Verfassungsschutz arbeitete verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht fordert Nachbesserungen an der Anti-Terror-Datei

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Das Bundesverfassungsgericht erklärte heute die Gesetze zur Anti-Terror-Datei, mit denen Verfassungsschutz und Polizeibehörden etc. Daten über angeblich terrorverdächtige Personen austauschen, in ihren Grundstrukturen für verfassungsgemäß, die Ausgestaltung sei jedoch in Teilen verfassungswidrig.

Der pensionierter Richter Robert Suermann hatte Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie seiner Grundrechte aus Art. 10 (Fernmeldegeheimnis), Art. 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung) und, in Verbindung hiermit, Art. 19 Abs. 4 GG (effektiver Rechtsschutz) erhoben. Zudem werde gegen das Gebot der Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten verstoßen, indem auch die beteiligten Polizeibehörden Zugriff auf die von den Nachrichtendiensten in die Antiterrordatei eingestellten Daten hätten. Es drohe eine uferlose Ausweitung der polizeilichen Ermittlungsmöglichkeiten.

Das informationelle Selbstbestimmungsrecht sieht Suermann verletzt, weil die Regelungen des Anti-Terror-Datei-Gesetzes zu unbestimmt und unverhältnismäßig seien. In die Anti-Terror-Datei dürften Daten über Personen eingestellt werden, die aufgrund ungesicherter Anhaltspunkte als bloße Befürworter gegebenenfalls nur minimaler Gewalt gälten. Schon eine bestimmte innere Gesinnung drohe so für die Speicherung in der Anti-Terror-Datei zu genügen. Durch die Aufnahme von Kontaktpersonen würden auch Daten unbescholtener Personen erfasst, soweit nur Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sie zu Personen in Kontakt stünden, bei denen Anhaltspunkte für terroristische Handlungsweisen oder für ein „Gewaltbefürworten“ vorlägen. Diese Kontaktpersonen müssten nicht einmal Kenntnis von den terroristischen Aspekten haben. Damit werde der Kreis der betroffenen Bürger unübersehbar und unverhältnismäßig ausgedehnt. So war etwa in den USA ein 18 Monate altes Mädchen aus einem Flugzeug geworfen worden, weil sein Name auf der US-Terrorliste vermutet wurde.

Suermann kritisiert, dass die in die Anti-Terror-Datei eingestellten Grunddaten und erweiterten Grunddaten ein weitgehendes Persönlichkeitsprofil herstellten. Die Regelung, die im Eilfall den Zugriff aller Behörden auf diese Daten gestatte, sei nicht verhältnismäßig, da sein Vorliegen leicht bejaht werden könne. Entgrenzend wirke auch die Möglichkeit der Aufnahme von Freitexten, da die Speicherungsvoraussetzungen für den Bürger nicht erkennbar und zu vage seien.

Das Brief- und Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG sieht Suermann verletzt, weil die weitgehenden, den Nachrichtendiensten eingeräumten Eingriffsmöglichkeiten durch die Antiterrordatei zu einer unverhältnismäßigen Kenntnisnahme durch andere Behörden führten. Gegen Art. 13 GG verstoße es, dass in die Anti-Terror-Datei auch Daten aufgenommen werden könnten, die aus in Wohnungen durchgeführten „großen Lauschangriffen“ herrührten. Auch fehle es an effektivem Rechtsschutz. Durch die Einstellung von Daten, die aus heimlichen Maßnahmen herrührten, und die Möglichkeit der verdeckten Speicherung von Daten werde dem Beschwerdeführer die Chance einer gerichtlichen Überprüfung genommen.

Das Bundesverfassungsgericht folgte der Beschwerde zum Teil. So stehen terroristische Angriffe den Karlsruher Richtern zufolge nicht auf einer Stufe mit Krieg oder einem sonstigen Ausnahmezustand, vielmehr handele es sich um Straftaten, die mit Maß und Ziel zu bekämpfen seien. Es sei bereits zu unbestimmt, welche Behörden zu beteiligen sind. Der erfasste Personenkreis sei unangemessen weit, wenn etwa Personendaten lediglich deshalb gespeichert würden, weil deren Bekannte im Verdacht der Unterstützung von Terrorismus stehen. Daten wie Bild, Name und Anschrift dürfen nicht mehr ohne weiteres unter den knapp 40 Behörden ausgetauscht werden, sondern nur als Unterpunkt in einer Datei zu einem tatsächlich Verdächtigen. Dem Gericht waren auch die beteiligten Behörden zu unbestimmt. Der durch die angegriffenen Vorschriften geschaffene Informationsaustausch sei von erheblichem Gewicht. Für die Betroffenen könne die Aufnahme in eine solche Datei erheblich belastende Wirkung haben. Für derartige Befugnisse seien Verordnungen der Regierung nicht ausreichend, sondern müssten vom Gesetzgeber geregelt werden.

Uneins waren sich die Richter bei der Frage, ob Begriffe der „rechtswidrigen Gewalt“ und des „vorsätzlichen Hervorrufens solcher Gewalt“ verfassungswidrig sind, was wegen Stimmgleichheit nicht ausgesprochen wurde. Bloßes „Befürworten von Gewalt“ reiche allerdings nicht für eine Speicherung. Suermanns Kritik am Freitextfeld folgten die Richter nicht, wohl aber jedoch an der Inverssuche. Zudem forderte Bundesverfassungsgericht Transparenz und Kontrolle insbesondere bei Abhörmaßnahmen. Die gesetzlich vorgesehene vollständige und uneingeschränkte Einbeziehung aller auch durch Eingriff in Art. 10 Abs. 1 (Telekommunikationsgeheimnis) und in Art. 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) erhobenen Daten in die Anti-Terror-Datei bewerteten die Karlsruher Richter ebenfalls als mit der Verfassung unvereinbar. Der Gesetzgeber hat nun bis zum 31. Dezember 2014 Zeit zu Nachbesserungen. Bis dahin dürfen die Gesetze unter Beachtung bestimmter Maßgaben vorläufig weiter angewendet werden.