Tunis: Marktplatz der Ideen

In der tunesischen Hauptstadt tagt noch bis Samstag das 11. Weltsozialforum

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Die Sozialforumsbewegung war ja gelegentlich schon totgesagt worden, aber danach sieht es in diesen Tagen in Tunesiens Hauptstadt Tunis eigentlich nicht aus. In rund 1000 Workshops lauschen noch bis Freitag mehrere 10.000 Teilnehmer aus aller Welt diversen Vorträgen. Da geht es vom Kampf gegen die Todesstrafe und für Frauenrechte über die Diskriminierung von Flüchtlingen und Einwanderern, den Klimawandel und die Agrarindustrie bis zur Rolle alternativer Medien in den arabischen Revolutionen und die anhaltende Besetzung des Gazastreifens und der Westbank. Ein Teil der Beiträge wird per Lifestream im Internet übertragen.

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Bild: W. Pomrehn

Aus Deutschland sind neben Vertretern der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Globalisierungskritiker von ATTAC vor allem Vertreter verschiedener parteinaher Stiftungen gefahren. Aber auch Mitglieder der Stuttgarter Bewegung gegen den dortigen Bahnhofsneubau haben sich nach Nordafrika aufgemacht. Sie nutzen das Forum, um sich mit anderen Gruppen zu vernetzen, die gegen "unnütze Megaprojekte" kämpfen.

Besonders mit französischen Flughafengegnern aus der Bretagne und italienischen Initiativen, die sich gegen eine teure Schnellzugverbindung, den TAV, durch die Alpen wehren, ist die Zusammenarbeit besonders gut. Ende Juli soll es in Stuttgart ein europaweites Treffen gegen Megaprojekte geben.

Die Weltsozialforen (WSF) gibt es seit 2001. Sie sind als Ort gedacht, an dem soziale Bewegungen und Gewerkschaften, Frauenorganisationen, Umweltgruppen und Jugendverbände aus aller Welt zusammenkommen um über gemeinsame Anliegen und Projekte zu diskutieren. Daneben gibt es zahlreiche kontinentale, regionale, thematische und nationale Ableger.

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Bild: W. Pomrehn

Bei WSF-Teilnehmern, die schon auf verschiedenen Foren gewesen sind, ist in Tunis gelegentlich ein Anflug von Ungeduld oder auch Frustration zu spüren, da die Foren im Wesentlichen stagnieren. Es ist aus ihnen bisher keine gemeinsame Plattform hervorgegangen, wie es sich im Augenblick vor allem für Europa mancher wünscht. Daher bereiten diverse europäische Gewerkschaften und soziale Bewegungen für Anfang Juni in Athen einen Kongress vor, auf dem eine gemeinsame Plattform gegen die Sparpolitik und den Abbau von Arbeiterrechten beschlossen und eine entsprechende Kampagne gestartet werden soll, sozusagen ein Anti-Krisen-Programm von unten.

Aber auch die Sozialforen in ihrer unverbindlichen, eher an einen Marktplatz erinnernden Form, haben weiter ihre Berechtigung. Unter anderem spielen sie, wie sich derzeit in Tunis durch die starke Beteiligung aus der arabischen Welt zeigt, für die jeweilige Region eine wichtige Rolle. Im Irak soll es im Spätsommer einen landesweiten Ableger geben, um die dortigen sozialen Bewegungen an einen Tisch zu bringen. Frühere Weltsozialforen waren in Porto Alegre (Brasilien), Mumbai (Indien), Nairobi (Kenia), Bamako (Mali), Caracas (Venezuela), Karatschi (Pakistan) und Dakar (Senegal).