeinschaften der Linken über Statutenfragen streiten, stecken dahinter auch unterschiedliche politische Implikationen. Das sind aber keine Medienaufreger.

Welche große Rolle bei der öffentlichen Debatte über einen Parteitag Interpretationen spielen, zeigte sich an zwei Entscheidungen. Sahra Wagenknecht verzichtete schon im Vorfeld auf eine erneute Kandidatur für den Stellvertretenden Parteivorsitz. Zudem stimmte eine knappe Mehrheit des Parteitags dafür, dass Gregor Gysi den Fraktionsvorsitz künftig gemeinsam mit einer Frau ausüben soll. Beide Abstimmungen hätten vor einigen Jahren noch zu Spekulationen verleitet, ob entweder der linke Partieflügel mit Wagenknechts Verzicht auf den Stellvertretenden Parteivorsitz oder die Realomehrheit eine Niederlage erlitten hat. Doch diese Diskussionen blieben aus.

Wagenknecht geht sogar als Gewinnerin aus dem Parteitag hervor. Denn der Beschluss über eine geschlechtsquotierte Fraktionsspitze bringt sie ihrem Ziel näher, dieses Amt auch bald einmal auszuüben. Schließlich musste sie schon zweimal darauf verzichten, weil Gysi deutlich gemacht hatte, dass er den Fraktionsvorsitz nicht mit Wagenknecht teilen will. Damit verletzte er aber einen Parteitagsbeschluss, nach dem solche Ämter quotiert besetzt werden müssen.

Der Machtkampf Gysi-Wagenknecht rührt noch aus den 90er Jahren. Damals wollte Gysi sogar verhindern, dass Wagenknecht in den Parteivorstand der PDS gewählt wurde. Damals galt die bekannte Exponentin der Kommunistischen Plattform und als Vertreterin autoritärer Sozialismusvorstellungen. Ihre politische Aufwertung hätte das Bemühen der Reformer konterkariert, sich von dem DDR-System zu emanzipieren. Dieses Ziel teilten Reformer wie Gysi und Andre Brie, die damit die Partei vor allem regierungsfähig machen wollten, mit
Exponenten eines emanzipatorischen Linken in der Partei, die in dem Rekurrieren auf den gescheiterten Staatssozialismus eine Sackgasse für eine linke Perspektive auf der Höhe der Zeit sahen.

Die Linke als Verteidigerin der deutschen Unternehmer?

2014 gilt Wagenknecht längst nicht mehr als Verteidigerin der DDR, hat sich mit manchen Politikvorstellungen an moderne Debatten angelehnt, anderseits auch ihre nötige Flexibilität für ein Parteiamt dadurch unter Beweis gestellt, dass sie sogar in Theorie und Praxis des Marktwirtschaftlers Ludwig Erhardt Bedenkenswertes für die heutige Linken entdecken wollte.

Auch Gysi gerierte sich auf dem Parteitag als Retter der deutschen Unternehmer, wenn er die Bundesregierung kritisierte, sie würde nicht auf die von Snowden publik gemachte Wirtschaftsspionage der USA in Deutschland reagieren. Da war wieder dieser patriotische Zungenschlag, dessen sich viele Snowden-Verteidiger befleißigen. Gysi scheint sich sogar noch bestätigt zu sehen, weil er, wie er kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin erklärte, nach seiner ersten Parlamentsrede zu Snowden viele Briefe von Zuhörern bekommen habe, die sich nicht über die Abhöraktion, sondern über die angeblich mangelnde deutsche Souveränität beklagten.

Gysi fragte sich aber nicht, ob eine Linke mit ihrem Souveränitätsdiskurs nicht einen neuen deutschen Nationalismus befördert. Wenn er sich nun populistisch noch den deutschen
Unternehmern als Bundesgenosse gegen unerwünschte US-Ausforschung andient, scheint er keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass auch deutsche wie alle Unternehmen ihre Wirtschaftskonkurrenten ausspähen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Immerhin gab es bei Gysis Offerte an die deutschen Unternehmer auf dem Parteitag neben viel Applaus auch Pfiffe.

Will die Linke Putin verstehen?

Versöhnt war dann Gysi mit der Parteitagsmehrheit in der Ukrainekrise. Dabei musste der gewiefte Taktiker eine schwierige Aufgabe meistern. Er musste die Mehrheit der Delegierten erreichen, die in der Ukrainefrage im Zweifel prorussisch ist, und doch in der Öffentlichkeit den Eindruck vermeiden, es handele sich bei der Linken um eine Partei, die kritiklos der russischen Politik wie einst die SED der sowjetischen Linie folgt. Gysi bewältigte die schwere Aufgabe, indem er klar benannte, dass die Einverleibung der Ukraine eine Verletzung des Völkerrechts darstellt. Aber er benannte auch die Ukraine-Politik Deutschlands und der EU als eine der Ursachen dafür.

Vor allem prangerte er die Beteiligung von ultrarechten Gruppen an der ukrainischen Regierung an. Bevor es überhaupt zu einer Verhandlung mit ihr hätte kommen dürfen, hätte die klare Forderung lauten müssen: Faschisten raus aus der Regierung. Diese Positionierung könnte der Linken im Europawahlkampf Stimmen bringen. Denn sie wird von vielen Menschen geteilt, die keineswegs die russische Politik unterstützen, sich aber auch nicht kritiklos einer ukrainischen Maidan-Bewegung und Regierung gegenüber verhalten wollen, in denen der Rechte Sektor und andere ultranationalistische Gruppen vertreten sind.

Da die Grünen in den letzten Wochen zu dieser rechten Hegemonie geschwiegen haben und sich in der Ukrainefrage teilweise noch rechts von der Bundesregierung positionierten, könnten die Linken davon profitieren, zumal die Piratenpartei in der Ukrainefrage auf Tauchstation gegangen zu sein scheint.

Es gibt in Deutschland viele Menschen, die sich weigern, die Alternative Putin oder die ukrainische Regierung zu akzeptieren. Da gibt es die europäische Rechte, die in Putin den
starken Mann verherrlicht, unter dessen Herrschaft keine Rücksicht auf Minderheiten genommen und die Familie noch verehrt wird. Er ist ebenso wenig Bezugspunkt wie eine ukrainische Regierung mit dem Rechten Sektor und der Swoboda-Partei. Zudem weigern sich viele Menschen, im Zuge der berechtigten Kritik am Putin-Russland in Deutschland noch einmal den Zweiten Weltkrieg nachträglich gewinnen zu wollen.

Wenn in Boulevardzeitungen eine Kampagne begonnen wird, Denkmäler zu entfernen,
die an den Anteil der Roten Armee bei der Niederschlagung des Nationalsozialismus erinnern, ist diese Absicht klar zu erkennen. Als Reaktion darauf haben Linke den 9.
Mai, als Tag des Sieges der Roten Armee in Berlin-Treptow gefeiert. Dabei geriet wohl bei manchen in Vergessenheit, dass die Kalten Krieger lange Zeit die Rote Armee abschätzig als die Russen bezeichnet haben. Tatsächlich aber gehörten der Roten Armee Soldaten aller in der Sowjetunion angehörigen Nationen an, auch Ukrainer.

Wie realistisch ist ein Bündnis mit Grünen und SPD?

Nicht nur in die Europawahl setzt die Linke Hoffnungen. Nach der Landtagswahl in Thüringen könnte sie sogar erstmals in der Bundesrepublik mit Bodo Ramelow einen Ministerpräsidenten stellen. Danach würde sie in dieser Frage mit den Grünen gleichberechtigt sein, die ihren Winfried Kretschmann abfeiern. Im Gegensatz zu vielen seiner ehemaligen Wähler, die lieber gesehen hätten, wie ein Unions-Ministerpräsident auf Druck der Opposition das Projekt Stuttgart 21 aufgeben, als dass ein grüner Ministerpräsidenten es umsetzen muss.

Das verweist auf ein Dilemma, dem auch ein Ministerpräsident Ramelow ausgesetzt wäre. Er müsste die Bundeswehr ebenso willkommen heißen wie Industrieansiedlungen. Für eine auch nur reformerische Politik bliebe wenig Platz. Ramelow scheint das schon begriffen zu haben, wenn er erklärt, er wäre als Ministerpräsident an der Regierung, nicht an der Macht. Genau das war der Grund vieler Linker, von solchen Regierungsoptionen Abstand zu nehmen.

Das hieße für die Linke, nicht nur den Sinn eines Ministerpräsidentenpostens, sondern die gesamte Debatte um ein Bündnis mit Grünen und SPD zu hinterfragen. Bisher wurde häufig lediglich darüber diskutiert, welche Bedingungen für ein solches Bündnis erfüllt sein müssen. Die
Frage, wer ein solches Bündnis überhaupt braucht und ob es für eine linksreformerische Partei nicht eine Alternative zu solchen Bündnisüberlegungen gebe, wurde hingegen zu wenig gestellt.

Dabei hat der britische Soziologe Richard Seymour mit seinem neuesten Buch "Against Austerity" noch einmal deutlich gemacht, dass der Wirtschaftsliberalismus eben nicht die Politik einer kleinen Minderheit von Politkern und Ökonomen ist, sondern ein Regulationssystem, das sich auch in der Ideologie niederschlägt. Da müsste doch in der Debatte um linke Perspektiven gefragt werden, ob dann jede Regierung diese Politik nur verwalten könnte. Eine erfolgversprechende Perspektive aber wäre eine Theorie und Praxis, die gerade nicht in diese Falle geht, sondern die Mechanismen dieser Politik an der Basis angreift. Eine solche Debatte steht für die Linkspartei noch aus.