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Wahnsinn und Gesellschaft: Wie Frankreichs Überpräsident Psychologen zu neuen Krankheitsbildern inspiriert

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Die Diskussion über neue Krankheitsbilder und deren klinische Symptomatik ist unerschöpflich. Anfang des Jahres beschrieb der französische Psychiater Serge Hefez eine psychische Deformation, die er bei einer wachsenden Zahl von Patienten beobachtete, hauptsächliches Symptom: die Besessenheit vom amtierenden Präsidenten. Ein einprägsamer Name für die neugefundene Krankheit, die die „tiefsten Winkel der Seele seiner Patienten“ erreiche, fand sich schnell: „Sarkose obsessiv“ bzw. in reinem Französisch: „Sarkoze obsessionnell“. Das gleichnamige Buch, 120 Seiten dick, erschien dann Ende April beim Verlag Hachette Littératures und gesellte sich zu den ungefähr 73 anderen bislang veröffentlichten Büchern über Nicolas Sarkozy

Sarkomanie, Sarkophobie, Sarkophrenie, Sarkonia, Sarkosismus: aus dem Namen des Präsidenten lassen sich mühelos schrägo Begriffe schöpfen; die Wette gilt, dass man sie bald ähnlich uninspiriert findet und ähnlich ungern hören mag wie die Musik von Bruni, seit sie Präsidentengattin ist.

Was aber macht nun den Kern der vom Präsidenten inspirierten Krankheit aus, dass sie seit heute auch noch das Interesse der New York Times findet? Wie ernst ist es? Wird der Größenwahn, der sich, wie heute nur noch in harmlosen Witzblättern zu sehen, mehr als anderthalb Jahrhunderte lang eine Napoleonmütze aufsetzte und eine Hand in die Jacke schob, jetzt von Sarkozy abgelöst? Werden Geisteskranke künftig als Sarkozy-Imitatoren karikiert?

Leider sieht es trotz der großen Parolen, die Hefez in seiner Analyse der Symptomatik einsetzt, nicht sehr danach aus; es zeigt sich, dass hinter all der bemühten Größe der Angelegenheit („diable d’homme“, „Obsession“ „die Inkarnation des postmodernen Mannes“ „der extreme Individualismus“) nichts anderes steckt als das pauschal anwendbare Krankeitsheitsbild: Narzismus mit autodestruktiven Zügen, indem sich, nach der Beobachtung des Psychologen, die ganze Nation spiegelt.

„He’s penetrated some of their (der Patienten; Anm. d. V.) deepest fantasies. I noticed all this passion in people speaking of him, and I thought there is something particular about this man — he’s like a reflection of us in the mirror.”

Solche vagen Befunde mögen für eine „Marketose“, die weitverbreitete Vermarktungs-Krankheit, reichen, was sarkoide Buchautoren betrifft: Für die Hall of Fame der Maniacs genügt das nicht. Der Platz von Napoleon wird wohl auch im 21.Jahrhundert so schnell nicht neu besetzt.