"Versicherung gegen Schwarzfahr-Bußgelder"

Pariser Kollektive fordern, dass der öffentliche Nahverkehr ähnlich wie Schulen oder Arztbesuche nicht bezahlt werden muss. Man weigert sich, Tickets zu bezahlen. Strafgebühren werden aus einer gemeinsamen Kasse bestritten.

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Jeden ersten Mittwoch des Monats treffen sich die Mitglieder des freien Versicherungsverbundes "La mutuelle de sans-ticket", um sich zu besprechen. Möglich, dass übermorgen mehr Gäste kommen als sonst und gut möglich, dass unerwünschte Gäste darunter sind.

Das Geschäftsmodell dieser Bürgschaftskasse ist ungewöhnlich - jedes Mitglied zahlt monatlich zwischen 5 und 7 Euro in eine gemeinsame Kasse, aus der dann Strafgebühren für Schwarzfahren bezahlt werden. Das ist nicht gerade amtlich und verstößt gegen Gesetze. Dass die "Sans-Ticket"-Versicherungskassen seit heute morgen durch einen Artikel in der Zeitung Le Parisien in Frankreich und darüberhinaus einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurden, könnte gemischte Gefühle auslösen.

Laut Parisien gibt es ein Dutzend solcher Versicherungen dieses Typs in Paris. Kleinere Zusammenschlüsse von Freunden, Viertelbewohner oder Studenten, die auch weiter im bescheidenen Rahmen agieren wollen, wie ein anonymes Mitglied zitiert wird:

"Diese Vereine auf Gegenseitigkeit (i.O. 'mutuelles') wollen sich nicht in größere Organisationen (i.O. 'méga-mutuelles') umwandeln. Man will keine Schaltergeschäfte, wo die Leute dann nur kommen, um ihre Bußgeldangelegenheiten zu regeln."

Den Vereinigungen liegt ein politisches Anliegen zugrunde; die Kollektive agieren mit dem Anspruch, das Interesse einer größeren Gemeinschaft zu vertreten. Insofern ist die neue Aufmerksamkeit auch willkommen, da es ihnen darum geht, der Öffentlichkeit klarzumachen, weshalb nicht "Schwarzfahren", sondern die Geldstrafen (45 Euro in Paris), aber auch die zu zahlenden Tickets überhaupt ungerecht sind.

Genau nachzulesen sind die Begründungen, weswegen man sich weigert, die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmittel zu zahlen, exemplarisch in einem Manifest, das sich Metro- Samisdat nennt. Die Organisation, die es herausgibt, hat das gleiche Kürzel wie der Pariser Verkehrsbetrieb RATP, nur dass die Großbuchstaben hier für einen ganz anderen Fahrplan stehen: Reseau pour l'Abolition des Transports Payants, übersetzt etwa: Netzwerk für die Abschaffung des öffentlichen Personenverkehrs, der bezahlt werden muss.

Die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel sollte wie der Schulbesuch oder der Arztbesuch unentgeltlich sein, so die Begründung der Weigerung, ein offizielles RATP-Ticket zu lösen. Zur Illustration dieser Forderung hat man ein eigenes "solidarisches RATP-Ticket" geschaffen, das in allen Bussen und Bahnen hergezeigt werden soll. Öffentliche Gelder zur Finanzierung der RATP würden mit Werbung, "allerhand Gadgets" (Bildschirme in Metro-Stationen) und mit der teuren Jagd auf Schwarzfahrer in großem Maße verschwendet. Der kostenlose öffentliche Personenverkehr sei zu bezahlen, so das Kalkül der Alternativ-RATP.

Zum anderen rechnet das Kollektiv vor, wie sehr die offiziellen Verkehrsbetriebe zum Vehikel des Überwachungsstaates werden. Dieser Argumentionsstrang hebt damit an, dass in den Verkehrsmitteln nicht nur Jagd auf Sans-Tickets gemacht wird, sondern vor allem auch mittels verschärfter Personenkontrollen auf die Sans-Papiers. Moniert werden darüberhinaus die mehr als 6 000 Überwachungskameras auf den Pariser Linien und besonders der Navigo-Pass, ein mit RFID ausgestattetes Abo-Ticket für Pariser:

"Ein schmutziger Trick, diese Karte, die mit einer fundamentalen Regel bricht: mit der Möglichkeit, anonym herumzufahren."