Situation in Frankreich normalisiert sich

Zum Wochenbeginn sollen nach Sarkozys Pyrrhussieg wieder alle Tankstellen mit Sprit versorgt sein

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In Frankreich ist die Streikbewegung erwartungsgemäß in die Ferien gegangen. Genau deshalb hatte die konservative Regierung unter Nicolas Sarkozy die definitive Entscheidung über die Rentenreform in die Herbstferien gelegt. So konnte sie ohne Probleme Mitte der vergangenen Woche im Parlament durchgewunken werden. Die Beteiligung an den Protesten ging erwartungsgemäß seit Ferienbeginn zurück. Es ist nichts Neues und viele Akteure sind sich stets bewusst darüber, dass die Ferien ein großes Hindernis dafür darstellen, massive Streikbewegungen am Leben zu erhalten.

So normalisiert sich in Frankreich nach dem Ende der Streiks in den Raffinerien und Häfen die Lage wieder. Die Versorgungsprobleme an den Tankstellen sind fast vollständig behoben und nach dem heutigen Feiertag sollen am Dienstag wieder alle Tankstellen mit Sprit versorgt sein, sagte Umwelt- und Energieminister Jean-Louis Borloo. "Wir sind haarscharf einer absoluten wirtschaftlichen Katastrophe entgangen", erklärt er aber.

Einen Sieg hat Sarkozys Regierung aber ohnehin nicht erzielt, bestenfalls einen Pyrrhussieg, mit dem er weiter an dem Ast gesägt hat, auf dem er sitzt. Vielleicht ist die wirtschaftliche Katastrophe ausgeblieben, aber eine politische Katastrophe bleibt. Sarkozy sitzt auf einem Schleudersitz und ganz nach König Pyrrhus ist sogar dem kleinen Franzosen klar, dass ein weiterer Sieg dieses Kalibers sein Ende bedeuten würde. Sein Kabinett ist verschlissen und sein Arbeitsminister Eric Woerth, dessen Reform hier durchgepeitscht wurde, wird nicht zu halten sein. Der steht unter dem Verdacht, korrupt zu sein und für eine illegale Finanzierung von Sarkozys UMP gesorgt zu haben.

Zudem haben sich in diesem Herbst alle Befürchtungen bewahrheitet, die vor seinem Wahlsieg aufgekeimt waren. Da ist das rassistische Vorgehen gegen Roma und das Schleifen von Grundrechten in diesen Streikwochen. Nicht mehr und nicht weniger als das Streikrecht wurde ausgehöhlt, indem gegen die Verfassung mit Zwangsverpflichtung von Mitarbeitern wie zu Kriegszeiten aus "nationalem Interesse" die Versorgung der Flughäfen mit Kerosin aufrechterhalten wurde. Ja sogar Müllmänner in Marseille wurden zwangsverpflichtet. Doch etliche Richter kassierten diese klaren Verstöße gegen das Streikrecht wieder. Es hat sich die Befürchtung der Gewerkschaften bestätigt, dass Sarkozy seine Politik zunehmend polizeilich durchzusetzen will, wie auch die Räumungen zeigten.

Mit der "Mutter aller Reformen" wurde eine Kampfansage an die Gewerkschaften und die Opposition ausgesprochen, denn Sarkozy versuchte nicht einmal einen Konsens auszuhandeln, womit sich seine autokratischen Züge erneut sehr deutlich gezeigt haben. Einige nennen ihn in Frankreich nur noch den "cäsaristischen Hyperpräsidenten", wie Edwy Plenel. Der Chef des Internetdienstes Mediapart meint, Sarkozy sei ein Mann, "der keine Grenzen kennt". Er baue zunehmend "auf ein System, dessen politische Institutionen ganz und gar auf den Präsidenten zugeschnitten sind". Der ehemalige Chefredakteur von "Le Monde" klagt an, dass er von französischen Geheimdiensten überwacht und abgehört wurde, seit er mit den Recherchen gegen den Arbeitsminister begonnen hat.

So kann man Ulrich Fichtner nur beipflichten, dass es wohl nicht die Streikenden sind, welche das Land in Geiselhaft nehmen, sondern eher Sarkozy. In seinem Essay machte er im Spiegel deutlich, dass Frankreich nicht nur gegen eine einseitige und unsoziale Rentenreform auf die Barrikaden gegangen ist, die eine faktische Rentenkürzung für die Mehrheit bedeutet, sondern auch gegen die Arroganz der Macht. Er räumt auch mit der in Deutschland kolportierten Mär auf, dass man sich vor allem gegen eine Anhebung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre gewehrt hat. Denn die konnten ohnehin nur wenige ohne drastische Abschläge in Anspruch nehmen, sofern sie volle 40 Jahre ins System eingezahlt hatten. Tatsächlich wurde nun die faktische Anhebung von 65 auf 67 beschlossen und die Beitragszeit wurde auf 41,5 Jahre angehoben.

Doch der Mann mit dem ausgeprägten Machtinstinkt weiß um die Gefahr. Deshalb signalisiert er jetzt plötzlich ein Zugehen auf die Protestierenden. "Ihre Besorgnisse, viele davon legitime, habe ich angehört und ich habe darüber nachgedacht und werde die entsprechenden Initiativen ergreifen, um eine Antwort darauf zu geben", sagte der angeschlagene Präsident nun plötzlich. Nützen dürfte ihm das aber nur noch etwas, wenn er diese Reform tatsächlich wieder zurücknimmt und doch noch versucht, in Verhandlungen eine Rentenreform im Staatspakt zu verabschieden. Das ist nicht zu erwarten.

Die Gräben sind in diesen Streikwochen noch tiefer geworden. Es ist der Regierung nicht gelungen, die Streikfront aufzubrechen oder mehr Zustimmung für ihr Vorgehen zu finden. Knapp 70% der Franzosen sprechen von einem schlechten oder sehr schlechten Präsidenten und gegen diese Mehrheit kann man in Frankreich nicht dauerhaft regieren. Spätestens bei den Wahlen 2012 dürfte Sarkozy die Quittung erhalten, denn das Fass ist übergelaufen. Es ist sein Verdienst, dafür gesorgt zu haben, dass seine zuvor zersplitterten Gegner geeint wurden. Viele, vor allem Jugendliche, haben sich in den Protesten politisiert. Es wurden neue Netzwerke geknüpft und diese werden neue und alte Formen des Protests zeigen. Sarkozy wird sich nun immer wieder mit geballtem Widerstand bei seinen Vorhaben konfrontieren müssen und darin könnte die eigentliche wirtschaftliche Katastrophe liegen, in die er Frankreich führt.